Selbstverständlichkeiten hinterfragen? Ganz gefährlich – das Auto!

Ich wundere mich laufend über allgemeine Aussagen, die wir alle wie selbstverständlich als wahr akzeptieren. Mit denen ich sozialisiert wurde und die ich auch mal geglaubt habe.

Obwohl sie bei vernünftigen Nachdenken sehr ins wackeln kommen und man schnell darauf kommt, dass man sie hinterfragen sollte. Man traut sich aber oft keinen Widerspruch, weil man nicht als dumm da stehen will.

Hier drei Beispiele:

  • Wachstum löst die Probleme unserer Volkswirtschaft.
  • Welthandel schafft globalen Wohlstand.
  • Fortschritt und Technologie lösen die Probleme der Menschheit.

Es gibt sicher noch mehr solcher „Allerweltslügen“.

Im Herbst war ich auf einem philosophischen Workshop. Thema war „Die Lüge im Gewand der Wahrheit“. Da kamen mir diese „Allerweltslügen“ gerade recht. So habe ich sie in meinem Vortrag beschrieben und meine Probleme damit vorgetragen.

Besonders spannend war die Diskussion zu folgender „Allerweltslüge“:

  • Autos sind unverzichtbar.

Erstaunlich war, wie meine Gegenthese

„Es lebt sich sehr gut ohne Auto, wenn nicht gar besser als mit!“

die Teilnehmer polarisierte. Bei manchen Zuhörern kam es spontan zu einer extremen Entrüstung. Blitzartig wurde meine Aussage als „totaler Unsinn“ bewertet. Für manche war die These so absurd, dass sie gleich so richtig emotional wurden. Und es gab gleich richtig „Prügel“ für mich, so dass ich richtig froh war, wie mir ein paar vor allem der jungen Teilnehmer zustimmten.

Der Spruch, dass  „Dinge, die treffen, so richtig betroffen machen!“ wurde mal wieder bestätigt. Und auch, dass das Auto vor allem ein emotionale Produkt ist.

Die Gegenargumentation der „Entrüsteten“ erfolgte in drei Linien.

Als erstes kamen Argumente wie:

Das geht aus zeitlichen Gründen nicht. Wie soll man ohne Auto sein Leben hinkriegen?

So was ist einfach zu widerlegen. Saldiert man ein wenig auf, so gewinnt man durch einen „Verzicht“ aufs Auto schnell Zeit, die man für wichtige Dinge einsetzen kann. Man wird freier, viele Belastungen und Verpflichtungen entfallen.

Durch die Nutzung des Fahrrads, ergeben sich große körperliche Vorteile, für die man anders viel Zeit aufwenden müsste.

Öffentliche Verkehrsmittel unterstützen den „lazy manager“, weil er die Zeit für konstruktive Arbeit nutzen – oder faul sein kann.

Der Stress nimmt ab, die soziale Isolation wird geringer. Ausgeglichenheit, Entschleunigung und größere Zufriedenheit sind die positiven Folgen eines autofreien Lebens.

Als zweite Widerstandslinie kam:

Ohne Autos bricht unsere Industrie, unser Wohlstand und unsere Gesellschaft zusammen.

Auch dagegen lässt sich trefflich argumentieren:

Innovation ist kreative Zerstörung. Innovation und Zerstörung sind zwei Geschwister, die immer Hand in Hand daherkommen. Ob kreativ oder nicht.

Und der Wandel – gerade in der Industrie – ist etwas ganz normales. Industrien kommen und verschwinden nun mal. So wie Unternehmen und Firmen verschwinden und neue aufsteigen.

Gerade in der Mobilitäts-Industrie kann man sich zumindest Arbeitsplätze schaffende Ersatzindustrien auch mit wenig Phantasie in Hülle und Fülle vorstellen.

Den industriellen Wandel gab es immer. Er hat aber der wirtschaftlichen Entwicklung nie geschadet. Und immer wurden Arbeitsplätze zerstört – und siehe da – es gab anschließend mehr als vorher.

Als drittes, sehr persönliches Argument kam:

Dann müsste ich ja umziehen.

Da wird es schwierig: Wenn man aufs Auto verzichten will oder muss, könnte das in manchen Fällen notwendig und ein sehr großes Opfer sein.

Aber dazu habe ich vor kurzem unseren Münchner Oberbürgermeister Christian Ude auf einer Bürgerversammlung zum Bau der dritten Landebahn am Flughafen München sagen hören:

In der heutigen Zeit kann kein Mensch mehr beanspruchen, ein Leben lang am selben Ort zu leben und zu wohnen.

Da wurde ein anderer Sturm der Entrüstung laut. Das verstehe ich gerade bei einer zusätzlichen Landebahn sehr gut.

Aber ich fürchte, dass der Christian Ude Recht hat. Auch wenn die Landebahn ein für diese Aussage unglückliches Beispiel ist. Wenn die Möglichkeit von Mobilität sich verringert, wird der eine oder andere umziehen müssen. Das erscheint mir plausibel.

Es sei denn, man will als physischer Einsiedler nur noch im Cyberspace leben …

RMD

4 Antworten

  1. Mhmmm …
    Beispiel München. Infolge einer Operation konnte ich
    zwei Jahre kein Fahrrad nutzen. Mein Weg ins Büro
    führte mich zu dieser Zeit mit der S-Bahn von Aying
    nach Giesing und von dort quasi zurück nach Furth.
    In Giesing war ein „Sichtanschluß“ inklusive, sprich,
    man sieht bei Ankunft den Anschlußzug ausfahren.
    Das waren dann immer etwa zwei Stunden vergeudete Lebenszeit *pro Strecke*.
    Über die Sauberkeit und Pünktlichkeit gerade der
    Partisanenbahn S7 muß ich Ihnen ja nix erzählen.
    Der Krach durch Schüler lädt auch nicht gerade zum
    Arbeiten ein.

    Die „politische“ Reihenfolge der Politik ist seit
    Jahren falsch. ERST muß ein leistungsfähiger Personen-
    Nahverkehr her, DANN kann man die Abschaffung von Autos
    diskutieren.

    Es fehlt in München:
    – eine 1. Klasse in der S-Bahn, schülerfrei und ruhig
    – eine 2. KLasse ohne Sitze, denn:
    Das Volk will es so, denn es legt die Schuhe stets
    auf den Sitzen ab. Das sehe ich als buchstäbliche
    „Abstimmung mit den Füßen“ – Basisdemokratie pur.
    Dem muß man entsprechen.
    – der zweispurige Ausbau der S-Bahn – Linien
    – eine Ringbahn.
    – eine zulässige Radwegführung. Viele Radwwege, als
    „straßenbegleitend“ angelegt, unterliegen illegaler-
    weise anderen Vorfahrtsregeln als die parallele
    Straẞe – tödliche Unfälle sind hier vorprogrammiert
    – Anstatt stets den immer wieder gleichen und gleich
    falschen Dünnpfiff von der vermeintlichen Schutzfunk-
    tion eines Radhelms zu erbrechen, müssen die gefähr-
    lichen Radfahrerfallen weg: Es kann doch nicht sein,
    daß eine Geradeausspur für Räder rechts angeordnet
    ist und eine Rechtsabbiegerspur für KFz links – und
    dann auch noch Büsche zwischen den Spuren gepflanzt
    sind.
    Zwei Schülerinnen sind 2011 in einer solchen Falle
    von LKW in München zerquetscht worden, aber Haupt-
    sache, sie hatten einen Helm auf. Sollte man, wie
    beim Soldatenfriedhof, auf dem Grabstein fixieren.

    Fazit:
    Anstatt sinnlos Geld z.B. in unsäglich alberne „Olym-
    pia“ – Bewerbungen zu stecken, noch dazu unter Hinzu-
    ziehung von DDR-Propagandakader wie „Kati Witt“, muß
    hier nachhaltig investiert werden.
    Sobald Pendler die öffentlichen Angebote vermehrt
    nutzen, regelt der Markt den Rest.

  2. Naja, es könnte ja auch andersrum sein. Wenn das Autofahren so teuer werden würde, wie es tatsächlich ist, würde vielleicht der öffentliche Verkehr wieder interessanter werden und auch seine Qualität bessern (müssen).

  3. Nun, *das* wird doch seit Jahrzehnten praktiziert.
    Ohne wirklichen Erfolg. Mittlerweile kosten Betrieb und
    Anschaffung eines „Mittelklassewagens“ gut 1.000 Euro im
    Monat – und immer noch scheint die Schmerzgrenze nicht
    erreicht zu sein. Genauer: Die Schmerzgrenze ist längst
    weit überschritten, aber der Konsument wird perfekt anäs-
    thesiert.
    Als statstischer sogenannter „Besserverdienender“ kann
    ich mir eine Frau, eine chice Wohnung oder ein Auto
    leisten – aber niemals alle drei.

    Alle 12 Jahre verdoppeln sich die KFz-Kosten, aber
    in Ermangelung von Alternativen wird der „Bürger“
    weiterhin zum Auto greifen – auch anno 2024.

    Ganz schräg wird es dann, wenn die Autisten sagen,
    „wie soll ich denn an den Stadtrand zum Großmarkt ?“:
    Tja, Arschkarte, wer hat denn dafür gesorgt, daß alle
    klenen Läden dichtmachen mußten ?

  4. Vielleicht müsste der Mittelklassewagen 2.000 EURO (aber bitte inflationsbereinigt) kosten … Das dürfte dann auch den verdeckten oder versteckten Kosten eher gerecht werden.

    Ist übrigens eine schöne Wohlstandsreserve. Nach dem Verzicht des Autos hätten viele Menschen plötzlich viel Geld für Sinnvolles über. Und würde auch völlig neue Arbeitsplätze schaffen.

    „Stadtrand zum Großmarkt“ geht übrigens auch mit Fahrrad und Anhänger exzellent. Und das Bier gibt es immer noch überall in der Nähe, denn zum nächsten Getränkemarkt ist es nie weit.

    Und die kleinen Geschäfte kommen schon wieder, wenn es dann doch zu unbequem wird, mit Rad und Anhänger zum Großmarkt zu fahren …

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