Vintage Computer Festival Europe – Vortrag IT-Nostalgie #1

Am Samstag, den 26.April 2008 fand in München das Vintage Computer Festival Europe (VCFe) statt.

Das VCFe ist ein Treffen für Liebhaber nostalgischer Computer und Software. Die Veranstaltung beinhaltet eine Ausstellung, einen Flohmarkt für alte Computer, Zubehör und Teile. Parallel findet ein Rahmenprogramm mit interessanten und gut besuchten Vorträgen statt. Das Münchener Treffen ist „Ableger“ einer relevanten Bewegung, die ihren Anfang in den USA hatte. Die größte Veranstaltung findet in San Francisco statt. Hans Franke (ein ehemaliger Siemens-Kollege) organisiert jährlich das Münchner Meeting, es war auch in 2008 wieder eine gelungene und gut besuchte Veranstaltung.

Die klassischen Sammeldisziplinen wie Briefmarken oder Modelleisenbahnen sind „out“, Automobilia hat seinen Höhepunkt überschritten. Die Zukunft gehört wohl alten Computern und nostalgischer Software. Opa sitzt in Zukunft nicht mehr im Sessel über seinem Briefmarkenalbum, er bastelt auch nicht mehr im Keller an seiner Modelleisenbahn. Der moderne Opa sitzt gemeinsam mit der Oma im Arbeitszimmer, gemeinsam bringen sie alte Computer zum laufen.

So entwickeln sich auch die Sammlerpreise: Briefmarkensammlungen, die noch vor Jahren einen echten Vermögenswert dargestellt hätten, vergilben auf den Dachböden und sind nahezu wertlos geworden. Die Liebhaberpreise für Eisenbahn- und Automodelle geben mehrheitlich nach, die Preise für alte Computer dagegen beginnen zu steigen.

Und die Mädchen kann man auch nicht mehr zu sich nach Hause locken mit „Komm mal, ich zeig Dir mein Briefmarkenalbum“. Das wird in Zukunft so gehen: „Komm mal, ich habe da so einen wunderschönen alten Commodore mit einem ganz tollen alten Spiel!“

Ich kann also den Besuch des VCFe im nächsten Jahr nur empfehlen!

Dieses Jahr war ich eingeladen, einen Vortrag über IT-Projekte und IT-Probleme aus der IT-Steinzeit zu halten. Hans Franke hatte meinen Vortrag im Programm des VCFe wie folgt angekündigt:

Als Flops noch ohne Mega auskamen!

Ein vom Hersteller nicht vorgesehener, kreativer Umgang mit neuen IT-Anwendungen ist keine Erfindung der Internetgeneration – genauso wenig wie spektakuläre Fehlschläge und Sicherheitslücken.

Dieser Vortrag erzählt wie Fahrkartenverkäufer der DB beim Umstieg von mechanischen Fahrkartenmaschinen zur Mainframe-Abwicklung neue Wege fanden, oder wie ein Hauptspeicherausbau ganze Polizeiflotten verschwinden lassen konnte. Auch wenn manches aus 30 Jahren Entfernung weniger dramatisch wirkt, es war beileibe nicht immer bayerisch gemütlich.

So habe ich in meiner gut 35-jährigen Erfahrung gekramt und vieles gefunden. Stundenlang könnte ich aus der Zeit der Lochstreifen- und karten erzählen. Mit dem mobilen Lochkartenstanzer und dem Microfiche-Lese-Gerät waren wir auch am Sonntag unterwegs und reparierten die Fehler an zentralen IT-Systemen. Der Vortrag hat mir und nach meinem Eindruck auch den Zuhörern viel Spaß gemacht und deshalb veröffentliche ich ihn hier als „Fortsetzungsroman“ in mehreren Teilen.

Am Anfang des Vortrages habe ich die Siemens IT-Technologie gewürdigt, die in den ersten 50 Jahren des Computerzeitalters eine auch weltweit herausragende Stellung hatte.

(Nicht nur) in Deutschland war neben IBM Siemens der herausragende IT-Hersteller. Es gab bei Siemens mehrere in Deutschland entwickelte Prozessor- und Rechner-Linien, verschiedene Betriebssysteme wie BS1000, BS2000, PDN, Amboss und weitere für Prozeßrechner und Spezialsysteme. MS-Dos und Unix waren noch weit weg. Compiler und Interpreter für alle möglichen Sprachen angefangen bei ADA über Cobol, Fortran bis hin zu Lisp und Prolog waren selbstverständlich vorhanden. An diversen Datenbanken, Office- und Dokumentations-Systemen, Warenwirtschaftssystemen und beliebig weitereer System- und Anwendungs-Software wurde in Hülle und Fülle geschrieben.

Es gab alle Arten von Peripherietechnologie, unterschiedliche Speichersysteme, hochmoderne Laser- und Stahlband-Drucker, Netzwerktechnologien und Kommunikatonsprotokolle, Terminals oder Spezialendgeräte. Alles wurde in Deutschland entwickelt und hergestellt. Auch fast alle Bauteile wie Prozessoren, Speicher oder modernste Technologien wie Glasfaser wurden hierzulande entwickelt, das bei Siemens vorhandene Know-how war einzigartig. Und das ergänzte sich exzellent mit der Kommunikationstechnologie, ob Endgeräte wie später Mobile Telefone oder zentrale Vermittlungssysteme.

Kooperationen mit führenden Technologieherstellern wie Xerox brachten zusätzlich modernste Technik in die Siemens Labors. Innovationen wie Teletext oder Bildschirmtext zeigten in die Zukunft, große Plotter und Industrieroboter beeindruckten uns. Es war ein Programm ohne Grenzen mit einem Know-how-Pool, der seinesgleichen gesucht hat – und der nicht mehr vorhanden ist.

Meine erste kleine Geschichte fängt Ende der 70iger an: In großen Projekten war noch BS 1000 angesagt (BS 2000 war gerade erst im Kommen), als Transaktionsmonitor wurde das damals bewährte und verbreitete System ASMUS (Abkürzung für „Axel Springer Mehrfach-User-System“) eingesetzt. Entwickelt wurde mit assembler-basierten Makrosprachen (Columbus-Assembler), Cobol war die innovative aber oft zu aufwendige Variante. Wir haben damals DISPOL aufgebaut, da ging es unter anderem darum, den Fernschreibverkehr über ein Paketvermittlungsnetz abzuwickeln (mit echten Fernschreibern an Rechnern oder Fernschreiberemulationen auf Datensichtgeräten) und die Anwender mit einem neuen Fachverfahren zu verbinden.

Und eines Tages die Hiobsbotschaft im Projekt: der Mainframe braucht mehr Speicher! Da ging es aber nicht um Megabytes sondern „nur“ um eine dreistellige Zahl von Kilobytes im unteren Bereich. Ich glaube, es waren sogar nur 100 kilobyte. Das Problem war nur, dass der unvorhergesehene zusätzliche Speicherbedarf wertemäßig im sechsstelligen DM-Bereich lag. Ein Polizeibeamter hat dann lakonisch bei Weißwurst und Bier gemeint: Die 100 Kilobyte kosten uns ja mehr als 30 Polizeiautos. So hat der Mainframe eine ganze Polizeiflotte aufgefressen.

Im Vortrag habe ich dann ein paar weitere Geschichten aus der Zeit vor mehr als 35 Jahren erzählt, die ich in den nächsten Wochen als kleine Beiträge veröffentlichen werde.

RMD

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Eine Antwort

  1. Du hast mir mit deinem Artikel aus dem Herzen geschrieben, ich bin in der Datenfernverarbeitung beschätigt gewesen. Warum ist das alles den Bach runtergegangen?
    Bruno

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