Der Titel verkündet düsteres, die Autoren hüllen sich in geheimnisvolle Anonymität. Die Verkaufsziffern von Frankreichs jüngstem revolutionärem Pamphlet bewegen sich um die 40.000, mit 20.000 ist man in diesem Lande bereits ein Bestseller. Schlechte Nachrichten lassen sich allerorts ausgezeichnet vermarkten.
Die sieben Kapitel oder Kreise des ersten Teils sind eine, auf jeden Fall in der Originalversion, brillant formulierte, kritische Inventur unserer Gesellschaft und Zivilisation. Jede wissenschaftliche Disziplin konstatiert das Desaster auf ihre Weise, die Psychologie attestiert Persönlichkeitsauflösung und Depression, die Soziologie diagnostiziert die Krise der Beziehungen zwischen den Schichten und in den Familien, die Wirtschaftswissenschaft ringt die Hände vor ihren impotenten Axiomen, die Ökologie prognostiziert die Katastrophe der Natur…
Es kracht gewaltig in der zivilisatorischen Tektonik. Auf der heillosen Flucht vor dem immer näher kommenden Zusammensturz nähert sich der Abgrund immer schneller. Selbst Ökologen, Wachstumsverweigerer, Alternative sind gefangen im Räderwerk eines Systems, das nur Unterlinge der Arbeit und des gutbürgerlichen Gewissens produziert.
Was den im zweiten Teil angeführten Ausweg betrifft, steht die Kuh auf dünnem Eis. Wenn nichts mehr geht, dann zurück zum Nullpunkt, Apologie der Sabotage, Bildung von Kommunen, Abschaffung des Geldes, Ausschaltung von Polizei und Infrastrukturen. Ein Berg kritischer Analysen und dunkler Prognosen gebiert die Maus des abgegriffenen Instrumentariums der Anarchie. Nichts Neues lieber Leser! Perspektiven für das „Danach“ sind noch nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Das wäre wohl auch zuviel verlangt von einem Pamphlet.
Das penetrante Liebäugeln des anonymen Autorenkollektivs mit den Aufständen in den Vorstädten von Paris unterstreicht lediglich die Tatsache, dass sein „Programm“ nicht durchsetzbar ist ohne handfeste Übergriffe gegen Institutionen und ihre Repräsentanten, also Zerstörung der Demokratie. Das ist jedoch ein Offenbarungseid intellektueller Kreise in Bezug auf ihre Ratlosigkeit vor den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft.
Die unverhohlene Aufforderung zur Gewaltanwendung im letzten Teil „Aufstand“ ist, je nach Wahl, Schrecken erregend oder dumpf beunruhigend.
Fazit, eine brillante Analyse mündet im konzeptlosen Gedankenvakuum…
Die etwa 120 Seiten machen immerhin nachdenklich und das kann nicht schaden.
Deswegen…
Unbedingt lesen!!!
HPK
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