Welche Vorbildfunktion nehmen Ministerinnen und Minister unseres Bundes ein? Sind sie einfach nur gewählte Vertreter, die dann tun und lassen können, was sie wollen, oder nehmen sie nicht vielmehr auch eine repräsentative Funktion ein?

Man kann in den letzten Tagen davon ausgehen, dass die Welt ein wenig verkehrt ist. Herr Franz Josef Wagner rät in der beliebtesten und größten deutschen Zeitung (BILD vom 17.02.2011) sogar zu einem: „Scheiß auf den Doktor.“ Interessant. Wahrscheinlich eine Vorbildfunktion.

Aber es kommt noch besser, denn manche Personen fangen sogar an zu behaupten, dass ein Plagiat nicht immer gleich einem Plagiat ist, sondern ein Plagiat nur dadurch zu einem solchen werde, wenn dahinter eine „Täuschungsabsicht“ steckt.

künstlich

Ich zitiere (FAZ vom 17.02.2011):
„Maßgeblich für die Folgen eines wissenschaftlichen Plagiats ist, ob eine Täuschungsabsicht dahinter steht. „Sie müssen schlechte Wissenschaft und Täuschung auseinanderhalten“, sagte der Sprecher des Ombudsmanns für die Wissenschaft, der Bonner Jurist Prof. Wolfgang Löwer, der Nachrichtenagentur dpa. Auch Löwer warnte vor Vorverurteilungen Guttenbergs. „Es ist eine genuin universitätsrechtliche Frage, die die Fakultät beantworten muss.“

Löwer erläuterte: „Ein Plagiat ist die Übernahme eines fremden Textes, ohne auf die Übernahme hinzuweisen. Das macht man normalerweise mit Anführungszeichen bei einer wörtlichen Übernahme oder mit einer Fußnote bei sinngemäßer Übernahme.“ Der Jurist sagte: „Aber nicht in jedem Fall, wo eine Fußnote fehlt, kann man schon annehmen, dass die Entziehung des akademischen Grades angezeigt wäre, denn das kann ja auch ein Sorgfaltsmangel ohne Täuschungsabsicht sein.“

Nun wunderbar! Ich benutze einfach die Copy-Paste Funktion und ziehe mir meine Texte zusammen. Ich gebe sie damit als meine eigene Leistung aus, aber im Grunde genommen habe ich ein gutes Herz. Ich will gar nicht klauen. Ich weiß einfach nur nicht, wie ich Zitate anzugeben habe. Daher fällt es meinen prüfenden Professoren auch nicht auf, dass ich eigentlich geklaut habe.

Wenden wir den Fall auf einen Marktplatz an. Ich schlendere gemütlich an einem schönen Samstagnachmittag, sehe hier und da nette Tische aufgebaut mit bunten Waren. Ich freue mich und denke mir „Das ist aber nett, dass diese Tische mit all den bunten Waren aufgebaut sind! Und alles zum Mitnehmen!“

Also gehe ich mal hier, mal dort hin und nehme, was mir gerade so gefällt. Würden wir das Klauen nennen? Den Aussagen von Herrn Löwer zu Folge nur dann, wenn ich eigentlich nur die böse Absicht des Klauens habe. Aber macht das Sinn? Würden wir nicht selbst sogar von Kindern behaupten, dass sie klauen, wenn sie sich einfach Dinge mitnehmen, die anderen gehören? Selbst wenn sie nichts von ihrer Schuld wussten?

doktorhutNun gut, wollen wir auch dies Herrn zu Guttenberg zugestehen, dass er sich dessen nicht bewusst war. Er behauptet ja die Arbeit selbst geschrieben zu haben. Ein paar Seiten nicht belegt, was macht das schon! Ein paar Äpfel und Birnen gestohlen, wen störts! Vielleicht stört es ja den Besitzer eines Elektronikladens, wenn wir einfach ein paar Smartphones mitnehmen, ohne zu bezahlen, oder die Besitzerin des Designer-Geschäfts, wenn wir uns neue Krawatten ohne Bezahlung genehmigen oder den Auto-Verkäufer, dem wir sein Gefährt auf der Probefahrt entwenden etc. etc. etc.

Was sind Zitate schon wert? Für Menschen mancher Herkunft anscheinend nicht viel. Da ist der Franz (Josef Wagner) von nebenan, der gute Mann, der die Stimme des Volkes vertritt, doch mit dem adligen Freiherrn zu Guttenberg in einem Boot. „Ich habe keine Ahnung von Doktorarbeiten. Ich flog durchs Abitur und habe nie eine Universität von innen gesehen. Also, ich kann von außen sagen: Macht keinen guten Mann kaputt.“ (BILD vom 17.02.2011). Genau! So ist richtig! Tut dem armen Freiherrn nichts! Menschen von der Uni sind doch sowieso nur Schwätzer!

Ich beschäftige mich selbst jeden Tag mit Zitaten und Quellenangaben. Momentan verfasse ich eine Dissertation. Also ist die Dissertation in gewisser Weise Teil meiner Welt. Ich frage mich redlich, was passieren würde, wenn ich meinem Doktorvater eine Arbeit vorlegen würde, die in großen Abschnitten einfach nur kopiert wurde. Ich habe ja keine böse Absicht, nein ich möchte sogar die Welt ein wenig besser machen!

Da könnte ich dann zu meinem Betreuer gehen und sagen: „Toll, nicht? Sogar alles von mir!“ Dabei habe ich nicht gelogen, denn ich hatte ja auch Arbeit mit dem mühsamen Zusammensuchen der Quellen, mit dem anstrengenden Kopieren und mit dem lästigen Einfügen. So viel Arbeit und so viel Anstrengung! Da muss doch mein Betreuer sagen: „Summa cum laude“ – Mit höchstem Lob!

Summa cum laude – das war das Urteil über Guttenbergs Arbeit. Nehmen wir an, Herr zu Guttenberg hat zwar geklaut, aber nicht in böser Absicht. Er wusste vielleicht nur nicht, dass das Klauen ist oder er war ein wenig nachlässig. Wie aber vergeben wir dann ein „summa cum laude“? Geben wir es für Unwissenheit, Nachlässigkeit oder Klauen?

Oder vielleicht etwa dafür, dass wir einen Adelstitel besitzen oder Abgeordneter des Bundestages sind? Das möchten wir nun aber wirklich nicht mutmaßen. Für die größte deutsche Tageszeitung wäre das wahrscheinlich sogar ein Affront. „Scheiß auf den Doktor.“ (BILD vom 17.02.2011) Genau!

natürlich

Sollte Herr zu Guttenberg wirklich ein Plagiat begangen haben und trotzdem unbeschadet aus dieser Affäre kommen, so wirft dies ein denkbar schlechtes Licht auf Deutschland als Wissenschaftsstandort. Vorbilder müssen Minister nun wohl wirklich nicht sein. Dass sie durch ihre Taten aber Ordnungen und Werte unseres Bildungssystems über Bord werfen, nur um ihrer eigenen Person Willen, dass sie damit Grundprinzipien der deutschen Bundesrepublik willentlich beschädigen, das ist schlicht und einfach peinlich.

Es ist fraglich, inwiefern Menschen, die sich nicht scheuen, wohlfeil andere Menschen über die symbolische Klinge gehen zu lassen, die Prinzipien und Gesetze evtl. willentlich missachten und die dabei ein für sich lupenreines Gewissen zu haben scheinen, ihrer gesellschaftlichen Rolle gerecht werden können.

mb

12 Antworten

  1. As soon as I heard about this case, it struck me that Guttenberg was too clever to copy much of his dissertation. The chances of it being noticed were too high. It seems more likely that somebody else wrote it for him. A friend would not cheat, but somebody who wrote it for money would be likely to cut corners. The risk to him or her would be limited to not being paid.

  2. Der oben erste Kommentar von Chris ist seit langem der erste Kommentar von ihm, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann 🙂 ! Natürlich werden viele Arbeiten (nicht nur von den großen) „assistiert“ und dann von den Titelinhaber nicht mal nachgelesen …

    Den zweiten verstehe ich wieder mal nicht 🙂 . Auch die meisten Doktorarbeiten von den Leuten, die in den Medien etwas zu sagen haben , sind ähnlich entstanden.

    Und wer beschmutzt schon gerne das eigene Nest. Da ist es doch viel besser, auf einer Schein- und Lügenmoral herumzuhacken.

  3. I find this posting a little too simple about plagiary. The Passau professor said that her piece was not exactly copied. For instance the sentences were shortened. What can the writer do, if his researches turn up a text that expresses exactly what he wants to say? He can try to improve the style. He will hardly want to add mistakes, or clumsy phrasing.

    My work on IBM compatible software involved a similar dilemma. We needed to produce exactly compatible enhancements, but should not copy the code. Really we were not allowed to look at the IBM code, although the source was made public. We could mot afford a separate team to read the code and convert it to an exact specification for the programmers. So we just rewrote the code to be more elegant and efficient.
    I considered it a mistake by IBM that they copyrighted the code. Earlier versions were not copyrighted. This had led to IBM hardware and software becoming an international standard, which surely helped IBM. The competitors had to wait to see what came next, so IBM was always a jump ahead. This finished with the copyright, particularly after court cases against the Japanese.
    IBM also managed to copyright programming algorithms, which were obvious. Any good programmer would do it that way.

  4. Now I remember reading that the „business management“ experience mentioned in Guttenberg’s Curriculum Vitae turned out to be just helping with management of the family estate. The firm Guttenberg denied the rumour that he had worked for them.

  5. Ich wage mal zu behaupten, in jeder Doktor- oder Diplomarbeit etwas „Geklautes“ zu finden.
    Vielleicht vergleiche ich das mal mit der Musik – jede Harmonie von Tönen wird irgendwann wiederkehren, ich muß nur weit genug in die Tiefe gehen.
    Genauso sehe ich das bei solchen Arbeiten.
    Vielleicht habe ich in meiner Diplomarbeit auch einen Satz verwendet, der woanders schon einmal nachzulesen war.
    Das Problem liegt woanders, es liegt im Ego der Damen und Herren, die sich einen Doktortitel an den Namen fügen und sich somit für etwas besseres halten.

    Ich benutze prinzipell keine Andreden wie „Herr Doktor“ oder „Herr Professor“. Wenn mich dann jemand darauf aufmerksam macht, bitte den Titel zu benutzen, würde ich von Ihr/Ihm verlangen, mich „Herr Inschinör“ zu nennen und auf weitere Konversation dankend verzichten.
    Um auf Herrn Guttenberg zurückzukommen – er soll seinen Job machen und den macht er wohl ganz gut, ob er eine Doktorarbeit geschrieben hat oder nicht ist irrelevant. JUS

  6. Nun, die rege Diskussion freut mich. Doch irrelevant ist es nicht ganz, ob er seine Doktorarbeit geschrieben hat oder nicht. Auch scheint es sich nicht loß um „ein paar Sätze“ zu handeln, sondern um ganze Abschnitte, die teilweise exakt von anderen Menschen übernommen wurden. Die Frage, ob geistiges Eigentum geschützt werden sollte ist eine eigene, was aber auf jeden Fall beklagenswert ist, ist sich mit falschen Lorbeeren zu schmücken und die Leistungen als die eigenen auszugeben. Man stelle sich vor man verfasst einen Aufsatz, der einem möglicher Weise sehr viel Geld bringen kann. Dann kommt ein Kollege, nimmt den Aufsatz und kassiert das Geld. Würde einen das freuen? Wohl doch nur, wenn man den Kollegen wirklich wirklich gern hat.
    Meiner Ansicht nach wird viel zu viel plagiiert und viel zu nachlässig mit der gesamten Thematik umgegangen. Das betrifft nicht nur die Unis sondern auch den gesamten kulturellen Bereich.
    Ein Werk als das eigene zu schaffen ist eine kreative Leistung, die honoriert werden sollte. Geschickt zu betrügen, ist sicherlich auch eine Leistung. Diese sollte aber anders bewertet werden als die kreative.

  7. Hmm, was den lateinischen Titel anbelangt, so hätten Sie jenen besser richtig kopiert als falsch übersetzt.

    Aber als jemand, dem die „akademische“ Welt genauso fremd ist wie dem Bild-Söldner, den Sie mit Ihrem Artikel unfreiwillig aufwerten, interessiert mich Ihre Meinung zu der seit geraumer Zeit immer
    wieder publizierten Behauptung, es gäbe zwei Arten von Doktorarbeiten, Typ I mit dem Anspruch mit einer wissenschaftliche Leistung die Welt zu bereichern und Typ II als Mittel zum Zweck des Erwerbs von Reputation durch einen akademischen Grad.

    Wenn es diesen ‚Typ II‘ wirklich gibt, und ein Blick ins Antlitz dieser Ponyhof-Ministerin lässt da Schlimmes erahnen, ist dadurch nicht bereits die universitäre Lehre kompromittiert ?

  8. Stimmt natürlich, vielen Dank für den Hinweis, den ich sogleich berichtige.

    Um auf Ihre Frage einzugehen: Ich denke, die Aufteilung in Typ I und Typ II Doktorarbeiten ist natürlich – wie auch sciherlich mein gesamter Artikel sehr vereinfachend dargestellt. Dazwischen und daneben gibt es noch viele mögliche andere Formen. Aber was den Typ einer Doktorarbeit angeht, die nur als Mittel zum Zweck verfasst wird, so ist dies sicherlich in der akademischen Welt vorhanden. Leider nicht nur da. Bereits bei einfachen Hausarbeiten gibt es mittlerweile einen großen Teil, der auf plagiierten Stoffen beruht. Vergleichbar ist dieses Vergehen sicherlich mit einem Abschreiben in Klausuren. Auch eine Art Betrug, bei der man sich die Leistungen eines anderen zu eigen macht und sie als die eigenen ausgibt. Sicherlich, in einer Doktorarbeit zu plagiieren wiegt weitaus gewichtiger, aber das generelle Schema ist das gleiche. Und das beginnt ja bereits außeruniversitär in der Schule.

    Ist also damit auch die universitäre Lehre kompromittiert? Sicherlich ist sie das. Und das Plagiieren stellt sicher auch nicht den einzigen Bereich dar, in welchem Dinge schief laufen oder falsch. Man kann es jedoch auch so betrachten, dass in der gesamten universitären Entwicklung der letzten Jahrhunderte sich sehr viel getan hat. Viele Missstände existieren immer noch wie vor Jahrhunderten, allerdings existieren auch wesentlich mehr Freiheiten. Die Hochschulen erreichen viel breitere Gesellschaftsschichten als früher und einige Forschungsbereiche in Deutschland sind im weltweiten Vergleich top. Allerdings gibt es immer noch viele Bereiche, an denen gearbeitet werden muss, viele Bereiche, in denen die Diskrepanz zwischen Menschen, die akademische Ehrungen geschenkt bekommen und jenen, die sie sich erarbeiten zu groß ist, um sie still zu ertragen. Plagiate sind einer dieser Bereiche und einer der sich durch die sehr leichte Verfügbarkeit von Texten im Internet, von welchen man plagiieren kann, enorm erleichtert wurde. Es ist kein Problem sich auf Texte zu beziehen. Man kann diese Texte sogar in großen Abschnitten zitieren. Aber die größere und leider auch anstrengendere Leistung besteht im Formulieren von eigenen Gedanken, Sätzen und Worten. Weil es anstrengender ist, ist auch nachvollziehbar, warum manche Menschen zum leichteren Weg neigen. Unser Gehirn möchte ja auch Energie sparen.

    Die akademische Quellenangabe hat den positiven Nutzen die eigenen Gedanken und Entdeckungen, welche jemand gemacht hat, wertzuschätzen. Gebe ich sie nicht an, entrichte ich keine Wertschätzung. Etwas zu konsummieren, ohne es aber wertzuschätzen, deutet meines Erachtens nach auf zweifelhafte moralische Ansichten hin, gerade dann, wenn man es nicht nur einige Male macht (Versehen passieren nun wirklich jedem – s.o.), sondern das Ausmaß schlicht und einfach zu groß wird. Wo jeder von uns dieses Maß setzt, bei dem sie/er sagt, dass es nun zu viel ist, ist aber letztendlich subjektiv. Und wir verurteilen eine Handlung dann, wenn diese subjektiven Ausmaße über dem jeweiligen inter-subjektiven Schnitt einer Gesellschaft liegen.

    Wenn Personen wie ich einen Artikel wie den obigen verfassen, so möchten sie damit einfach ein wenig wachrütteln für einen Umstand, den sie selbst für kritikwürdig erachten, und das vor allem aus der Diskrepanz heraus zwischen geäußerter und beobachteter bzw. gelebter Moral.

  9. Danke für die ausführliche Antwort.

    Und es zeigt sich einmal mehr, daß Internet, Suchmaschinen und Wikipedia sich durchaus auch gegen den Sinn von Forschung und Lehre richten resp. gerichtet werden.

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