Computer Vintage #12 „Wie der Werkschutz den Betriebsrat hopps nahm“ oder „Der gehackte Erlkönig“ (1980)

Ende 1979 habe ich innerhalb Siemens gewechselt. Von UB D DF 131 ging ich nach UB D VS. Die erste Abkürzung stand für das Labor für Datenfernverarbeitung, das Kürzel VS in der zweiten Abkürzung für Vertrieb Sonderprojekte.

Dort spielte die „IT-Musik“: Projekte wie START (die erste Vernetzung von DB, Reisebüros und Lufthansa), ITS (das integrierte Transportsystem der Deutschen Bundesbahn), SNATCH (SNA-Transdata Coupling of Hosts) oder auch Dispol (ein völlig neues Computernetz für die Bayerische Polizei) waren revolutionär mit bis dahin unvorstellbarer neuer Funktionalität.

Der Wechsel war für mich sehr vorteilhaft, da ich tariflich von bei 6.2 stehend nach 7.2 befördert wurde. Das war damals eigentlich bei Siemens unmöglich, aber bei den Sonderprojekten ging manches, was im normalen Siemens-Leben unmöglich war.

Mein Einsatz war in SNATCH geplant. Transdata kannte ich, aber von der Konkurrenz von IBM (SNA) hatte ich nur rudimentäre Kenntnisse hatte. Auch das wollte ich durch meinen Wechsel ändern.

Aufgrund großer Schwierigkeiten im Projekt Dispol wurde dort dringend ein TRANSDATA-Spezialist gebraucht. So wechselte ich unter Murren ins Projet Dispol, habe das später aber nie bereut.

Was macht man, wenn man neu in eine Abteilung von IT-Spitzenkräften kommt? Man zeigt sein Können, um gleich mal fachlich respektiert zu werden.

So habe ich ein paar Insider-Kenntnisse meines Labor-Knowhows gezeigt. Es war für mich relativ einfach, über ein DSG (Datensichtgerät) den das Gerät versorgende Datenstationsrechner (TRANSDATA-Begriff für ein System der Reihe 96xx, an dem lokal Endgeräte angeschlossen wurden und dann ins Netz „multiplext“ wurden) zu „hacken“ und über Administrations-Zentren (Stationsnummer 1) und Connection Handler (Stationsnummer 2) Zugang zum gesamten Netz zu kriegen.

Ja, man gibt ein klein wenig an, und schon passiert es.

Ein eifriger Kollege X, im „Nebenberuf“ Betriebsrat, mittlerweile im Vorruhestand, war mein gelehrigster Schüler. Auch sein Datensichtgerät war über einen Datenstationsrechner am großen Siemens-Netz „Erlkönig“ angeschlossen. Das Netz Erlkönig war damals eines der modernsten Netze der Welt und das Heiligtum der Siemens AG. Und wer im Erlkönig drin war und sich mit der Betriebssystemsoftware BS2000 und PDN (BCAM, DCAM, UMTS und UDBS, TRANSDATA, ADMIN …), der konnte alles machen (alles im wahrsten Sinne des Wortes!).

X hackte ihn, den Erlkönig! Nicht weil er Böses wollte. Nein, mehr aus Neugierde und vor allem, weil er sich immer wahnsinnig über Kollegen ärgerte, die die knappen Betriebsmittel egoistisch verschwendeten.

Rechenzeit war teuer und die Anzahl der möglichen Logins sehr beschränkt. Und Kollegen, die einfach mal 20 Minuten eingeloggt blieben, ohne zu Arbeiten und so einen wertvollen Zugang zum Rechner blockierten (der automatische Zwangs-Logout erfolgte meines Wissens nach 30 Minuten Inaktivität) waren ihn ein Dorn im Auge.

Und X fühlte sich wohl als privater „Polizist“ im Erlkönig. Er fand beliebig Systemnutzer und ärgerte diese mit Botschaften aus dem Nichts. Haften geblieben ist mir eine Frau Maus. Frau Maus ging mit ihrem Anschlus besonders asozial um. X sandte ihr dann öfters mal Drohmeldungen, wie „Vorsicht, Katze jagt Maus“ und ähnlichem.

Und dann passierte, was (fast) immer passiert, wenn man Böses macht. 2 Herren im Trenchcoat stürmten an einem verregneten Vormitag durch die beiden Türen unseres Zimmers und stürzten sich auf das Datensichtgerät von X. Und erwischten ihn in flagranti und nahmen in auch gleich mit.

Einige der von X gerügten Kollegen hatten den Vorfall gemeldet, ein Spezialisten-Team hat den Erlkönig wohl wochenlang nach dem Absender der Botschaften durchforscht und die Quelle identifiziert
🙂 Hätte man übrigens viel schneller finden können, wenn die Spezialisten sich ein bisschen besser in Transdata ausgekannt hätten.

Das ganze nahm einen glimpflichen Ausgang, weil unsere Chefs sich für unseren Kollegen enorm einsetzten und der ja auch nichts Böses angestellt hatte.

Meine Person kam gar nicht ins Spiel, denn X war ein guter Kamerad und verriet nicht, dass er sein Wissen von mir hatte.

🙂 Aber sein IT-Ansehen bei Siemens stieg gewaltig.

Und ich habe es ihm gegönnt, nicht zuletzt, weil er mich nicht verraten hat.

RMD

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