Dies ist ein ganz besondere aber trotzdem wahre Geschichte. Sie hat mein Leben beeinflusst.
Es war Anfang der 80iger Jahre, ich war frischer Vater und hatte ein süßes Baby zu Hause. Mein Arbeitgeber war die Softlab GmbH. Wir hatten einen „schwarzen Freitag“, an dem 2 große Projekte mit ca. 30 Kollegen unerwartet gestoppt wurden, Deshalb haben wir uns richtig Mühe gegeben, neue Kunden zu gewinnen.
Die Deutsche Bundesbank schrieb ihre „2. Automatisierungsstufe“ aus. Es war eine richtig große Ausschreibung. Softlab bildete gemeinsam mit Kienzle eine Bietergemeinschaft. Kienzle war für die Hardware zuständig, Softlab sollte den Software-Teil übernehmen. Es ging um die informationstechnische Ausstattung der Niederlassungen der Deutschen Bundesbank, die Zentrale war schon „automatisiert“.
Kienzle war ein kleiner IT-Anbieter, der damals zwar einen guten Namen hatte, aber nur in Baden-Württemberg erfolgreich war. Kienzle verfügte über ein innovatives Rechnersystem im oberen Bereich der mittleren Datentechnik (MDT), das technologisch auf Prozessoren von Texas Instruments (TI) basierte. Die Systeme verfügten über einen pfiffigen Kommandointerpreter und ein pragmatisches Cobol-Entwicklungssystem. Eine echte Besonderheit war die skalierbare Mehrprozessor-Architektur, das war damals bei MDT schon etwas besonderes.
Der Geschäftsführer des Bereichs Datensysteme von Kienzle war Dr. Bindels. Dr. Bindels war ein Realist. Sein Ziel war, bei der Ausschreibung einen der vorderen Plätze zu besetzen, um zu zeigen, dass Kienzle auch auf bei großen Projekten ein ernst zunehmender Anbieter sei. Die Favoriten waren IBM, Nixdorff und Siemens, damals bei einer Bundesbehörde eine übermächtige Konkurrenz. Softlab-seitig wurde ich für die Erstellung des Angebots eingesetzt. Als ewiger Optimist wollte ich natürlich gewinnen.
Eine (negative) Folge des Projektes für mich waren 6 Wochen Aufenthalt von Montag bis Freitag in Villingen-Schwennigen. Das war mir als junger Vater gar nicht so recht.
Zwei für die Geschichte nicht wichtige aber doch erwähnenswerte Ereignisse am Rande des Projektes sind mir haften geblieben.
Einmal gab es ein Treffen der Konkurrenten, da waren wir auch dabei. Lustig war, dass die VB’s (Vertriebsbeauftragten) unserer Konkurrenz von IBM, Nixdorf und Siemens ihre Arbeitgeber gerade zyklisch gewechselt hatten und bei dieser Ausschreibung erstmals für ihre neue Arbeitgeber tätig waren.
Und auf der Hinfahrt nach Villingen-Schwennigen ging mir der Bremszylinder an meinem ziemlich neuen, roten VW Passat Diesel kaputt. Das war nicht so lustig, aber es ist nichts passiert. Auf Höhe Dasing war eine VW-Werkstatt und hat das Problem schnell und auf Kulanz gelöst.
Aber das war nicht wichtig, wichtig war nur, wie wir die Ausschreibung gewinnen konnten. Es gab nur eine Lösung: Die Last in den einzelnen Geschäftsstellen war sehr unterschiedlich. Unser (Kienzles) Wettbewerbsvorteil war die Skalierbarkeit unseres Systems. Wir konnten das unterschiedlich Lastprofil in den Filialen mit einer Produktlinie abdecken!
In gut vier Wochen entstand ein dickes Angebot und eine verblüffend perfekte Merge/Sort-Anwendung über Rechner- und Plattengrenzen hinweg, die ein freiberuflicher Kollege zauberte. Und dann hatten wir es tatsächlich geschafft – wir waren unter den letzten Drei! Einen der großen Favoriten, ich glaube es war IBM, hatten wir hinter uns gelassen. Wir bereiteten uns auf die finale Präsentation vor.
Bei Softlab gab es eine Abteilungssekretärin, die wunderschön malen konnte. Wir versuchten mit einer einfachen und witzigen Botschaft den Vorteil der Skalierbarkeit aufzuzeigen. Es entstand ein Flipchart mit vier Bildern: Das erste zeigte einen römischen Kampfwagen mit einem Pferd, das zweite einen eleganten Zweispänner, das dritte eine Postkutsche mit vier Pferden und last-not-least war ein Oktoberfestwagen mit 6 Pferden dran. Die Botschaft war klar. Alles wurde wunderschön nach Vorlagen handgemalt (und das ohne Google und Internet), wir pinselten 2 volle Tage an dem Flipchart. So etwas ging damals bei Softlab!
Die vier Bilder wurden sorgfältig mit weißem Papier abgedeckt, das leicht entfernt werden konnte. Das Flipchart wurde achtsam nach Villingen-Schwenningen gebracht, die finale Präsentation konnte kommen.
Dann war es soweit. Unsere verbliebenen Konkurrenten – ich meine es waren Siemens und Nixdorf – präsentierten lange Foliensätze auf dem Overheadprojektor. Und sie überschritten die Ihnen zugeteilte Zeit deutlich. Damals ärgerte ich mich noch über so etwas.
Und dann waren wir dran, der chancenlose Außenseiter. Ich hatte einen Vortrag über die Software-technologische Überlegenheit von Softlab von meinem Chef dabei. Den wollte ich zuerst halten, dann die Demo präsentieren und am Schluss mein Plakat enthüllen. Spontan habe ich umgestellt. Den Vortrag habe ich weggelassen. Nach dem Motto „In der Kürze liegt die Würze“ und „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ habe ich mein Bild enthüllt und die Vorteile von skalierbarer Mehrprozessortechnologie beschrieben. Und dann haben wir eine Superdemo hingelegt und uns bei den Zuhörern für ihr technologisches Verständnis bedankt. Nach gut 30 Minuten waren wir fertig. So einfach war es damals, Aufträge zu gewinnen 🙂 !
Die Geschichte hatte ein paar Folgen:
Unser Gewinn war eine Sensation und Kienzle veranstaltete eine große Siegesfeier. Dr. Bindels hielt eine überzeugende Rede. Ausführlich begründete er, dass alle anderen Hersteller entweder nur horizontale oder vertikale Lösungen beherrschen würden. Nur das Gespann Kienzle-Softlab könne beides. Das als Festschmaus gedachte Spanferkel kam zu früh – die Rede war noch nicht zu Ende – und wurde mir gegenüber abgestellt. Und dann hat es mich mit ganz traurigen Augen angesehen. Da kleine Ferkel durchaus Ähnlichkeiten mit kleinen Menschen haben, musste ich an mein Baby zu Hause denken und habe an diesem Abend beschlossen, in Zukunft mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Projektleiter für das gewonnene Projekt wurde mein Freund Dr. Hanns-Martin Meyer, wir beide hatten kurz vorher bei Softlab an einem Projekt für die Deutsche Bundespost (unser Kunde war SEL in Stuttgart, es ging um Bildschirmtext) als 2-er-Team intensiv und nach unser beider Meinung mit mustergültigem Ergebnis zusammen gearbeitet. Hanns-Martin wurde später Geschäftsführer bei Telenorma (die wollten auch IT-Systeme herstellen und verkaufen) und noch später Vorstand bei IXOS.
Die Fachanwender der Deutschen Bundesbank wurden mit einer intensiven (und teueren) Ausbildung in die Lage gebracht, ihre komplexen Fachprozesse mit SE/T/E/C (die geschütze SW_Entwicklungsmethode von Softlab) zu beschreiben. Und daran hat Softlab ziemlich gut verdient.
Und dann gibt es so ein Gerücht, dass nach einem Jahr ein LKW im Auftrag der Bundesbank viele Zentner Papier – das fachliche Pflichtenheft – bei Softlab abgeliefert und die Kollegen dort zur Verzweiflung gebracht hat. Ob dies wahr ist und ob das Projekt je etwas wurde, weiß ich nicht, auch nicht, ob jemals Kienzle-Systeme bei der Bundesbank installiert worden sind. Ich habe Softlab zeitnah verlassen und meinen „Spanferkel-Vorsatz“ umgesetzt.
RMD
Die Geschichte ist nach bestem Wissen und gewissen wiedergegeben. Alle Details sind aus meiner Erinnerung. Ungenauigkeiten oder Fehler bitte ich zu entschuldigen und korrigiere diese selbstverständlich gerne.