Unternehmertagebuch #95 – Entrepreneurship, Start ups, Unternehmertum – irgendwie überhöht?

Letzte Woche am Donnerstag war ich beim Forum UnternehmerTUM in der BMW-Welt. Es war eine große Gala mit einem schönen Informations- und Diskussionsblock. Der dauerte über 90 Minuten und wurde von Stefan Weigel mit viel ansprechendem Humor moderiert.

Die Schlagzeile zur Gala war „Kooperation“ – es ging um Themen wie „Zusammenarbeit mit Mehrwert“, „Kooperationsmodelle und Initiativen“, um „Gründungsgeschichten“ und „Fehler von Gründern“.

Der Schwerpunkt lag auf der Zusammenarbeit von „start ups“ mit etablierter Wirtschaft. Es war eine spannende Veranstaltung mit anschließenden großem „Get together“. So hatte ich viele schöne Wiedersehen mit alten Freunden und lauter gute Gespräche bei ansprechender Musik. Und habe auch noch ein paar neue und sehr sympathische Bekanntschaften gemacht. Dies alles zusammen bewirkte, dass es dann doch viel später wurde als von mir beabsichtigt.

Ich habe das Glück, öfters zu solchen Veranstaltungen eingeladen zu werden. So wie ich auch gelegentlich in der Jury bei „Businessplan Wettbewerben“ teilnehmen darf. Wenn da die potentiellen Unternehmensgründer ihre Pläne vorstellen, ist das immer sehr spannend und inspirierend. Ich komme aber auch über all die Sprüche und auch „Schicki-Micki“-Situationen, die ich da erlebe auch ins Nachdenken.

Denn auf all diesen Veranstaltungen beschleicht mich oft der Gedanke, dass es da um einen Begriff von „Unternehmer“ geht, der stark überhöht wird. Oft höre ich da sehr große Worte und ich gewinne den Eindruck, dass die start-ups in Deutschland die Welt retten sollen. Unternehmertum als Lebensziel wird verklärt, so als ob das größte Ziel sein müsse, dass möglichst viele Menschen unbedingt Unternehmer werden. Und dann kommen doch die Zweifel hoch, ob dieser ganze „Unternehmer-„, „Entrepreneur“ und „Start-up-Hype“ so wirklich zielführend ist.

Deswegen möchte ich in diesem Artikel das Thema „Entrepreneurship“ mal ganz nüchtern betrachten. Wie in der Philosophie üblich versuche ich zuerst den übergeordneten Begriff zu analysieren. Der ist für mich „Arbeiten um Geld zu verdienen“. Das muss nämlich heutzutage ein jeder, es sei denn er ist reicher Erbe (eine immer häufigere Variante) oder er hat im Lotto gewonnen (ganz selten). Wenn er keine kriminelle Laufbahn einschlagen will, muss er sich überlegen auf welche Art und Weise er sein Geld verdienen will.

Ein „Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)“, von dem erstaunlich viele Menschen in meinem Bekanntenkreis meinen, dass man es mal ausprobieren sollte, würde daran auch nichts ändern. Denn die meisten Menschen wären in meiner Bewertung nicht bereit, einen dann nur extrem bescheidenen Lebensstil zu akzeptieren.

So verbleiben für uns Menschen in Deutschland nur drei Varianten, den Unterhalt für uns und unsere Familien zu sichern.

  • Die lohnabhängige Beschäftigung

    Diese Kategorie umfasst die Arbeiter, Angestellten und Beamten. Arbeiter gibt es kaum noch, die sind mittlerweile wohl den Angestellten gleichgestellt. Für diese hat sich bei uns ein hoch reguliertes System entwickelt. Die Höhe des Arbeitslohnes ist oft tariflich festgelegt. Die Rahmenbedingungen sind im Arbeitsrecht festgelegt. Es gibt ein Arbeitszeitgesetz. Es gibt einen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber asymmetrischen Kündigungsschutz. Es gibt soziale Sicherungssysteme für Arbeitslosigkeit, Altersversorgung und Krankheit. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt eine sehr komplizierte Mitbestimmung, die aber wesentliche und manche vernünftige Elemente vermissen lässt …

    Durch Zusatzregelungen sind Kurzarbeit, Langzeitsarbeitskonten und vieles mehr geregelt. Als Angestellter ist man Teil eines „disziplinarischen“ Systems. Man hat einen oder mehrere „Vorgesetzte“. Urlaub muss beantragt werden, für Auszeiten wie zum Beispiel Vaterschaftsurlaub gibt es komplizierte Regelungen. Die Einkommens- und Karrieremöglichkeiten sind limitiert. Nur im Ausnahmefall ist eine Karriere möglich, die wesentlich höhere Bezüge ermöglicht.

    Dies gilt auch für die mir ein wenig pervers erscheinende Variante des Beamtenverhältnisses. Hier dürfen die Arbeitnehmer (die Beamten) täglich kündigen, obwohl sie einen ganz massiven Kündigungsschutz haben – so wie kein Angestellter. „Zum Ausgleich“ gibt für Beamte ein im Vergleich zur Rente der Sozialversicherung für Angestellte wesentlich höheres Pensionseinkommen.

    Das macht sich im Lebenseinkommen dann so richtig bemerkbar, besonders wenn die Jahre in Pension (vom Ausscheiden bis zum Tod) eine ähnliche Größenordnung erreichen wie die Jahre der aktiven Arbeit. Bei hoher Lebenserwartung, spätem Eintritt in die Arbeitswelt und Pensionierung vor dem offiziellen Termin geht es hier oft um richtige Summen und wenn man es mal nachrechnet um sehr, sehr viel Geld.

    Im Bereich der lohnabhängigen Beschäftigung gibt es allerdings auch immer mehr gering verdienende Menschen. Deren Einkommen müssen vom Staat zum Beispiel durch Mietunterstützung aufgestockt werden. Eine realistische Chance durch einen Kapitalstock fürs Alter vorzusorgen, haben diese Menschen nicht. Die Politik will jetzt den gesetzlichen Mindestlohn einführen – ein Experiment, dem ich mit großer Spannung entgegen sehe.

  • Leistungserbringung auf Basis eines Dienstleistungs- oder Werksvertrages

    Der Volksmund bezeichnet Menschen, die ihr Geld auf diese Art verdienen, als „Freiberufler“. Wenn jemand sich nicht in ein Angestelltenverhältnis fügen will – oder keines erringen kann – dann muss er von Arbeitslosengeld (ja auch nur beschränkt möglich) oder Sozialhilfe leben. Wenn er das auch nicht will, dann bleibt ihm nur die Freiberuflichkeit (oder er muss Unternehmer werden – siehe nächsten Spiegelstrich).Er muss also Kunden finden, die ihn im Rahmen eines Dienstleistungs- oder Werksvertragverhältnis beauftragen. Das wird immer zeitlich beschränkt sein. Da der „Freiberufler“ nicht „sozialversicherungs-pflichtig“ ist, muss er für seine Altersversorgung selber sorgen. Das wird ihm angesichts des immer länger werdenden Zeitraums vom wirtschaftlichen Ausstieg bis zum Tode und der hohen Kosten für Alters- und Pflegeheime auch bei sehr gutem Einkommen kaum gelingen, so dass er in vielen Fällen dann letztendlich auch wieder von Sozialhilfe leben muss.

    Auch diese Variante ist gesetzlich reguliert. Es ist klar definiert, wie ein „Freiberufliches“ System aussehen muss – und oft kann die Realität mit diesen Vorgaben nicht in Einklang gebracht werden. Manche Freiberufler verpacken deshalb ihre Aktivität in eine GmbH, um unter anderem diesen Vorschriften gerecht zu werden (und um vielleicht noch einen Angehörigen als Aushilfe einstellen zu können). Diese würden dann wahrscheinlich in der Statistik als Unternehmer bewertet werden, de facto sind sind sie vielleicht auch welche, aber nicht im Sinne des heute so stark propagierten Unternehmertums.

    Erstaunlich viele Freiberufler (angeblich ein Drittel) befinden sich in ihrem Einkommen auch unter dem geplanten Mindestlohn. Mit der Einführung des Mindestlohns wird sich da auch nicht viel ändern. Wenn der Zoo zum Beispiel für einen Zentner Kastanien für seine Tiere 10 € zahlt, dann ist das ein legales Geschäft. Und dem Auftraggeber ist und kann es egal sein, wie viel Zeit der Lieferant für das Sammeln der Kastanien braucht.

    Viele Freiberufler scheinen in ihrer aktiven Zeit überdurchschnittlich gut zu verdienen. Oft trügt der Schein, gerade wenn man einen längeren Zeitraum betrachtet. Durststrecken reduzieren das Gesamtbild, Überstunden und Verzicht auf Urlaub verbessern es scheinbar. Für einen Freiberufler ist es schwer, sein Einkommen zu skalieren. Geht das doch nur über Preiserhöhungen und höhere Kontierungsleistung. Beides wird aber immer schwieriger.

  • Unternehmerische Tätigkeit

    Unternehmer sind Menschen, die etwas machen wollen, das sie können oder meinen zu können und in ihrer eigenen Verantwortung stehen wollen. Oft haben sie etwas vor, das sie alleine nicht schaffen können. Um ihr Ziel zu realisieren, reichen ihre eigenen Kräfte nicht aus, sie benötigen die Leistung Dritter. So suchen sie Unterstützer, das können Partner, Angestellte des zu gründenden Unternehmens oder Freiberufler als Leistungslieferanten zu sein. In der Regel meinen die Gründer besondere Chancen am Markt gefunden zu haben, neue Geschäftsideen zu sehen oder zum Beispiel besondere Techniken oder Produkte gefunden zu haben.

    Die Geschäftsidee kann auf einer Dienstleistung und auf einem Produkt aufbauen wie auch auf einer Mischform. Diese Idee kann in der Regel nicht alleine realisiert werden, Mitarbeiter oder ein Team wird gebraucht. Gerade im Produktbereich sind oft vorab hohe Investitionen notwendig, dies kann aber auch im Umfeld von Dienstleistung notwendig sein, um die Dienstleistung zum Beispiel bekannt zu machen, zu verkaufen und die Voraussetzungen für Lieferfähigkeit zu sicher zu stellen.

    Um dieses Problem zu lösen gibt es unter anderem VC’s (Venture Capital), öffentliche Förderung und Förderbanken aber auch private „business angel“. Wie gut das immer funktioniert sei hier mal dahin gestellt.Wahrscheinlich kann man als Unternehmer am ehesten sein Einkommen überdurchschnittlich erhöhen. Profitiert doch das Unternehmen und damit der beteiligte Unternehmer an der Leistung eines jeden der Mitarbeiter oder des Teams ein wenig mit. Eine relevante Einkommensskalierung ist also am ehesten durch unternehmerische Tätigkeit möglich.

    Ganz wenig Unternehmer können auch richtig reich werden. Das sind dann die großen Ausnahmen, von denen viele träumen. Wie aber auch zum Beispiel im Sport sind es aber nur ganz wenige die an Spitze kommen. Ich habe den Eindruck, dass die „Jungunternehmer“ immer davon träumen, ein Steve Jobs oder Larry Ellison oder ein Albrecht zu werden. Vielleicht ist es ja gut, wenn man sich ein ganz großes Ziel nimmt. Aber ich appelliere lieber an den Realismus. Und ein gutes kleines Geschäft ist auch eine tolle Sache.

    Es gibt sicher weniger erfolgreiche als erfolglose Unternehmer. Das Risiko des Scheiterns ist hoch. Ich kann mich an viele Unternehmen erinnern, die in den 30 Jahren des Bestehens der InterFace auch in unserer Branche gegründet wurden, uns ein Stück des Weges begleitet haben und dann verschwunden sind. So darf man gerne träumen, sollte immer daran denken, dass jederzeit ein großer Absturz möglich ist.

    Natürlich muss ein erfolgreicher Unternehmer im Normalfall über eine gute bis besondere Kompetenz verfügen und in der Lage sein (und das Glück haben), die Möglichkeiten des Marktes richtig einzuschätzen. Viele Tugenden wie Mut und Vorsicht, Umsicht und Risikobereitschaft und besonders Führungseigenschaften wie Klugheit und Souverantität sind nützlich. Wahrscheinlich ist auch ein gewisses Maß an Autonomie und Extrovertiertheit notwendig, Eigenschaften, die sich idealerweise mit innerer Gelassenheit und  Zentriertheit paaren sollten. Und sicher wird ein Unternehmer in seinem Leben sehr lernfähig sein müssen.

    Unternehmer brauchen aber nicht unbedingt etwas Neues und besonders Innovatives zu machen, um erfolgreich zu sein. Oft sind ganz kleine Dinge gepaart mit fleißiger Arbeit die Ursache des Erfolges. Mein Respekt gilt jedem Handwerker, der sich selbstständig macht und ein Team aufbaut in gleichem Maß wie einem „high-end start up“. Besonders wenn der Unternehmer dabei ein „redlicher und ehrbarer Kaufmann“ bleibt, sein Unternehmen Produkte und Dienstleistungen herstellt, die einen Sinn machen und ihm bewusst ist, dass sein Unternehmen ein für die Menschen sehr wichtiges soziales System ist, wenn auch eindeutig mit wirtschaftlichen Zielen und Zweck. Der Unternehmer sollte also auch ein Garant für Geisteshaltung, Kultur und Werte sein.

    Und noch eine Anmerkung zum Einkommen der „Enterpreneure“. Klar gibt es da einige, die so richtig gewonnen haben und Millionäre bis Milliardäre geworden sind. Ich kenne da sogar ein paar ganz wenige persönlich. Aber gerade die wissen genau, wie viel Glück sie gehabt haben.

    Ich kenne aber vielmehr Unternehmer, die einen guten Job machen, und trotzdem im EInkommen auch unter dem Mindestlohn liegen. Der Statistik folgend ist das wohl auch ein Drittel. Obwohl gerade diese durchaus für eine Reihe von Menschen mustergültig Verantwortung übernommen haben.

Solche und ähnliche Botschaften vermisse ich ein wenig auf den glitzernden Galas der Welt der „Entrepreneure“.

Ich glaube übrigens auch, dass es sehr viel tolles „Unternehmertum“ im privaten oder ehrenamtlichen Bereich gibt. So ist für mich das Begründen einer Partnerschaft oder gar Familie auch eine echte Unternehmung – die durchaus viel Mut und manches mehr erfordert. Und vor jeder Frau, die zum Beispiel beschließt Mutter zu werden, habe ich oft mehr Respekt als von einem Jungunternehmer.

Das war übrigens ein wenig schade bei der großen Gala der UnternehmerTUM: Alle 14 (in Worten vierzehn) auf der Bühne vertretenen Menschen waren Männer.

RMD

P.S.
Alle Artikel meines Unternehmertagebuchs findet man in der Drehscheibe!

2 Antworten

  1. Kommentar von Klaus in Facebook zum Artikel:

    Wohl wahr lieber Roland. Dieses Getöse über „Start-Ups“ ist lächerlich. Ein „Business Plan“ wird nicht besser als eine Unternehmensplanung, weil es ein englischer Begriff ist und wenn die Voraussetzungen nicht gegeben sind: StartKAPITAL, der richtige Zeitpunkt und die richtigen Leute am richtigen Ort, Hilfe und ein Quentchen Glück. Das Ziel einer Unternehmensgründung sollte nicht auf der Basis vom Traum des schnellem Reichtums erfolgen.

    Wichtige Grundregeln werden zu oft nicht beachtet, wie ich leider miterleben musste. Der häufigste Irrtum bei Jungunternehmern ist, dass sie Umsatz und Bruttomargen mit Einkommen oder Verdienst verwechseln. Ein oder zwei Kunden genügen nicht. Und sei das Unternehmen noch so klein, das Rückgrat ist eine grundsolide Buchhaltung. Aber das sind Grundsätze, die sich nicht populär und mit Glamour darstellen lassen, sondern konservativ miefen.

    Ein Bankier oder Finanzier ist ein echter Partner, wenn er von vornherein die Risiken schonungslos auftut. Ich gehe nicht zu solchen Veranstaltungen, wie von Dir beschrieben, da ich mich über diesen Hype nur ärgern würde und dies mir die gute Laune vermiesen täte. Ferner verdächtige ich BMW und Konsorten, dass sie in den Start-Ups billige Ideenlieferanten sehen, bei denen kein Engagement anfällt.

  2. Ich bin übrigens aus einem ganz einfachen Grund „Unternehmer“ geworden.

    „Beamter“ zu werden hatte ich keine Chance. So bin ich als Angestellter gestartet wollte. Das hat mir nicht gefallen, ich wollte keine disziplinarischen Vorgesetzten haben und wollte auch keiner sein. Auch erschien mir alles so über reguliert.

    Für den „Freiberufler“ war ich zu ängstlich – auch aus Sorge für die Familie. Was passiert, wenn ich als „Ernährer“ ausfalle?

    Also musste ich „Unternehmer“ werden. Da sah ich zumindest eine Chance, es ein wenig besser zu machen als ich dies in meinem Angestellten-Leben selbst erlebt habe.

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