Zertifizierung – Wahn oder Sinn II

Hier ein wenig Zynismus zum Zertifizierungswahn. Aber wer weiß, vielleicht kann mit solch einem Quatsch tatsächlich reich werden? Ist in dieser verrückten Welt ja alles möglich. Aber zuerst die Frage:

Was ist denn die wichtigste Qualität, die verantwortetes Arbeiten und Führen in sozialen Systemen erfordert?

Ich meine, dass ein Kandidat für „höhere Aufgaben“ zuerst mal „Mensch sein“ muss. Mit vielen besonderen Qualitäten.

So gesehen ist bei einer Personalauswahl für anspruchsvolle Jobs das erste Kriterium die menschliche Qualität des Kandidaten. Das wäre doch ein Zertifikat praktisch, das diese zweifelsfrei bestätigt. Wie viel Zeit könnte man dann bei der Auswahl einsparen!

Dann lass uns doch das „Mensch sein“ zertifizieren? So dass ich je nach Anspruch bei der zu besetzenden Position definieren kann, welchen Level von Mensch ich brauche. Muss es Klasse A sein? Oder reicht für den Job ein B oder C?

Also gründen wir flugs eine „Deutsche Gesellschaft für Mensch Sein“ (GMS). Und dann zertifizieren wir die Menschen. Mit Multiple Choice Tests. Für die höhere Stufen ergänzt durch ieine ntensive Befragung. Der zu zertifizierende muss handschriftlich einen Aufsatz schreiben. Zum Thema Werte oder so. Und für die hohen Stufen wird das Ganze noch ergänzt um ein Assessment! Denn ein zertifizierter Mensch zu sein, das muss auch etwas kosten. Und dann soll der Kunde für sein Geld auch etwas geboten bekommen!

Die Misere in Politik und Management kriegen wir mit zertifizierten Menschen auch in den Griff. Denn für die Schlüsselpositionen in unserer Administration und Gesellschaft wird nur noch Level A zugelassen! Die Bundeskanzlerin braucht dann schon ein A+ oder AAA!

Und wir können das System beliebig weiter entwickeln. Kinder gibt es dann nur noch für Menschen, die ein gültiges Mutter-/Vater-Zertifikat haben. Und wenn wir schon dabei sind, dann entwickeln wir auch gleich noch ein „Großeltern-Zertifikat“.

Der Volatilität der modernen Ehe wirken wir mit einem „Partnerschafts-Zertifikat“ entgegen, das die Konfliktfähigkeit einstuft und das „Gesundheits- und Ehetauglichkeitzeugnis“ ergänzt. Für niedrig klassifizierte gibt es dann nur noch die Ehe auf Zeit. Mit Gebührenmarke. Würde doch viele Probleme lösen. Und nach fünf Jahren muss das Zertifikat erneuert werden – dann kann man die Ehe verlängern.

Wer aber etwa eine Firma gründen will, muss sich vorher als Unternehmer zertifizieren lassen. Wobei er abhängig von den Zielen im Businessplan über einen unterschiedlicher Zertifizierungsgrad verfügen muss.

Vielleicht könnte man auch „Christ sein“ zertifizieren? Ober noch besser, eine neue Religion kreieren – natürlich nur mit sauber zertifizierten Mitgliedern eingeteilt in unterschiedlichen Kasten?

Brave new world.

Ich meine, die moderne Zertifizierung ist ein Wahn ohne Sinn, also ein Wahnsinn.

RMD

5 Antworten

  1. Lieber Roland, das hatten wir doch alles schon, müssen Sie doch mitbekommen haben.

    Zertifizierte Ehefrauen aus der Reichsbräuteschule, jetzt wieder ganz aktuell: Habe neulich noch eine frustrierte neureiche Berufstochter aus „gutem Hause“ stundenlang mit plastischen Schilderungen ihres „Ehevorbereitungsseminars“ ertragen müssen, natürlich mit Zertifikat.

    „Menschsein“ zu zertifizieren ist auch nichts gerade neues. Zumindest haben Rosenberg, Heydrich und Eichmann mit bereitwilligster Unterstützung des deutschen Volkes Kriterien festgelegt und angewendet, welche das Menschsein ausschlossen.

    Ein interessanter Gedanke: Wann werden die Zertifizierungstechnokraten Produkte und Dienstleistungen ohne Zertifikat als moderne Form des Ablaßhandels als „entartet“ bepöbeln ?

  2. Für Unternehmensberater kann zertifizieren sehr sinvoll sein, wenn es Geld dafür gibt, für Nazis auch, wenn das Zertifizieren das Nazifizieren unterstützt. Wer nicht an einen jenseitigen Sinn glaubt, braucht einen diesseitigen – und da ist die Zahl ein vortreffliches Mittel. Denn sie gaukelt Sicherheit vor und schützt die Faulheit. Was ist das Gegenteil von Zertifizierung? Selber denken. Die vermeintliche Berechenbarkeit der Welt macht selber denken (für die Meisten) unnötig. Alles ist Zahl, soll Pythagoras gesagt haben, bis ihm seine Frau empfohlen hat, sich das Abendessen auf den Tisch zu rechnen und uns so vor der Mathematik als empirische Wissenschaft bewahrt hat. Aber der Berechenheits-„Wahn“ dreht sich gerade wieder, „sinn“igerweise bei den Wahnsinnigsten dieses Faches – den Ökonomen. Erst sind deren mathematische Modelle im Strudel der Schuldenkrise untergegangen und jetzt werden Forderungen aus den USA laut, weniger Fallstudien-Sklaven an den Masterstudiengängen zu züchten und mehr Steven Jobs. Was der wohl dazu gesagt hätte, dass er neuerdings züchtbar ist?

  3. @six:
    Ein schlauer Parasit tötet seinen Wirt nicht, indem er diesen langsam, aber sicher ausblutet.

    Und bitte nix gegen Phytagoras, denn GENAU DIESER war es ja, des das Weltbild des unmathematischen Pfeffersackes, welches früher wie heute auf die Kommensurabilität aller Dinge abstellt, radikal zugrunderichtete. Denn der phytagoreische Lehrsatz impliziert die Einführung der Quadratwurzel und damit der Menge der irrationalen Zahlen.

    Der moderne Möchtegernanalytiker unterdessen beherrscht nicht einmal mehr die vier Grundrechenarten. Machen Sie sich einmal den Spaß, so einem smartphonebewaffneten Dampfplauderer eine einfache Aufgabe zu stellen:

    Dachdecker Fritz weiß, daß er beim Verlegen von Dachpappe mit 20% Verschnitt rechnen muß. Er muß 10.000 m² Dachfläche decken. Wieviel Dachpappe kauft er ein ?
    Da werden Sie staunen, was für ein Bullshit da herauskommt.

    Und im übrigen, thematisch nur halbwegs passend, aber umso schöner:

    http://rent-a-guru.de/pub/herbert.php

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