InterFace-Geschichte #6 – The Wind of Change (Überblick Teil 2)

Hier die zweite Etappe der InterFace-Geschichte (Übersicht):

In den 90iger Jahren blies er wieder, der gnadenlose Wind des Wandels. Er veränderte die IT-Welt massiv. Windows (und Solitär) eroberten auch die „professionellen“ Arbeitsplätze. Client-Server-Lösung war das magische Wort. Microsoft nahm die Großkunden ins Visier und baute mit hohem Tempo einen schlagkräftigen Industrie- und Behördenvertrieb auf. Mit „Select-Verträgen“ wurden die Kunden umgarnt und eingefangen.

Die Entwicklung ging an InterFace nicht vorbei. Wir portierten CLOU, der auf allen Unix-Systemen lief, auf Windows. Ein CLOU-Client für Windows (CLOU-CS) entstand, mit dem MS-Word in die CLOU-Welt eingebunden werden konnte.

Aber eines war dennoch klar: CLOU und HIT als zeilen- und spaltenorientiertes und nicht „wysiwyg-fähiges“ (wysiwyg – what you see is what you get) Textsystem konnte langfristig die Wünsche der neuen Bunt&Clicky-Welt nicht erfüllen. Die zeichenbasierte Architektur erlaubte keine Umprogrammierung in ein modernes Textsystem mit entsprechender GUI (graphic user interface). Die Zeit von CLOU und HIT ging absehbar zu Ende.

Wir aber wollten weiter eine Produktfirma bleiben und entwickelten ein Nachfolge-System. Die Investition konnten wir uns aufgrund der sprudelnden Lizenzeinahmen leisten. Damals war ODA (open document architecture) und ODIF (open document interchange format) in aller Munde und wurde sogar ISO-Norm. Europäische und Deutsche Behörden in Bund und Ländern legten ODIF als verbindliches Format für den Austausch von Dokumenten fest. Die großen Hersteller wie IBM, Siemens, Bull, DEC und manche mehr gründeten ein „ODA-Konsortium“, das Basis-Software für die Generierung von ODIF aus Anwendungen heraus erstellte und verteilte.

Die InterFace entwickelte einen waschechten ODA-Editor, der natürlich „wysiwyg“ war und auf UNIX und Windows lief. Mit diesem System wollten wir unsere alten Installationen ablösen – und so Word die Stirn bieten ;-). Wir stellten ein Team von ausgewählten Mitarbeitern ab. Damit dieses Team abgeschirmt vom Tagesgeschäft arbeiten konnte, mieteten wir eine Altbauwohnung im Tal in München – ausreichend weit weg von Unterhaching. Störungen waren strengstens verboten und tatsächlich entstand „scrum mäßig“ und in atemberaubendem Temop ein tolles Texsystem – der MagicHit.

Wir konnten auch einen Kunden für MagicHIT gewinnen. Die Bundeswehr setzte ihn in einem Projekt zur Automatisierung ihrer Gefechtsstände ein, da dank der im Dokument aufgrund der ODA-Architekur vorhandenen Tags die Inhalte der Meldungen sehr einfach maschinell ausgewertet werden konnten.

Der Markt war (natürlich) nicht auf unserer Seite. Entgegen der Festlegung der Behörden entwickelte sich MS-Word zum Quasi-Standard für Schreiben im Büro wie privat und drängte uns zurück, wie auch andere Textsysteme wie z.B. Wordperfect. Gelebte Standards für den Austausch von Dokumenten auch bei Behörden wurde MS-Word 2.1 und RTF. ODA und ODIF verschwanden klammheimlich (und kommen in neuer Form basierend auf Ansätzen wie XML und ODF zurzeit wieder).

Letztendlich mussten wir die Entwicklung von MagicHit beenden. Uns blieb damals nur das Know-How, dass wir aber schon bald und dann noch mal viel später exzellent nutzen konnten. Geblieben sind auch Erinnerungen an eine spannende Zeit, die noch den einen oder anderen Beitrag in IF-Blog wert sein wird.

Wir haben noch einen zweiten Versuch gewagt, Produkt-Hersteller zu bleiben. OCÉ hatte gerade das Geschäftsfeld HLD (Hochleistungs-Druck-Systeme) von Siemens übernommen und wollte so richtig in den Bereich PoD (Print on Demand) einsteigen. Mit unserem Dokumenten-Know-How waren wir der gesetzte Partner. Die Ernsthaftigkeit der Kooperation wurde sogar durch eine Kapital-Verflechtung zwischen Océ und InterFace unterstrichen. Océ hatte für das PoD-Geschäft eine ganze Marketing-Abteilung und einen eigenen Vertrieb aufgebaut, die Prognosen von Gartner waren auf unserer Seite. Mit einem Toolkit zur effizienten Entwicklung von PoD-Lösungen wollten wir gemeinsam erfolgreich werden.

Tatsächlich haben wir gemeinsam eine Reihe bemerkenswerte PoD-Projekte realisiert und viel Anerkennung eingeheimst. Aber jedes Projekt war technisch und von der Lösung her so einzigartig, dass der durch den Einsatz unseres Toolkits beabsichtige Skalierungs-Erfolg nie zum Tragen kam. Der Markt für PoD-Lösungen war und blieb gegen alle Voraussagen der Analysten sehr beschränkt. Über unser PoD-Engagement gibt es auch noch einiges Interessante zu berichten, doch leider war der Versuch, ein erfolgreiches PoD-Produktgeschäft zu entwickeln nicht so erfolgreich wie geplant.

So beschlossen wir, das Unternehmen InterFace AG in ein Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen umzuwandeln. Ein attraktives Thema erschien uns Knowledge Management, aber kommerziell konnte man damit aber auch keine großen Sprünge machen. Es gab Irrungen und Wirrungen, wir probierten manches aus – auch ein neues Logo und neue Vorstände – und kehrten dann wieder zum Bewährten zurück. Wir beide – Thomas (Vallon) und ich hatten es damals oft nicht einfach. Aber dann schloss sich Maximilian (Buchberger) uns an. Wir starteten neue Kooperationen mit diversen Herstellern, lernten viel dazu und schnell ging es wieder nach vorne.

Die meisten Mitarbeiter verstanden die Notwendigkeit des Wandels von einem „Laborunternehmen“ zum IT-Dienstleister. Wir lernten gemeinsam Krawatten binden und tauschten die kurze Hose mit dem Anzug. Wir analysierten unsere Stärken und Qualitäten und ordneten unsere Geschäfte. So entstand die heutige InterFace AG mit drei Geschäftsfelder: IT-Organisation, IT-Infrastruktur und IT-Applikationen. Jeder Vorstand übernahm ein Thema, alle drei Geschäftsfelder entwickelten sich erfolgreich.

An dieser Stelle ein herzliches und ganz großes „Danke Schön“ an meine beiden Mitstreiter Thomas und Maximilian (mal nicht alphabetisch sondern der Länge der Zugehörigkeit zum Unternehmen nach geordnet).

RMD

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