Snapchat – ein weiterer revolutionärer Mosaikstein in der Evolution von Social Media.

Vor drei Jahren (2013) war einer meiner Söhne auf einem Lehrgang („bootcamp“) in den USA. Er und seine Kollegen (wohl lauter „Techies“) haben schon damals Snapchat entdeckt. Und es spielerisch genutzt. Auf eigenartige Weise: Sie haben sich gegenseitig fragwürdige „Selfies“ – zum Teil auch nackt –  zu gesendet. Einfach so aus Gaudi. Und weil bei diesem „Instant-MessagingDienst“ die Botschaften ja nur einmal (mit einer Wiederholung) gesehen werden können und dann gelöscht werden.
Und natürlich gab es einen Spielverderber, der dann halt mal einen screenshot gemacht hat (das nur à propos Datensicherheit in der IT).

 Snapchat, Inc. Gemeinfrei - https://twitter.com/Snapchat
Snapchat, Inc. gemeinfrei https://twitter.com/Snapchat

Mittlerweile ist Snapchat auch bei mir angekommen. Ich bin sehr angetan und nutze es immer häufiger. Überwiegend in einem Kreis von Menschen, mit denen ich mich besonders gut verstehe.

Und habe so richtig Spaß und Freude dabei. So mein Urteil:
Snapchat ist ein revolutionärer Stein im großen und bunten Mosaik der Evolution von social-media.
Ich begründe es mal mit einer Reihe von Überlegungen zu verschiedenen Dimensionen des Produkts:

Das Logo:

Schon beim Logo zeichnet sich Snapchat aus. Ganz einfach und leuchtend gelb. Fällt angenehm auf und suggeriert schon die Anonymität.

Benutzeroberfläche:
Snapchat ist so verblüffend einfach, dass der von komplexer IT verbildete und verdorbene Nutzer (so wie ich einer bin) am Anfang überhaupt nicht damit zurecht kommt. Erst nach einiger Zeit macht es dann richtig Spaß mit Snapchat zu spielen – und plötzlich erkennt man, wie schlecht die Oberfläche fast aller sonstiger Apps ist.

Nutzerkommunikation:
So wohltuend habe ich selten den Dialog beim Erstkontakt mit so einer Internet-Instanz erlebt:
Allein die Versicherung bei der Bestätigung der Identitäts-E-Mail, dass ich bestimmt keine weitere E-Mail von snapshot bekommen werde, hat mich gefreut. Und die Hilfe (die es aufgrund der Einfachheit des Werkzeuge nur die verbildeten Nutzer brauchen) ist situativ wie es auch das einfach Einführungsvideo genial ist. Das sollte man sich wirklich anschauen, bevor man startet. Habe ich natürlich nicht gemacht, denn im Erraten von komplizierten Benutzer-Paradigmen bin ich wirklich gut … Nur beim Einfachen hat es dann ausgehakt.

Ausrichtung:
Hier ist die Botschaft ganz klar – dem Video gehört die Zukunft. So ist das zentrale Medium in Snapchat das Video. Und Snapchat so eine Art von asynchroner Bild-Telephonie. Natürlich mit bewegten Bildern. Das erscheint mir wichtig.


Einschub
Die jungen Leute (13 – 18 Jahre), die über Smartphones und Tablets verfügen, telefonieren nicht mehr. Sie machen in Bildtelephonie. Weil das viel schöner ist, denn man sieht den Partner mit seiner Mimik und Gestik. Deshalb müssen die Kids auch immer im Internet sein.  Die Welt ändert sich.

Wenn ich meinen älteren Partnern (von 20 – 50) vorschlage, lieber FaceTime, Hangout, Skype oder notfalls auch die Tools von Citrix oder Cisco und nicht das Telefon für eine Besprechung mit mir über eine größere Distanz (sei es von Haidhausen nach Neubiberg oder auch von Tokyo nach München) zu nutzen, dann ernte ich oft Verwunderung. Und ich bekomme häufig die Antwort:
Lass uns lieber telefonieren, das andere bin ich nicht so gewöhnt.

Die Manager des Wirtschaftswunders haben nie geschrieben. Sie hatten immer mindestens eine Assistentin, der sie ihre Korrespondenz diktiert haben. Die konnten dank Stenografie dem gesprochenen Wort gut folgen (mit einer dreistelligen Anzahl von Silben pro Minute bei der Aufnahme der Texte) und auf der Schreibmaschine ganz schnell schreiben (dreistellige Anzahl von Anschlägen pro Minute bei der Wiedergabe dann auf Papier).

Vor allem aber kannten sie ihren Chef – und sie haben ihn beim Diktat „live“ erlebt. So wussten sie, was er wollte und haben dann die Briefe immer in seinem Sinn „verbessert“. Erst unsere Generation hat dann alles gleich selber geschrieben – und unheimlich viel Zeit damit kaputt gemacht. Und wahrscheinlich vieles unteroptimal formuliert, zumindest schlechter als früher ihre Schreibdamen. Dann kamen die Diktiergeräte und schließlich die Computer, auf denen der Manager selbst schreiben musste.

Früher habe ich mich gehemmt gefühlt beim Sprechen aufs Bildtelefon. Aber das ist alles nur eine Frage der Übung. Telefonieren habe ich schon früh gut ein geübt. Aber bevor es die Handies gab, hatte ich auch ein Problem auf den Anruf-Beantworter zu sprechen. Mittlerweile spreche ich lieber ins Bildtelefon als dass ich schreibe. Weil Zweiteres eben viel schwieriger ist. Und auch noch länger dauert. Obwohl ich auch „blind“ und mit zehn Fingern schreiben kann.

So scheint mir, dass das im Internet immer mehr die Schrift durch das Video ablöst wird. So wie Kopfrechnen vom Taschenrechner ausradiert wurde. Ob wir das wollen oder nicht spielt keine Rolle. Wir müssen solche evolutionäre Prozesse einfach hinnehmen. Die Dinge kommen und gehen – so wie Menschen geboren werden um zu  leben und dann zu sterben.


Die Vergänglichkeit der Infos:
Die Datenschützer müssten spätestens seit Snapchat Angst kriegen, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Dafür muss der Nutzer weniger Angst haben vor Copyright-Verletzungen, wenn z.B. im Hintergrund ein Beatles-Lied läuft. Und wenn man mal ein wenig mehr den eigenen Emotionen freien Lauf lässt oder mal ein paar fremde Personen im Bild hat, braucht es auch keine schlaflosen Nächte.

Auch damit, dass Facebook & Co ihr Geschäft mit Daten und Algorithmen verdienen, wäre Schluss. Wenn dem überhaupt so ist. Denn Aussprüche, wie dass „Daten der Rohstoff der Zukunft sind“ sind eh Blödsinn. Man tausche in diesem Satz nur mal das Wort „Rohstoff“ gegen „Erdöl“ oder „Nahrungsmittel“ aus! Daten kann man eben so wenig fressen wie Geld, und im Tank des Porsches helfen sie auch nichts.

Ich kenne auch mehrere Cracks (richtig gute Leute) im „Big Data-Geschäfts“- die gelernt und mir klar gemacht haben, dass BigData eben keine Maschine ist, in der man „vorne Daten rein schüttet und hinten die Dollars raus kommen“. Im Gegenteil – in der Regel waren in der Praxis die verwertbaren Ergebnisse von BigData bisher immer sehr enttäuschend.

Veränderung:
Geo-Filter werden in Zukunft vor Hashtags gehen! Auch das ist ein Prinzip von snapchat, das richtungsweisend sein könnte. Geht doch die Entwicklung allgemein immer mehr in Richtung Regionalisierung und weg von zentralem oder gar zentralistischem Denken. Wir wollen doch eine Welt von Regionen auf Augenhöhe. Und wollen unsere Räume selber gestalten.
In social media haben wir immer prior in Hastags gedacht. Wie #pmcamp, #AktMobCmp, #tatort und die vielen Abkürzungen für Veranstaltungen aller Art wie #FCBBVB oder #32c3 … Nur – ich will doch wissen wer davon gerade in meinem Stadtviertel ist. Und erst dann kommt der #hashtag.

Geschäftsmodell:
Das Geschäftsmodell von Snapchat verstehe ich (noch?) nicht. Das mit der Werbung ist ja endlich. Und spätestens wenn eine Generation kommt, die immun gegen Werbung geworden ist, dann sieht es ganz schlecht aus. Snapchat soll angeblich mit Geo-Filtern sein Geld verdienen. Eine Lösung?

Ich könnte mir auch vorstellen, dass wenn mal ein Dienst so richtig gut ist und er seine Kunden süchtig gemacht hat, dass dann doch wieder Gebühren kommen. Vielleicht ist nur eine Frage der Zeit, dass die „alles ist umsonst“-Gesellschaft zu Ende geht. Und das Gute es dann wirklich wieder nur für echtes Geld gibt. Wenn es dann noch „echtes Geld“ gibt.

Gesellschaftliche Folgen:
Wir wollen doch im Jetzt und Heute leben. Den Moment erleben und wenn möglich genießen. Das ist auch einer der 5 Dinge, die man wissen sollte, bevor man stirbt. Siehe dazu meinem Artikel zum tollen Buch von John Izzo.

Snapchat ist immer noch ein wenig „besser“ als das wahre Leben. Ich kann mir die Botschaft meiner Partner noch ein zweites Mal anschauen – erst dann ist sie weg. Wie oft hätte ich im Leben einen gesprochenen Satz von mir wichtigen Menschen gerne nochmal gehört …

Aber ansonsten ist Snapchat social media so wie das echte Leben. Und kein Archiv für die Ewigkeit. Das vielleicht bald keiner mehr will.

Einsatzmöglichkeiten:
Mir sind da auf Anhieb da eine Reihe von Möglichkeiten eingefallen, wie ich Snapchat nutzbringend einsetzen könnte.

* Zum engen Dialog mit lieben Freunden.
Mit Freunden kann man sich wirklich optimal auf Snapchat austauschen:

  • Einfacher geht es nicht.
  • Empathie, Anteil nehmen und geben.
  • Ein Video sagt mehr als 1.000 Worte

* Für subtiles aber mächtiges Marketing
Ein gute Beispiel liefern wieder die Amis und die Sport-Millionäre der Moderne:

  • Nasa
    Ein Beispiel einer Institution, die über Snapchat exzellentes Marketing für ihre Produkte und Visionen macht.
  • Fußballstars äußern nach dem Pokalfinale ihre Emotionen noch in der Kabine auf Snapchat.
    Wenn jemand viele Millionen im Jahr verdienen will, dann muss er natürlich nicht nur gut Fußball spielen können, sondern auch weitere Fähigkeiten haben, wie z.B. Meister im sich selbst vermarkten sein. Wahrscheinlich machen die Kollegen da auf dem Rasen da etwas besser als wir …

* Als unterstützendes Internetwerkzeug für Barcamps
Könnte gut sein, dass hier Twitter von Snatchap abgelöst wird.

  • Wir haben früher Twitter genutzt.
  • Snatchap könnte da noch eins darauf geben.

* Um wichtige Botschaften zu senden.
Da sehe ich ganz viele gute Gründe für Snapchat.

  • Snapchat könnte die Plattform für unser Projekt „FRIEDEN“ werden! Weil:
  • Wir wollen die jungen Menschen erreichen und
  • Wir müssen „vernünftige Argumente“ und Emotionen transportieren!

Soweit meine Reflektionen zu Snapchat und social media.

Aber Snapchat ist nicht das Ende der Evolution von social media. Es wird auch hier immer wieder etwas Neues mit neuen Qualitäten und Möglichkeiten geben. Ich bin schon gespannt, was als Nächstes kommt.

RMD

4 Antworten

  1. Return of Dr. Spitzer? I remember a few years ago, regular programs on TV, where Prof. Manfred Spitzer explained how the brain works. I believe I wrote approval in this blog. I find him clear and convincing, slightly better than Prof. Lesch, who explains everything else, but sometimes oversimplifies. I was glad to see Spitzer again on a recent chat show. He is back to promote his most recent book. He has moved on from critic of letting kids always use a calculator, rather than learning basic mental arithmetic. Now he criticises too much computer and mobile use, (see “Digital Dimenz”), on the basis of scientific studies. On TV, I saw a, (probably staged?), video of a family at breakfast, with father reading the paper, and with all the kids hacking on small keyboards. Maybe mother was experiencing normal life in the kitchen. I hope Roland’s enthusiasm for the brave new world is right, but I suspect that Spitzer is nearer the truth. Of course this may be because I have remained a computer caveman.

  2. Vielleicht ein Hinweis zum eigenen Artikel. Ich versuche die digitale Transformation hier am Beispiel „social media“ zu beobachten und ein wenig in die Zukunft zu „extrapolieren“.

    Ich möchte all das, was gerade passiert, nicht bewerten in dem Sinne ob das für die Menschheit gut oder schlecht ist.

    Es gibt also aus meiner Sicht kein gut oder schlecht, wenn z.B. die Nutzung von Videos das Schreiben und Lesen ersetzt. Persönlich halte ich auch Analphabeten, die nur noch Podcasts hören und Videos anschauen für genauso wertvolle Menschen wie die, die noch lesen und schreiben können. Und ich mag Leute, die nicht mehr im Kopf oder auf Papier rechnen könnten genauso wie die wenigen, die dies noch können.

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