Unsere lieben persönlichen Daten – Der Brief und das Eigentum?

Ergänzend zu den Überlegungen in meinem letzten Artikel zum Datenschutz ein Exkurs zu ähnlichen Problemen am Beispiel des so ganz harmlosen Briefs?

Die Sprache ist Voraussetzung für komplexere Kommunikation zwischen intelligenten Lebewesen. Mit der Sprache kam die Schrift. Die Schrift hat den Brief ermöglicht. Der Brief war für viele Jahrhunderte der Inbegriff von bilateraler Kommunikation über Raum und Zeit.

Aber wer schreibt heute noch Briefe? Wer überhaupt hat das wunderbare Geheimnis des Briefe-Schreiben und Empfangen noch selbst erlebt? Ich habe aus den ersten beiden Jahrzehnten meines Lebens noch ganz schwache Erinnerungen daran:

Für einen Brief braucht man Papier. Auf das schreibt man, früher gerne mit Tinte – und ganz ordentlich mit der schönst möglichen Schrift, die man so drauf hat. In der Regel gibt es eine ausgesuchte und höfliche Anrede. Der Text geht dann über eine oder mehrere Seiten, die entsprechend nummeriert werden. Das Werk wird mit einer Grußformel sowie Ort und Datum abgeschlossen und schließlich unterschrieben. Früher sogar gesiegelt.

Dann nimmt einen Umschlag, faltet das Papier und stecke es in den Umschlag. Der  wird zugeklebt, auf die Vorderseite der Empfänger und auf die Rückseite der Absender geschrieben. Das musste so sein, denn es gab eine – wie ich meine vernünftige – Postregel: Briefe ohne korrekten Absender wurden vor grauer Vorzeit nicht befördert. Klingt auch im Zeitalter von Spam ganz vernünftig.

Dann wird der Brief korrekt mit einer oder mehreren Briefmarken frankiert – oft unter Nutzung der Zunge. Die korrekte Frankierung ist ganz wichtig, sonst kommt der Brief nach einigen Tagen wieder zurück.

Schließlich wird der Brief in einen öffentichen Briefkasten geworfen. Früher waren das gelbe Kästen mit einem Horn. Der Schlitz in diesem gelben Kasten ist der Eingang zu einer Cloud, genannt Post. Aufgabe der hinter der Cloud liegenden Organisation war es, Briefe und damit die in diesem enthaltenen Informationen zuverlässig und schnell an Adressen in der ganzen Welt zu transferieren.

Die Post garantiert auch das Postgeheimnis. Das ist nicht immer verlässlich, denn zu allen Zeiten gab und gibt es Instanzen, die – ungesetzlich oder legitimiert durch eigenartige, aus Angst entstandene Gesetze – so einen Brief öffnen und den Inhalt prüfen. Abhängig vom Inhalt wird der Brief dann von diesen wieder verschlossen und weiter gesendet – oder auch mal behalten. Diese Instanzen arbeiten sehr geschickt. Der Empfänger merkt das oft gar nicht, dass der Briefes geöffnet, gelesen und wieder verschlossen wurde.

Das aber nur zum Verständnis von Briefpost. Mir jedoch geht es um die Frage, wer denn der Eigentümer eines solchen Briefes und dessen Inhalt ist?

So ein Brief wurde vom Absender erstellt (aufwändige Schreibart) und finanziert (Papier, Tinte, Umschlag, Porto). Der Empfänger bekommt ihn dann durch einen Boten aus der Cloud (Briefträger genannt) übergeben.

Wem gehört jetzt der Brief? Bei der „Hardware“ scheint mir das einfach zu sein. Papier und Umschlag würde ich als juristischer Laie als Geschenk sehen. Tinte und Porto spielen keine Rolle. Die Tinte ist ja mittlerweile verdorben und die Briefmarke entwertet. Der Absender hat dem Empfänger das Papier und den Umschlag geschenkt. Wie ist es jedoch mit dem Inhalt?

Nehmen wir an, Sender und Empfänger wären ein Ehepaar. Die Inhalte im Brief sind Teile der Kommunikation ihrer ehelichen Beziehung. Wem gehört dann der Inhalt: Dem Schreiber (Absender) oder dem Leser (Empfänger)? Oder beiden zu gleichen Teilen? Was ist, wenn der eine den Brief veröffentlichen will – aber der andere nicht?

Ändert sich das Eigentumsrecht, wenn z.B. die Geschäftsgrundlage – sprich die Ehe durch Scheidung – weg fällt? Geht dann das Eigentum am Text an den Schreiber (Absender) zurück? Wer darf dann mit dem Brief Geld verdienen?

Was ist denn, wenn der Brief fremdes Eigentum enthält, z.B. ein Liebesgedicht eines zeitgenössischen Autors, das aus einem Buch abgeschrieben wurde? Bei „gewerblicher Nutzung“ wäre das ja Diebesgut. Darf der Empfänger das weitergeben? Oder geht das nur im „privaten“ Fall. Oder muss der Empfänger dann das fremde Eigentum zurück geben, den Urheber fragen, und gegebenenfalls dessen Eigentum an ihn zurückgeben?

Und wenn ja, wie geht das? Wie kann ich etwas zurück geben, dass ich gelesen habe. Was passiert, wenn dritte berechtigt oder unberechtigt den Brief lesen? Was haben sie eigentlich gestohlen? Wen haben sie bestohlen – den Sender  (Empfänger) oder den Empfänger (Leser). Welcher Schaden ist entstanden?

Was ist los, wenn der Empfänger den Brief – vielleicht gar ohne ihn zu lesen – vernichtet. Darf er das – oder hat er dann den Sender geschädigt? Er hat ja Daten (Eigentum) des Senders vernichtet. Und was ist, wenn der Sender vor dem Absenden eine Kopie gemacht hat. Darf er die dann Jahre später so veröffentlichen? Ohne den Empfänger zu fragen?

Was passiert denn, wenn der Brief durch einen dritten gefunden wird. Gehört dann der Inhalt dem Finder? Doch wohl nicht. Darf der Sender einschreiten, wenn Kopien des Briefes z.B. durch einen Verlag dem Empfänger abgekauft und als Teil eines Buches veröffentlicht werden?

Was ist, wenn der Brief im nach hinein sehr wertvoll wird? Ist es überhaupt gerecht, wenn ich jemanden einen vermeintlich wertlosen Inhalt abkaufe und dieser plötzlich im Wert steigt, weil die verkaufende Person berühmt geworden ist. Oder wäre das ein Verstoß gegen die guten Sitten?

Gibt es wirklich den Unterschied von Inhalten zwischen privater und gewerblicher Nutzung? Wenn wir im Internet eine Tauschbörse von Briefen hätten, bei der nie Geld im Spiel ist, wäre das eine gewerbliche Nutzung?

Ist das alles nicht Unsinn?

Und jetzt projektieren ich mal solche Gedanken in die Welt von SMS, E-Mails, Twitter, Facebook, Google und des Internets allgemein. Sind da alle diese Fragen sinnvoll zu diskutieren. Müssen sie unbedingt durch Gesetze geregelt werden? Oder sind die Fragen an sich schon sinnlos? Wäre es nicht endlich an der Zeit, beim Thema persönliche Daten, Copyright etc. radikal umzudenken und auch rechtlich ganz von vorne anzufangen?

Und beim Neuanfang die Ohren vorsorglicher Weise ganz konsequent zuzustöpseln und genauso die Sakko-Taschen zuzunähen, damit die Lobby der Inhaltshändler nicht gleich wieder alles mit ihrem Einfluss kaputt macht.

RMD

P.S.
Briefe zwischen zwischen Heisenberg und Einstein sind mir in guter Erinnerung. 1969 hat der Professor Lammel (Analysis I) an der damaligen TH München (heute TUM) aus diesen Briefen vorgelesen. Das war ein sehr schönes wenn auch wohl altmodisches Studentenerlebnis.

🙂 Wer es mehr staatsmännisch mag, der kann die Briefe nachlesen, die Voltaire dem „alten Fritz“ geschrieben hat. Oder für die ein wenig revolutionären: Jean Paul feiert im nächsten Jahr Geburtstag. Er wird 250 Jahre alt. Ein guter Anlass, die Briefe nachzulesen, die er geschrieben und bekommen hat!

6 Antworten

  1. „Mit der Sprache kam die Schrift“. I find this misleading, or is this due to my poor German? Of course, writing came long after speech, and was a further great cultural evolution.

  2. Lieber Chris, auch zu meiner Überraschung haben die Menschenartigen vom Zeitpunkt des aufrechten Gangs und später der Nutzung und Entwicklung von Werkzeugen sehr lang gebraucht, bis dass sie Sprache entwickelten. Der Zeitraum von der Sprache zur Schrift war dann erstaunlich kurz, nur ganz wenige Tausend Jahre. Lies es mal nach, ist ist wirklich verblüffend.

  3. Dear Roland, looking in wikipedia, I see that the origin of speech is very unclear. But it may well go back half a million years to Homo heidelbergensis, who had a similar brain size to mine. It almost certainly goes back at least to the FOXP2 allele mutation which was common to Sapiens and Neanderthals, and so is at least 200,000 years old. This allele permits much finer control of the muscles needed for speech. Selection for this allele was surely due to its usefulness for fairly complex speech.
    Writing is generally believed to have originated around 3200 BC.
    I did read a theory that odd groups of dots in cave paintings some 40000 years old represent a very ancient form of writing, but this is not accepted. If it is anything in this direction, perhaps it is the artist’s signature.
    So where did you find this abstruse theory that writing came soon after speech? What date was suggested?

  4. Lieber Chris, ich glaube, wir haben ein Definitionsproblem. Sprache ist nicht gleich Sprache.Ich habe gelesen und auf einschlägige Nachfrage die Antwort bekommen, dass Sprache im heutigen Sinne (als formales Kommunikationsmittel von Inhalten mit ausgeprägter Begrifflichkeit und Grammatik, gerade mal so um 10.000 vor Christi existiert hat.

  5. Dear Roland, throw away what you read. It is about as daft as the views of Chomsky, who puts huge emphasis on recursivity in grammar. (I attended a lecture by him about 50 years ago, and thought even then that he had got it wrong).
    Do you really think that people were wasting huge amounts of energy supporting huge brains for half a million years, without using them for fairly complex speech? Speech must have been a main factor in Homo sapiens‘ triumph over the world, which started some 50000 years ago. (The problem is to explain why this expansion started as late as that).
    What is the evidence for your 10000 B.C. date? Various tribes with complex speech have been isolated from each other for longer than that. Do you think they all developed complex speech independently?

  6. Nach den mir bekannten Theorien auch aus der Gehirnforschung waren die Gehirne der Menschenartigen und ihre höher entwickelten Formen lange Zeit auf das Speichern und vergleichen von Mustern ausgerichtet. Damit kommt man auch schon ganz schön weit.
    Die Fähigkeit zum Assozieren und Strukturieren kam erst ganz am Ende … Und das der Weg von Mustererkennung zu Logik lange ist, das leuchtet mir ein.
    Ein weiterer Grund ist doch, dass wenn ein Wesen Denken und Geschichten erzählen kann, das Erfinden von Notation dafür doch ein natürliches Bedürfnis und auch nur noch ein kleiner Schritt ist. Da sind doch 3.000 Jahre wirklich mehr als genug.
    Aber lass da die Wissenschaftler streiten und nicht uns.

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