Die Patientenverfügung: „Ein neues Gesetz!“ oder „Wird Sterben zum Prozess?“

Zum 1. Sep­tem­ber 2009 tritt das Drit­te Ge­setz zur Än­de­rung des Be­treu­ungs­rechts in Kraft. Patientenverfügungen sind zu­künf­tig nur wirk­sam, wenn sie schrift­lich ver­fasst und vom Aus­stel­ler ei­gen­hän­dig durch Na­mens­un­ter­schrift oder durch ein no­ta­ri­ell be­glau­big­tes Hand­zei­chen un­ter­zeich­net sind.

Alles soll einfacher werden – und wird de facto komplizierter. Das neue Gesetz soll dem Menschen mehr Autonomie geben und ihm erlauben, vorausschauend die Art seines Todes zu bestimmen und so den eigenen Willen verpflichtend für Dritte festzulegen.

Das Zauberwort heißt „Patientenverfügung„.

Das Gesetz ist wie alle neuen Gesetze nicht klar und einfach. Um dieses Problem zu lösen, gibt es Broschüren, die bei der Anwendung des Gesetzes helfen sollen. Diese enthalten vorbereitete Formulare und Textbausteine zu den unterschiedlichen Szenarien des Sterbens, praktischerweise auch gleich zum „download“.

Einfache Fallbeispiele („use case“) helfen beim Erstellen der Patientenverfügung. Durch einfaches Ankreuzen oder kombinieren von Bausteinen kann man festlegen, was passieren soll, wenn man zum Beispiel in ein Koma fällt oder einer an einer unheilbaren Krankheit leidet. Das individuelle Sterben wird behandelt, als ob es sich um einen normalen Geschäftsprozess handeln würde.

Zahlreiche Empfehlungen werden gegeben:

Beim Erstellen einer Patientenverfügung dürfe man nicht frei texten, sondern sollte man sich an die vorgegebenen Textbausteine und Formulare halten. Freitext ohne anwaltliche Beratung könne aufgrund der diffizilen juristischen Situation zu nicht rechtswirksamen Patientenverfügungen führen.

Und man soll einen kompetenten Berater bei der Erstellung seiner Patientenverfügung hinzunehmen. Das kann z.B. der Hausarzt oder Seelsorger sein. Die könnte man auch bevollmächtigen, so man denn keine Kinder oder Angehörigen habe.

Und überhaupt müsse man seine Patientenverfügung alle 2 Jahre überarbeiten. Die individuelle Lebenserfahrung würde im Laufe der Zeit die in der Patientenverfügung festgelegten Dinge überholen.

Das alles verstehe ich. Denn wenn ich mit 20 eine Patientenverfügung geschrieben hätte, dann hätte ich heute garantiert vergessen, was ich damals notiert hätte. Außerdem habe ich mit 20 eh nicht daran geglaubt, dass das Leben nach 40 noch lebenswert sein könne. Und ich halte es für vermessen, dass ich heute sagen kann, was ich mir zum Zeitpunkt meines Todes wünschen würde.

Aber ich bedauere, dass ich jetzt auch schon mein Sterben wie einen Prozess definieren soll. Vielleicht bald einer ISO-Norm folgend.

Dabei will ich doch nur, dass die Menschen und Ärzte, die mich (hoffentlich) auf meinem letzten Wege begleiten, lebenserhaltende Maßnahmen nur nach einer sittlich verantworteten Güterabwägung durchführen und dabei auf keinen Fall von kaufmännischen Interessen geleitet werden.

Sterben ist vielleicht das letzte Erleben im Leben. Und der Tod etwas heiliges, den man nicht zum „use case“ vereinfachen sollte. Und ich fürchte, dass all diese gut gemeinten Gesetze uns (wie so oft) nichts bringen werden.

RMD

P.S.
Die Broschüren findet man im Internet, kann sie aber auch im Buchhandel (glaube für 3,90 EURO) kaufen.

😉 Jetzt frage ich mich auch noch, mit welcher Abrechnungsnummer der Hausarzt die Leistung „zweijährliche Beratung bei der Erstellung einer Patientenverfügung“ bei der Krankenkasse abrechnet und wie viel Geld für diese zusätzliche Leistung im „Gesundheitsfond“ bereit gestellt wird.

3 Antworten

  1. Anwendungsfall, Fallbeispiel, siehe auch

    http://de.wikipedia.org/wiki/Anwendungsfall

    Einfach die denkbaren Szenarien die auf dem Wege zum Erreichen eines Zieles möglich sind. Im konkreten Fall die Varianten auf dem Wege zum Tod, bei denen es möglich ist, durch Technik das Sterben hinauszuschieben.

    Vielleicht als Beispiel zum Artikel: Ein „use case“ könnte das Szenario sein, wenn der Autor der Patientenverfügung ins Koma fällt. Da kann es verschiedene Ursachen geben, wie Herzinfarkt, Gehirnschlag, eine andere Krankheit oder ein Unfall. Außerdem gibt es verschiedene Arten von Komas, wie z.B. das Wachkoma. Das wären dann die sub-„use case“. Jetzt gilt es zu definieren, wie die Szenarios behandelt werden soll, welche medizinischen Maßnahmen gewünscht und abgelehnt werden sollen usw.

    ;-( Das ganze könnte man auch in UML definieren, dann wäre die Patientenverfügung aber wahrscheinlich rechtlich nicht wirksam?!

  2. Die Gefahr, dass so eine Verfuegung ungueltig ist, ist nicht zu unterschaetzen. Ein Richter prueft, ob die Verfuegung alles notwendige enthaelt (alle Faelle abdeckt). Ist dies nicht der Fall, wird zur Entscheidung dieser Faelle ein Betreuer eingesetzt. Dies kann ein Verwandter sein, kann aber auch ein „Berufsbetreuer“ sein. Das entscheidet der Richter ganz alleine, wer das wird.

    Wenn Du kein Vertrauen in einen Berufsbetreuer hast (oder diesen nicht zahlen willst ;)), solltest Du halt besser eine wirksame Verfuegung haben. Wenn der Richter das leicht feststellen kann (Formblatt mit allen rechtlich richtig beschriebenen Formulierungen), steigt die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit enorm.

    Btw, meine Frau ist zur Zeit Richterin am Versorgungsgericht und macht unter anderem genau das, Betreuer einsetzen etc.

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