Dr. Schreber und das Korsett meiner Mutter

Schreber_(1883)_b_372Wer kennt den Dr. Moritz Schreber?
(* 15. Oktober 1808 in Leipzig;
† 10. November 1861 ebenda)

Den berühmten und berüchtigten deutschen Erzieher?
Den Berater der Eltern?
Den Autor des berüchtigten Erziehungsratgebers Kallipädie (1858)?
Den Konstrukteur praktischer (Folter-)Geräte für die Ausrichtung der jüngsten in der Familie?
Wer kennt ihn, nach dem der Schrebergarten benannt ist?
Denn ein nach Schrebers Tod 1864 vom Leipziger Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild gegründeter Verein bekam ihm zu Ehren seinen Namen.

Ich bin auf Dr. Schreber im Kabarett aufmerksam geworden. Der von mir so geschätzte und geliebte Jörg Hube hat sich für uns in seinem Kabarett „Herzkasperl’s Biograffl“ in nach Dr. Schrebers Zeichnungen nach gebaute Konstruktionen hinein gepresst.

Und hat uns auf zynische Weise demonstriert, wie grausam Kindererziehung sein kann und damals wohl normal war. Und dass man tatsächlich um tugendhafte Haltung zu erzwingen den Kindern Foltergeräte verpasst hat.

Zu Dr. Schreber ein Zitat aus Wikipedia:

„Geradhalter“ für korrekte Sitzhaltung
„Geradhalter“ für korrekte Sitzhaltung
Im programmatischen Vorwort des Erziehungsratgebers Kallipädie (1858) schrieb er:

Selbst sehr mangelhafte Naturmitgabe ist oft in staunenswerter Weise ausgleichbar durch wohlberechnete Erziehung, wovon die augenfälligsten maßgeblichen Beispiele in den immer höher steigenden Resultaten der Erziehungsanstalten für Taubstumme, Blinde, Blödsinnige, Cretinen, sittlich verwahrloste Kinder u. s. w. zu erblicken sind. Die glücklichste Naturmitgabe ist aber der Verkümmerung preisgegeben, wenn die erziehende Entwicklung derselben fehlt.

Der Begriff der Gesundheit schloss in dieser Zeit auch den Gedanken an „gesunde Triebabfuhr“ mit ein, weshalb Schreber unter anderem mit mechanischen Geräten zur Verhinderung der Masturbation experimentierte. Überdies empfahl er Axthauen und Sägebewegungen, in schwierigen Fällen abendliche kalte Sitzbäder, Kaltwasserklistiere und das Abreiben der Schamgegend mit kaltem Wasser.

Um gesunde Körper zu formen, konstruierte Schreber außerdem zahlreiche Apparaturen: etwa orthopädische Kinnbänder, um Fehlbissen vorzubeugen, Schulterriemen, die das Kind im Bett in Rückenlage hielten, und „Geradhalter“ für aufrechtes Sitzen

Die Folgen seiner schrecklichen Erziehungsmethode bekamen auch seine eigenen Kinder zu spüren.

Dazu noch ein Zitat aus Wikipedia.

Orthopädisches Kinnband zur Vermeidung eines Fehlbisses
Orthopädisches Kinnband zur Vermeidung eines Fehlbisses
Schrebers Frau Pauline (1815–1907) war die Tochter des Mediziners Wilhelm Andreas Haase und hatte Karl Friedrich Christian Wenck zum Onkel. Sie hatten drei Töchter und zwei Söhne.

Der älteste Sohn Daniel Gustav (1839–1877) beging Suizid. Der zweite Sohn war der sächsische Richter und kurzzeitige Senatspräsident am Oberlandesgericht Dresden Daniel Paul Schreber, dessen autobiografische Beschreibung seiner schweren psychischen Erkrankung Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903) von Sigmund Freud auf der theoretischen Grundlage der Psychoanalyse interpretiert wurde.

Dazu ist mir dann das Korsett meiner Mutter eingefallen. Das ist nur gut 50 Jahre her. Es war auch ein schreckliches Teil. Es sollte die Figur betonen und war eine Art „Body“ aus elastischem Material, in das flexible, gräten-ähnliche Metallstäbe eingenäht waren. Auf dem Rücken war es offen und wurde dann mit Serie kleiner Häkchen verschlossen.

Und wenn man dann am Sonntag ausging oder die Verwandtschaft besuchte wurde dies Korsett unter dem Kostüm getragen. Und das Anlegen war ein grausamer Prozess. Denn natürlich wurde meine Mutter auch im Laufe der Jahre nicht schlanker. Und das Korsett so immer enger und brutaler.

Die schlechte Laune war dann vorhersehbar und wir Kinder mussten es ausbaden. Und die Eltern wunderten sich, wenn es der Mutter dann schlecht wurde und sie unter Rückenschmerzen litt. Das waren schon nette Zeiten damals.

So hat sich des unheimlichen Dr. Schrebers Fluch von den Kindern in die Welt der Frauen verlängert.

RMD

Das Bild wie die beiden Abbildungen stammen aus dem recht lesenswerten Artikel in Wikipedia zu Dr. Moritz Schreber, aus dem ich zitiert habe.

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