Ab und zu werde ich Zeuge von wenig sinnvollen und recht dogmatischen Diskussionen zwischen „Agilos“ und „konservativen Denkern“, wie zum Beispiel den Verfechtern des V-Modells. Und stelle fest, dass da oft „agil“ mit „iterativ“ verwechselt wird.

Iterativ bedeutet, dass man auf dem Wege lernt und das Gelernte dann auch um- und einsetzt. Dazu plane man die Meilensteine weniger mächtig und mache so die Projektzyklen kürzer. Das geht auch im V-Modell und den nach dem Wasserfall benannten Methoden. Man muss doch nur mehrere kleine und verkettete Schritte als „v“s an Stelle eines einzigen riesengroßen „V“ planen. Und schon ist man „iterativ“ und manches wird besser …

Agil bedeutet aber viel mehr und weit mehr, als der einfache Begriff so suggeriert:

  • Alle Projektbeteiligten ziehen freiwillig an einem Strick.
  • Das Projekt macht Sinn, die Menschen im Projekt machen es sich zu eigen.
  • Es entsteht eine hohe Identifikation mit dem Projekt (und dem Projektziel!).
  • Das Projekt ist nicht nur Mittel zum Zweck wie des eigenen Gelderwerbs.
  • Eigener Nebenzweck hat nicht Priorität vor dem Projekterfolg.
  • Alle Beteiligten denken mit und über den (eigenen) Tellerrand hinaus.
  • Die Verteilung der Aufgaben wird wie der Zeitplan wohlüberlegt im Team erarbeitet.
  • Die Übernahme von Aufgaben erfolgt freiwillig.
  • Alle Beteiligten sind bereit, ihr Wissen zu teilen und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
  • Die Bereitschaft von einander zu lernen und die eigene Erfahrung weiter zu geben ist durchgehend und symmetrisch vorhanden.
  • Das Klima im Projekt kann mit „kameradschaftlich“ beschrieben werden, die Zusammenarbeit erfolgt immer auf Augenhöhe, Respekt und Achtung vor einander ist der Normalzustand.
  • Die Projektlage in ihren verschiedenen Dimensionen ist immer absolut transparent.
  • Es besteht immer eine große Klarheit über die aktuelle Lage/Situation des Projektes, dessen Ziele und Relevanz .
  • Die Arbeit am Projekt erfolgt in einem „angstfreien Raum“, der Mut fördert und Freude zulässt.
  • Jeder im Projekt verfügt über einen gesunden „Werksstolz“ und sieht sich eher als „Handwerker“ denn als genialer Held.

Da könnte man noch einiges dazu schreiben …

So lasst uns unsere „Projekte“ agil und iterativ angehen und durchführen. Und wir werden mit kleinen Teams Erstaunliches  bewirken und in großen Teams (manchmal bestehend aus vielen kleinen Teams) Außergewöhnliches schaffen!

„Agil“ wird von den Menschen gelebt. Agil geht für Projekte aller Komplexitätsgrade oder Größen. Methoden wie SCRUM oder KANBAN, sogar das „olle“ V-Modell sind hilfreich. Sie sind aber letzten Endes nicht entscheidend über den Erfolg der Projekte. Vielmehr hängt es von der Unternehmens-Kultur und dem Verständnis von Führung und Management ab, ob Projekte Freude oder Schmerzen machen.

Und wenn es hier eine Schieflage gibt, dann geht „agil“ nicht. Dann sollte man am besten die Projekte stoppen und zuerst mal den Laden umkrempeln.

RMD

P.S.
😉 Streicht man in „interaktiv“ das „n“ und das „k“, schon hat man „iterativ“. Könnte ein Hinweis darauf sein, dass es halt doch vor allem um das gemeinsame „Interagieren“ und „Kommunizieren“ geht.

10 Antworten

  1. Die Frage „agil oder klassisch“ stellt sich doch nur den Ideologen, die nix auf die Reihe bekommen, aber in der möglichst elegant formulierten Formulierung dieses Umstandes ihren Lebenssinn sehen.

    Es kommt halt auf das Projekt an !

    Bestimmte Produkte werden halt sehr langweilig und umständlich, wenn die Entwicklung nur von wenigen bestimmt und autoritär geführt werden.

    Auf der anderen Seite gibt es ein dem Menschen innewohnendes Gen, das offenbar für die Ausschüttung von Glückshormonen sorgt, wenn wenig gedacht, aber gemeinsam mit vielen ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll.
    „Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen …“ …

    Nehmen Sie Dönitz: Er war nicht nur ein grausamer Kriegsverbrecher, sondern auch ein denkbar schlechter „Projektleiter“, der beispielsweise wichtige strategische Neuerungen qua völlig überflüssigem Funkverkehr dem Gegner zur Kenntnis gab. Zudem wurde Dönitz während seiner gesamten Wirkungszeit blockiert, erst durch Erich Raeder und dann durch die tumben Ideen des größten Schlachtenlenkers aller Zeiten.
    TROTZ dieser widrigen Umstände war die von Dönitz geführte U-Boot – Waffe schrecklich effektiv.

    Dieses Jahr habe ich in einem „U-Boot“ – Projekt verbracht, in welchem die Zuständigkeiten sehr schön aufgeteilt waren: Befehlen durfte nur einer, Befehle mußten umgehend ausgeführt werden, Denken war verboten.
    Ich durfte die technischen Richtlinien entwickeln, auch hier galt (selbstauferlegtes) Denkverbot: Nicht Denken, sondern verantwortlich Nachdenken.
    Vor allem aber gab es ein martialisches „Kick-Off“ – Camp zum Einschwören, „Four legs good, two legs bad“ – na gut, es hieß etwas anders. Aber wir haben ganz klar auf den Herdentrieb der Mitarbeiter abgestellt, sehen Sie sich diese schmierigen „Mario Barth“s und Konsorten an – Menschen lieben klare Ansagen mit idiotischen Inhalten.
    Programm und Folien haben wir zu zweit erarbeitet; ich hatte schon immer ein Faible für niveaulose, aus dem Zusammenhang gerissene Darstellungen, doch diesmal konnte ich noch deutlich einen drauf- respektive druntersetzen.

    Tja, was kam am Ende des Projekts dabei heraus ?

    – Zeitvorgabe eingehalten
    – Von 33 Mitarbeitern sind 32 begeistert
    – Kostenrahmen _unter_schritten (das passiert uns nie wieder)
    – ZIEL ERREICHT
    – Kunde zufrieden

    Ach ja, und

    – Top – Referenz gewonnen.

    Was heißt denn das für die Zukunft ? Also, ich überlege mir ernsthaft, nur noch in solchen Projekte zu arbeiten, die autoritär geführt werden können und werde viel weniger Wert auf gute Entwickler legen als auf gute Eintänzer.

    Und anstatt ein PM-Camp zu besuchen, fahre ich in der gesparten Zeit auf die Kapverden.

  2. Mir scheint da aber trotz U-Boot eine sehr kameradschaftliche Projektkultur mit hoher Eigenverantwortlichkeit geherrscht zu haben?

    Im übrigen bin ich der Meinung, dass agil und hierarchisch kein Widerspruch sind oder sein müssen. Es gibt ja auch die Utopie vom „Guten Tyrannen“, die vielleicht auch gar nicht so selten ab und zu mal Realität wird. Da ich aber Tyrannen misstraue, bin ich mehr für die von mir beschriebene Form von Agilität 🙂

    Aber in jedem Fall gilt aber, dass im Projekt gegenseitige Achtung und Respekt gelebt werden müssen.

    Und vielleicht auch noch mal betont: Mir geht es nur um gutes Gelingen, nicht um absolute Effizienz!

    Ein abschreckendes Beispiel für „U-Boot-Projekte“ ist für mich die deutsche Industrie in den Kriegsjahren 1938 – 1945. Wahrscheinlich waren Leistung und Effizienz derselbigen damals in Rekordhöhe, einfach weil der ganze Staat zu einem U-Boot wurde. Aber mit welchen Umständen wurde das erkauft?

    Wie gesagt – es geht um die Kultur. Und da geht es vor allem um Respekt und Achtung.

  3. Folgenden Kommentar habe ich von tural (‏@tural3) per Twitter bekommen:

    Welche Kultur? Verhaltenskultur oder Wertekultur?
    Doppelte Kontingenz könnte eine mögliche Erklärungshilfe liefern: für agil. klassisch, Wasserfall, Armstand, Handstand.

    Finde ich sehr überlegenswert.

  4. Wie gesagt – es geht um die Kultur. Und da geht es vor allem um Respekt und Achtung.

    Große Worte – triste Fakten:
    Kultur (hat m.E. übrigens nix mit Respekt und nur mittelbar mit Achtung zu tun) findet man bei den meisten vorgeblichen „Wissensarbeitern“ nicht mehr vor, sondern nur noch „Kult“.

    „In die hungrigen Mägen Eingang finden
    nur Wurstargumente mit Knödelgründen.
    Ein Rinderbraten, braun gesotten,
    behaget den radikalen Rotten
    viel besser als ein Mirabeau
    und alle Redner seit Cicero“

    Wenn schon Unkultur, dann doch lieber U-Boot.

    Noch ein Beispiel aus dem Guerilla-Projektmanagement gefällig ?

    Zum ‚Kick off‘ haben wir alle auf eine Radtour gezwungen, wer nicht mitfuhr, war automatisch ‚raus. Mobiltelephonverbot. Nur 80 Km, aber teilweise durchaus bergig.

    Die getauften Heiden hatten uns verflucht, aber hinterher waren alle glücklich, weil sie ein gemeinsames Ziel erreicht hatten und sich gegenseitig geholfen hatten.

    Das war für alle eine ganz neue Erfahrung, Hilfe anzunehmen. Im Büro sind sie zu dämlich, eine gemeinsame Kaffeekasse zu führen, sodaß jeder seine eigene Kaffemaschine mitbringen muß, aber in der Ausnahmesituation wurden sie auf einmal zu Menschen.

    Kultur leitet sich ja sowieso aus dem Partizip Perfekt Passiv von ‚colere‘ ab, ‚pflegen, anbauen, verehren‘.
    Je nachdem, wie ich nächstes Jahr drauf bin, setze ich ein Projektteam für eine Woche als Erntehelfer ein.
    Das ist nicht nur im Wortsinn ertragreicher als „virtuelle Sparring Partnerschaft für Ping Pong Thinking“.

    Ich fahr‘ den Traktor.

  5. Lieber Hans

    ich bleibe dabei – Radtour wie Erntehelfer-Team ist agil. Und Hilfe annehmen (und geben) ist agiles Handwerk.

    Sprachhülsen (buzz words) gibt es überall, gerade bei Dingen, die modern sein sollen.

    Und:
    Natürlich ist Kultur ‘Pflegen, Anbauen, Verehren‘. Aber steckt in diesen Worten nicht schon der Respekt und die Achtung drin?

  6. Da bringen Sie mich auf eine Idee:
    Werde in Zukunft mehr unpopuläre Maßnahmen als ‚agil‘ verkaufen. Das sollte jede Menge Rücksprachen ersparen.

  7. Unpopulär und Agil passen gut zusammen. Genau dann, wenn die „unpopulären Maßnahmen“ helfen, personales und gemeinsames Leben in seinen vielen Dimensionen zu erweitern und zu mehren und nicht zu reduzieren.

  8. Wenn es zum Beispiel um die Neugestaltung eines Bahnhofs geht, so wie dies in Uelzen sehr gut gelungen ist, dann braucht man sicherlich viele Köpfe mit vielem „Dimensionen“.

    Die profanen Projekte, in denen ich arbeite, unterliegen einer anderen Metrik:
    http://www.organisiert.ch/2009/05/das-ziel-ist-das-ziel-halte-den-weg-kurz/trik.

    Noch schlimmer: (Bezahlte) Leistung = Arbeit / Zeit

    Da haben Sie dann drei Typen von Mitarbeitern:

    Typ A will „Kilometer machen“, Metadiskussionen gehen ihm am Arsch vorbei und er will irgendwann auch einmal Feierabend haben, weil er nämlich auch ein Leben hat.

    Typ B will keine gute Software bauen, sondern das auf Ewigkeit perfekte System. Dabei überschätzt er regelmäßig die eigenen Fähigkeiten und „erreicht“ oft das Gegenteil des Beabsichtigten. Für die Entscheidung der Frage, „Wann ist gut gut genug“ braucht man mindestens 15 Jahre Berufserfahrung und daher behalte ich mir die Entscheidung darüber ausschließlich vor, wenn ich die Verantwortung trage.
    So ist der Ärger vorprogrammiert.

    Typ C redet über alles und hat zu nix etwas zu sagen, findet aber immer wieder Gefolgsleute und sorgt mit seinen wohlformulierten Bedenken
    für ausufernde Meetings.

    Das mit den Meetings läßt sich leicht regeln, indem man diese im Raucherraum abhält, gute Programmierer rauchen, schlechte nicht.

    Aber dreimal dürfen Sie raten, welchen Typ ich am liebsten unterstütze ?

    Übrigens gilt das für mich auch umgekehrt:
    Gerne nehme ich auf der Ruderbank Platz und setze meine Anweisungen um – mit Sorgfalt und handwerklicher Hingabe. Dazu bedarf es keiner Kultur, sondern etwas Demut.

    Die Leiterin der Moerser Musikschule, eine der klügsten Menschen, die ich kenne, meinte einmal, bevor man ein Instrument beherrschen könne, müsse man sich in Demut üben. Sie ist selbst Konzertpianistin und -Flötistin und wird wissen, was sie sagt.

  9. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole:

    Demut ist die Mutter von Kultur.

    Und das mit den Rauchern ignoriere ich 🙂

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