Ich lebe zurzeit im Paradies. Schon ist das Zelt direkt am Meer zur vertrauten Heimat geworden. Alles passt und tut gut.
Die Anreise war angenehm, die Krti 2 hatte nur 30 Minuten Verspätung (das ist fast Rekord verdächtig wenig). Den Halt in Korfu gibt es nicht mehr – und auch das Ausschiffen in Patras ging sehr zügig – wohl weil das Schiff schon ziemlich leer war. Denn beim Zwischenstop in Igoumenitsa haben die meisten Fahrzeuge das Schiff verlassen, denn dort beginnt die Autobahn nach Istambul – und dorthin rollt der Verkehr.
Beim Einlaufen in den Hafen von Patras hat uns schon der erste Waldbrand auf zwei Gipfeln über der Stadt wie zur Begrüßung empfangen. Und bei der Weiterfahrt noch im Dunklen in Richtung Korinth haben uns dann regelmäßig die uns auch gut vertrauten Löschflugzeuge überflogen. Bis dann im Osten die Sonne aufging.
Jetzt haben wir uns eingenistet. Und fühlen uns wieder wie zu Hause. Die Gedanken schweifen und die Gespräche kreisen um Dinge, die uns bewegen. In zwei Wochen geht es wieder nach Hause. Dann sind Wahlen in Deutschland. Wen sollen wir wählen? Und sollen wir wählen überhaupt wählen gehen?
In der Politik und bei allen Parteien vermisse den Diskurs zu den relevanten Problemen unserer Gesellschaft. Es gibt keinen Versuch, einen sozialen Konsens in unserer politischen Welt zu finden. Die Parteiprogramme sind voller Worthülsen, eine Besinnung auf gemeinsame Werte findet nicht statt. Unsere Probleme stammen aus dem 21. Jahrhundert, die Parteien aber wollen sie mit Lösungen je nach Farbe aus dem 18., 19. oder 2o. Jahrhundert bekämpfen. Das kann nicht funktionieren. So steigt der Verdruss der Menschen, die sehr wohl Lippenbekenntnisse hören, aber dann immer wieder das Gegenteil erleben und erfahren.
Mir sind die Menschen am wichtigsten. Und da finde ich, dass wir eine unsolidarische Gesellschaft geworden sind. Wir lassen es zu, dass viel zu viele Menschen keine soziale Heimat mehr finden. Dass sie von Bildung ausgeschlossen werden. Und dass sogar die Kinder der privilegierten Schichten leider nicht die wichtigen Dinge lernen, sondern einer Wissens-Bulimie zum Opfer fallen. Werte, der Spagat zwischen Individuellem und kollektivem Leben und wirkliches Lebenswissen werden in der täglichen schulischen Arbeit an den Rand gedrängt. Die Grundlagen von Demokratie und Rechtsstaat werden nicht mehr vermittelt.
Die Lehrer, die ich kenne, berichten mir immer wieder Vernichtendes aus ihrem Alltag. Denn die Bildung ist wie die Arbeit, die Gesundheit und die meisten anderen Bereiche unseres Lebens „ökonomisiert“ worden. Das tut weh. Wenn unser ganzes Handeln nur noch dem Diktat von Ökonomen unterworfen ist, schmerzt das besonders in allen Feldern, in denen Menschen die betroffenen sind.
Das gilt auch für die Betreuung zum Beispiel der Kinder in Pflegeheimen. Kinder, die vielleicht sogar noch Eltern haben, die aber nicht in der Lage sind, ihre Kinder emotional und materiell ausreichend zu versorgen. Denen deswegen z.B. das Sorgerecht entzogen wurde. Hier spielen sich so viele schlimme menschliche Dramen ab. Das ist an sich schlimm genug. Noch schlimmer ist aber, dass hier die Saat für noch mehr Leid geschaffen wird.
Unsere Gesellschaft produziert immer mehr Verlierer und Opfer. Wir ignorieren das und versuchen, mit sozialen Reparatur-Betrieben das Schlimmste zu vermeiden. An Vorsorge durch wahrhafte Bildung und emotionale und empathische Zuwendung denken wir nicht. Man studiere doch nur, wie Medizin und Krankenhäuser zu mechanischen und ökonomisierten Reparaturbetrieben verkommen sind.
Dieses Ökonomisieren mittlerweile aller unserer Strukturen und Lebensverhältnisse betrübt mich. Wenn ich eine Partei wählen würde, dann nur eine, die dies erkennt und ernsthaft dagegen etwas tun will. Und dies mit oberster Priorität.
Nur geben wir das Geld für ganz andere Dinge aus. Und das meiste erscheint mir als Unsinn. Ich bin mal durch Berlin geradelt. Vorbei am neuen Gebäude des Bundesnachrichtendienstes. Das größte Regierungsgebäude, dass es jemals in Deutschland gab. Eigentlich ein gigantisches Mahnmal, dass es genauso eben nicht geht! Monströs wie manch andere Behörde, die sich in der „neuen“ Bundeshauptstadt und ehemaligen Hauptstadt des Deutschen Reiches präsentiert.
Und dass, wo wir doch eigentlich auf diese nationale Zwischenschicht verzichten könnten. Ein Land Bayern in einem freien und vereinten Europa der Regionen würde mir völlig genügen. Aber ein Muster-Deutschland der heutigen Prägung, dass sich als Vorbild für Europa selbst empfiehlt, brauche ich nicht.
Und in ein paar Wochen soll ich wählen. Obwohl die Sache schon entschieden ist. Bestenfalls bekommen wir eine Patt-Situation – die dann sich schnell durch eine große Koalition auflösen würde.
Dann denke ich mir, dass ich doch lieber nicht wählen gehe und dafür meinen politische Aktivität auf Artikel wie diesen beschränke. Und in meinen zwar immer völlig unpolitischen Vorträgen noch mehr mich auf die Werte einer freien und aufgeklärten demokratischen Gesellschaft konzentriere.
RMD