Warum war ich aufgewacht? Hatte ich Angst…
Ich wusste doch, dass zu diesem Gebäudetrakt des ehemaligen Schlosses, das Hans über viele Jahre sorgfältig renoviert hatte, niemand Zutritt hatte, außer mir und Doro.
Und Doro lag wie immer neben mir in unserer nicht ganz heimlichen gemeinsamen ‚Liebesfalle’ und schlief…
Oder nicht?
Ich richtete mich auf und machte Licht.
Seltsam, ihr Schlafplatz war leer? Nur diese rote Glaslanguste, die sie mir vor vier Jahren aus Venedig mitgebracht hatte, als sie noch wie eine Wahnsinnige in mich verliebt war und mich am liebsten, wie sie immer wieder sagte, mit Haut und Haar aufgefressen hätte, glotzte von ihrem Nachttisch ratlos zu mir herüber…
Komisch, Doro musste aus irgendeinem Grund vorsichtig aufgestanden sein, um mich ganz bewusst nicht zu wecken. Aber vielleicht war es ja nur Fanny, ihr unsäglicher Zottelhund, der angeschlagen hatte und den sie beruhigen wollte. Sie hörte ihn immer, ich nie…
Warum plötzlich diese schmatzenden Geräusche auf dem Flur? Oder träumte ich mit offenen Augen? Und Fanny, warum bellte die nicht…
Angespannt horchte ich nach draußen. Hinter der Tür bewegte sich eindeutig etwas, ganz leise, als wollte jemand unter keinen Umständen entdeckt werden…
Obwohl ich aus irgendeinem Grund Angst hatte, zwang ich mich aufzustehen. Am liebsten hätte ich laut Doro, nein Dorothea, gerufen, aber ein unbestimmtes Gefühl hinderte mich daran. Endlich war ich bei der Tür und drückte die Klinke. Die Tür ging nicht auf!
Ich probierte es noch einmal und rüttelte kräftig. Die Tür war eindeutig abgesperrt.
Das war wirklich mehr als seltsam…
Jetzt merkte ich auch, dass der Schlüssel weg war, den ich aus Sicherheitsgründen immer innen stecken ließ. Ich atmete ein paar Mal kräftig durch, um meinen Puls wieder runter zu bringen.
Das musste wohl ein Scherz sein? Oder ein Missverständnis?
Was sonst?
Ohne noch weiter nachzudenken rief ich jetzt doch laut nach Dorothea und lauschte an der Tür. Aber da war nichts!
Oder doch?
Mir war als hörte ich jemand Tuscheln.
Völlig kopflos rannte ich zum Fenster, um hinauszuschreien.
Die kühle Luft beruhigte mich. Ich schämte mich plötzlich. Es war stockdunkel draußen, der Wind hatte wieder aufgefrischt und rauschte in den Blättern wie ein Gebirgsbach.
Unschlüssig machte ich das Fenster zu und legte mich auf mein Bett. Trotz aller Panik, musste ich dann doch irgendwann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, begann es draußen bereits hell zu werden.
Neben mir hörte ich die ruhigen Atemzüge von Doro.
Es dauert einige Sekunden, bis ich ganz zu mir kam. Eigenartig verschwommen hallte die nächtliche Panik noch in mir nach. Ich blickte zur Tür, der Schlüssel steckte wieder! Doro schlief sanft und ruhig neben mir.
Ich betrachtete sie gerne, wenn sie schlief. Ihr ausgesprochen schönes Gesicht hatte dann immer etwas Anrührendes; heute beunruhigte es mich aber…
Endlich wachte sie auf und strahlte mich an.
Warum sollte ich jetzt noch fragen, wo sie gewesen war? Ich schmiegte mich an sie und küsste sie vorsichtig auf ihre weichen Lippen.
Nach einer flüchtigen Morgentoilette und einigen weiteren, leider belanglosen Zärtlichkeiten schlenderten wir wie üblich über den nun Licht durchfluteten Flur, um uns im Hauptgebäude ein kräftiges Frühstück zuzubereiten.
Ein herzhafter Duft nach frischem Kaffee ließ uns aber gleich vermuten, dass da nicht mehr viel zu tun war. Mit ausgebreiteten Armen kam Hans, mein Mann, uns entgegen und umarmte mich stürmisch. Doro begrüßte er nur flüchtig.
Er hatte gestern doch früher Schluss machen können und war noch in der Nacht zu uns heraus gefahren. Da wir uns aber schon zurückgezogen hatten, hatte er nicht mehr stören wollen.
Das tust du doch sonst immer, dachte ich und wunderte mich, dass ich das dachte.
Womit haben wir uns dieses herrliche Wetter verdient, schwärmte Hans. Und dieses fantastische Frühstück, das ich uns zubereitet habe, ja überhaupt dieses gesamte endlose Wochenende, an dem wir es uns einmal wirklich nur gut gehen lassen wollen…
Doro lachte Hans zustimmend an.
Ich dann auch. Und die zottelige Fanny wuselte zwischen unseren Beinen herum und freute sie sich auch….
Mitte Mai machte ich trotz des sich ankündigenden Gewitters am Freitagnachmittag noch schnell einen Schaufensterbummel durch die Friedrichstrasse. Die neue Farbe Schilf hatte es mir angetan; vielleicht fand ich ja etwas für mich, was mich aus meinem Stimmungstief zog…
Aber die Götter hatten kein Einsehen mit mir, denn völlig überraschend gingen die beiden auf einmal vor mir, ohne mich zu bemerken. Ich wusste ja, dass sie kommen würden. Aber dass sie es so eilig hatten und schon so früh ankamen, trieb mir komischerweise jäh die Tränen in die Augen. Innig umschlungen schwebten sie förmlich durch das feierabendliche Gewühle der hektischen Friedrichstrasse. Für einen kurzen Moment verlor ich sie sogar aus den Augen. Obwohl ich versuchte mich wieder einzukriegen, spürte ich wie mein blödes Herz bis zu den Ohren hoch dröhnte.
Zielstrebig steuerten sie das „Hotel Nora“ an, in dem ich vor Hans, auch schon mit Dorothea ein paar Mal gewesen war und indem ich seit vier Wochen arbeitete, was die beiden aber nicht wissen konnten, da ich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, ihnen meinen Rauswurf im „Parkhotel“ zu beichten! Mir war fristlos gekündigt worden! Angeblich wegen Unbeherrschtheit, aggressiven Verhaltens gegenüber Gästen und versuchter Erpressung, was natürlich absolut lächerlich war, da diese angeblichen Opfer, wirklich alles verdient hatten, was ich ihnen ‚zustoßen ließ’…
Aber als ich vorsichtig durch die offene Tür zur Rezeption lugte, war Doro schon weg und Hans nahm gerade den Zimmerschlüssel entgegen!
Hoffentlich teilte mein sensibles Hänschen sich seine Kräfte ein! Und Doro auch, denn sie würden beide sehr viel Zeit haben in dem abgelegenen Appartement, das ich ihnen ausgesucht hatte – ohne Telefon und Handy–Empfang! Die beiden Brandschutztüren in diesem Gebäudeteil werde ich in einer halben Stunde schließen, die waren dann das gesamte Wochenende nicht mehr zu öffnen.
Schade nur, dass ich nicht dabei sein konnte, wenn Doro ihre kleine rote ‚Murano-Languste’ entdeckte, die ich ihr vor der Verriegelung der beiden Türen noch auf die herrlichen blauen Glaskugeln zaubern werde, die ich in der Glasschüssel auf dem Ecktisch neben ihrer Zimmertür so arrangiert hatte, dass sie in der Morgensonne strahlten, als wären sie von innen heraus beleuchtet…
Wirklich schade!
KH
Zum Bild: Martina Roth, „Glasmenagerie“ ,Acryl auf Leinen 70 x 90 cm
2 Antworten
Mir verschlägts die Sprache.
Besser als alle Stories in Schirach’s „Verbrechen“
Thank you Evelyn, I prefer now the English version of this story…