Wenn ich hier auch über „G8“ schreibe, dann meine ich nicht die Damen und Herren, die sich auf den Weltwirtschaftsgipfeln zu siebt (dann heißt es allerdings G7) oder acht treffen, ein schönes Gruppenfoto machen und nebenher die Welt retten, mal vor der Klimakatastrophe und dann wieder vor der Weltfinanzkrise. Als Ergebnis hören wir schöne Worte oder hohe Zahlen. Die bei vielen Menschen um sich greifende Staatsverdrossenheit wird durch solche Treffen zwar auch nicht besser. Trotzdem sind wir froh, wenn sich die Staatsfrauen und -männer der reichen Länder treffen, denn so lange sie miteinander reden, sind kriegerische Problemlösungen weniger wahrscheinlich.
Nein, in diesem Artikel schreibe ich über Schule und Bildung. Die folgenden Sätze schicke ich voraus, um zu belegen, dass ich als Vater von sieben Kindern tatsächlich „Go to Gemba“ (Kaizen) gemacht habe: die Grundschule habe ich sieben mal erlebt und die Entwicklung am Gymnasium von 1990 bis heute verfolgt. Zwischenzeitlich waren fünf meiner Kinder gleichzeitig am selben Gymnasium und haben dann mit Abitur abgeschlossen. Der sechste macht gerade Abitur und das Nesthäkchen ist im Gymnasium in der zweiten Klasse. Jetzt kommen ganz frische Erfahrungen mit dem G8 dazu. Einblick in die Entwicklung an den Hochschulen gewinne ich in Bewerbungsgesprächen wie auch durch meine Familie. Zwei meiner Kinder haben ihr Studium erfolgreich beendet, einer davon schließt gerade seine Doktorarbeit ab. Auch die anderen sind nahe am Abschluss oder gut im Studium unterwegs. So konnte ich zahlreiche Erfahrungen mit Schule und Hochschule miterleben.
Das Erstaunliche: Irgendwie haben das alle meine Kinder schulisch und später im Studium und beruflich ganz gut und ziemlich eigenständig gemacht, obwohl sie in der Grundschule nicht immer als unbedingt tauglich fürs Gymnasium eingestuft wurden. Wir hatten regelmäßig Stress mit dem Übertrittszeugnis. Es gab in der letzten Klasse der Grundschule immer Klassenkameraden, die von einem Team von Nachhilfe-Lehrern trainiert wurden wie sonst nur Hochleistungssportler und die Hürde „Übertritt“ mühelos zu schaffen schienen. Ein paar Jahre später sind sie gescheitert, wie auch andere, die uns schon im einstelligen Lebensalter wie Karikaturen von Erwachsenen vorkamen. Da war dann bei den Mädchen als Hobby „Shopping“ angesagt, die Buben unterhielten sich darüber, wie man mit Aktien auch ohne Arbeit reich werden könne. Man muss wissen, bei uns in der Gegend gibt es kaum Kinder mit „Migrationshintergrund“, hier leben die eher „besseren Kreise“.
Was könnten die Ursachen sein? Meine Theorie ist: Menschen werden körperlich immer früher und geistig immer später reif. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die Kinder in unserer Erwachsenen-Gesellschaft nicht mehr lange genug Kind sein dürfen. Zu früh werden sie zu kleinen Erwachsenen gemacht. Kinder brauchen aber Zeit zum „Ausreifen“. Sie müssen eine Chance haben, die Lust am Lernen und Wissen aus eigenem Antrieb heraus entwickeln zu können. Wenn man das erreicht, dann ist der weitere Bildungsweg ganz einfach. Deshalb war das Anliegen von Barbara und mir, unseren Kindern möglichst lange die Kindheit zu bewahren. Von der Grundschule bekamen wir dann zu hören, dass unsere Kinder „zu verspielt“, „zu verträumt“, „zu wenig ehrgeizig“ seien oder „keine Leistungsbereitschaft hätten“ (oder anderen Blödsinn).
In der Grundschule wird ein vorgegebenes Leistungssystem mit eigenartigen Benchmarking-Ritualen von manchen Lehrkräften oft sklavisch angewendet. Hier muss die Reform des Schulsystems ansetzen, beim Verständnis für die Kinder. „Unsere“ Grundschule entwickelte sich dagegen über die Jahre von einem Hort des Lernens zu einer sich selbstdarstellenden Schicki-Micki-Institution. Der erfahrene Pädagoge als Schuldirektor wurde pensioniert, die neue Leitung sprach von „modernem Management“ und krempelte alles nach dem Motto „außen hui, innen pfui“ um. Der Schein wurde wichtiger als das Sein, nach oben galt es zu buckeln, nach unten wurde getreten. Aber das gibt es ja auch woanders.
Für die Lehrer war und ist es auch nicht einfach. Ein Lehrplan mit ganz anderen Reformversuchen wie Rechtschreibreform oder neues Multiplizieren fordert seinen Tribut. Viele verwöhnte Einzelkinder, oft einsame Opfer der Wunschprojektionen ihrer Eltern, sitzen in den Klassen und langweilen sich. Morgens werden sie von Luxuslimousinen vor der Schule ausgespuckt. Die Eltern haben bedingt durch ihr ach so stressiges Leben kaum Zeit für ihr sonst so vergöttertes Kind und kompensieren dies mit Geld. Und in der Sprechstunde werfen sie dann beim Lehrer ihre ganze Wichtigkeit in die Waagschale.
Die Gymnasien wurden schon reformiert. Bekommen haben wir ein hastig beschlossenes und auch schon nachgebessertes G8. Es wurde eingeführt, weil unsere Absolventen im internationalen Durchschnitt zu alt werden. Schuld daran ist aber nicht das dreizehnte Schuljahr. Sicher habe ich das Abiturjahr immer als verkürztes Rumpfschuljahr erlebt (ein historisches Erbe aus der Zeit, als man die Wehrpflicht von W18 auf W15 reduzierte). Die Schüler wurden im Abiturjahr nicht mehr gefordert, der männliche Teil konnte sich schon mal auf die Gammelei vorbereiten, die im darauf folgenden Wehr- und häufig auch im Ersatzdienst stattfindet. Und dadurch geht ein Jahr verloren und der Wiedereinstieg ins Lernen muss auch erst wieder geschafft werden. Das gilt natürlich nur für die jungen Männer, die nicht „clever“ genug sind, den Pflichtdienst zu vermeiden. Aber so ist das mit der Wehrgerechtigkeit, wie häufig im Leben ist nicht nur der „Ehrliche“ sondern auch der „Ungeschickte der Dumme“.
Auch universitäre Reformen mit neuen Abschlüssen habe die Erwartungen nicht erfüllt. Mein verehrter Professor F.L. Bauer hat zu den neuen Universitäts-Abschlüssen Bachelor und Masters mal gesagt, dass sie von Menschen eingeführt worden sind, die die Begriffe toll fanden, aber nie begriffen hätten, was sie bedeuten würden. Studiengebühren wurden auch eingeführt, aber nicht durch Stipendien für sozial schwächere ergänzt. So verzichten offensichtlich Abiturienten aus Nicht-Akademiker-Familien immer mehr auf den Besuch der Unversität, was ja auch nicht Ziel sein kann.
So ist die Bildungspolitik kein Glanzstück unserer Politik. Widersprüchliche Forderungen werden gestellt, beliebige Aussagen gemacht, müde Kompromisse geschlossen. Es gibt keine übergreifende Strategie und kein Konzept, nicht einmal der Wille zu einer klaren Reform ist zu erkennen. Und das Thema wird zwischen Bundes- und Länderhoheit zerrieben.
Wir brauchen aber dringend ein förderndes und forderndes Bildungssystem, das Menschen Werte vermittelt, die Errungenschaften einer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft verteidigt und vor allem den Heranwachsenden die Chance gibt, ihr Leben eigenverantwortlich zum Gelingen zu bringen. Die Lehrer müssen wieder in die Lage versetzt werden, Autorität zu zeigen und Respekt zu lehren. Und selbstverständlich müssen wir unsere jungen Menschen befähigen, auch fachlich in einer nicht trivialen Zukunft überleben zu können. So brauchen wir klare und effiziente Ausbildungslinien, in sich homogen und konsistent, von der Grundschule ins Leben oder bis hin zur Universität, und dies ohne Unterbrechungen wie Wehrdienst oder Ersatzdienst!
Aber da sind wir dann bei besonders heiligen Kuh, der Wehrpflicht. Und über die sollte man auch reden, ohne Sachzwänge und ideologische Prägung. Mir hat man seinerzeit als W18 gelehrt, dass wir „unsere“ Bundeswehr für die Verteidigung unserer Demokratie und Heimat (und unserer Frauen) bräuchten. Heute soll sie weltweit den Kampf gegen den Terrorismus führen und eh nicht befriedbare Länder wie Afghanistan befrieden (und vielleicht demnächst im Inneren eingesetzt werden). Damals war die Bundeswehr eine Massenarmee, durch die Wiedervereinigung musste sie deutlich verkleinert werden und soll eine Armee von Spezialisten sein. Passt das noch zu einer Wehrpflicht?
Die Hoffnung bleibt, dass mit dem Thema „6 Jahre Grundschule“ in den Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Bayerischen Regierung ein erster Grundstein für eine neue Bildungspolitik gelegt wird. Und Gymnasien und Hochschulen besser aufeinander abstimmt werden. Und wenn man im Sinne einer kontinuierlichen und effizienten Ausbildung dann auch noch gleich über die Abschaffung der Wehrpflicht nachdenken würde, wäre das wirklich schön!
RMD
2 Antworten
Die Wehrpflicht ist zwar nicht abgeschafft, wurde und wird aber schon stark ausgehöhlt. Die Dauer ist beispielsweise auf 9 Monate (abzgl. Urlaub) reduziert und die Ausnahmen, die dem Unehrlichen und/oder Geschickten zur Verfügung stehen, um sich dem Dienst zu entziehen, wachsen tendenziell eher.
Auch die Kreiswehrersatzämter mustern immer lässiger und viele Kandidaten werden ganz ohne eigenes Zutun und rechtlich völlig korrekt ausgemustert. Oder zumindest in Verwendungsgrade eingeteilt, die dem gleichstehen.
Schließlich hat die Wehrpflicht auch zwei selten beachtete Seiten.
Zum einen kann der Weg über die Bundeswehr relativ geradlinig zu einem lukrativen und respektablen Studium führen (Ingenieurwesen, Informatik, Medizin, etc.)
Zum anderen gäbe es ohne Wehrpflicht auch keine Zivis und ohne Zivis kein funktionierendes Pflege- und Gesundheitssystem in Deutschland. Auch wenn man als Fehler des Systems bedauern mag.
All das, was in Wirtschaftsunternehmen die Heerscharen der Azubis, Volontäre, Praktikanten, Werkstudenten, 1-Euro-Jobber und 400-Euro-Kräfte erledigen (mancher zählt inzwischen auch die Zeitarbeitskräfte dazu), erledigen die Zivis im Bereich des Gesundheitswesens.
Diese von heute auf morgen dort „abzuziehen“ hätte vielleicht sehr unangenehme Folgen?
Sehr gut und spannung!