Harrison Owen gilt gemeinhin als der Entdecker von Open Space. Offener Raum. Oder die Aufforderung Raum zu öffnen. Geboren wurde Open Space, so beschreibt er es, dadurch, dass Owen zu einer von ihm geleiteten Tagung einmal zu wenig Zeit hatte, um sich angemessen vorzubereiten. Er machte also aus einer Not eine Tugend und formulierte ein offenes Programm, bei dem jeder teilnehmen durfte, der sich wirklich interessierte, der mit anderen gleichberechtigt und gleichbefähigt seine Anliegen zur Sprache brachte und dieses anschließend in Arbeitsgruppen eigenständig erarbeiteten konnte.

Diesen Geist zu fangen. Owen hatte es mit Schamanismus verglichen. Da ich aber noch nie so wirklich etwas mit Schamanismus am Hut hatte, vielmehr aber mit dem alten Griechenland, kam mir eine andere Assoziation als ich das erste Mal von Open Space hörte. Was mir evidenter erschien, war aber auch eine sehr alte Art der Zusammenkunft: das altgriechische Symposion.

Platon schreibt in seinem berühmten Symposion-Aufsatz darüber. Das Prinzip ist sehr einfach, wird aber dennoch heutzutage kaum mehr verwendet. Die Zusammenkunft erfolgt unter Freunden und Bekannten, um sich der geistigen Betätigung zu widmen und diese aber auch gleichzeitig mit körperlichen Genüssen (gutem Essen und Trinken) zu verbinden. Allein der Gedanke daran erscheint zugleich attraktiv, aber auch revolutionär. Letzeres vor allem für Personen, die starke Strukturen kennen und lieben gelernt haben. Für sie ist Open Space ein Verfahren ganz besonderer Art. Kann Arbeit und Genuss verbunden werden? Hier geht es. Körperlicher Genuss und die besondere Art des Zusammenkommens verwandelt auch die geistige Betätigung in Genuss. Im alten Symposion wurde zunächst die Weise des Trinkens bestimmt, anschließend das Thema. Bei Platon ging es um die Liebe. Symposion – ein Gastmahl. Den Teilnehmern ging es an Leib und Seele gut. Die Römer folgten derselben Weisheit: salus mens et corporis. Gesund sowohl im Verstand als auch im Körper. Maximen zum Leben – geistig und körperlich.

Open Space ist meines Erachtens nach also viel weniger schamanistisches Ritual als vielmehr Zeitreise ins alte Griechenland. Harrison Owen gliederte Open Space mindestens in Eröffnung, Themensammlung, Marktplatz, Arbeitsgruppen und Zusammenfassung. Besonders Marktplatz sticht dabei heraus in dieser Auflistung. Was bedeutet er? Die Antwort klingt exotisch. Er ist Agora.

Agora. Das ist der griechische Marktplatz. Bekannt ist das Wort vielleicht von der Agora-Phobie – der Angst vor weiten, offenen Räumen. Die Agora war Ereignis. Dort wurden nicht nur Waren, sondern vor allem auch Ideen gehandelt. Menschen gaben diese öffentlich bekannt und es wurde diskutiert. Diese Stimmung ist Teil von Open Space und steht an dessen Beginn.

Mit Open Space erweitert man das, was in festeren Strukturen oftmals verloren geht: Zeit für das Jetzt. Gutes Essen. Gute Gedanken. Dinge, die gemeinhin mit der Kaffeepause von Tagungen assoziiert werden. Hier sind sie Programm.

MB

P.S.
Besonders für InterFace’ler: hier die Vorschau von Christof zu unserem Open Space.

Eine Antwort

  1. Schön – Danke!

    (Die Assoziation ins alte Griecheland habe ich bisher noch nicht gekannt, passt aber wunderbar.)

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