Der Vortrag wurde 2014 gehalten.
Heute (2024) habe ich ihn minimal überarbeitet und neu veröffentlicht.
Er erscheint mir wichtiger denn je.
Über die Zukunft von Unternehmen
Die Rückmeldungen zum fachlichen IF-Forum am 27. Juni 2014 im Sportpark Unterhaching waren wunderschön. Vielen Dank an alle, die dabei waren. Ich freue mich schon auf die Videos der einzelnen Vorträge. Hier das Skript meines Vortrages zum Abschluss der Veranstaltung.
Das Thema des IF-Forums war
„Selbstorganisation als Gestaltungsmodell für Unternehmen im 21. Jahrhundert“
Ein neuer (!) Kollege hat mir, wie er zu uns kam, das Sudbury-Buch geschenkt. Das fand ich mutig und ganz toll.
Im Buch geht es um freie Schulen. Es ist ein sehr radikales Plädoyer für freie „Erziehung“. Das gute alte Modell „Summerhill“, das wir in unserer Jugend so geschätzt haben, ist gegen „Sudbury“ so richtig autoritär. 🙂
Ich meine aber, dass mehr „Sudbury“ nicht nur den Schulen gut tun würde. Sondern auch den Unternehmen. Und der Gesellschaft. Und das nicht nur, wenn es um die sogenannten „Wissensarbeiter“ geht.
Warum?
Es gab da mal eine „industrielle Revolution“. Viele Arbeitskräfte wurden in den Fabriken benötigt. Gelernte Arbeiter gab es aber auf dem Markt der Menschen nicht. Es gab einen großen Überschuss an unausgebildeten Menschen, die zum größten Teil aus der Landwirtschaft kamen. Gerade dort wurden aufgrund des Einsatzes neuer Technik massenhaft Arbeitskräfte freigesetzt, die zuvor in bäuerlicher Umgebung gearbeitet hatten. Diese waren einfache Menschen, nicht an zeitliche Disziplin gewöhnt und ohne jeden Bezug zur technischen Arbeit.
Die erste Fließbandproduktion von Fords T-Modell ist ein schönes Beispiel für die Industrialisierung 2.0, die dem erweiterten Einsatz der Dampfmaschine als Kraftmaschine eben in der Landwirtschaft folgte (Industrialisierung 1.0).
Die Zeit und Uhren als Zeitmesser wurden plötzlich relevant. Die „Kaste der Ingenieure“ übernahm die Steuerung der Produktion und übernahmen das Diktat über die angelernten Menschen. Die „Modernen Zeiten“ des Charlie Chaplins hatten begonnen.
Im 21. Jahrhundert verfügen wir zumindest in unserer Gesellschaft über ein ganz anderes Menschen- und Weltbild:
„War is over!“
„Future is female!“
„We want freedom and peace!“
„Wir wollen aktiv Teilhaben am Leben und nicht nur passive Teilnehmer sein.“
…
„Wir leben nicht mehr nur fürs Leben im Jenseits sondern wollen schon im Jetzt glücklich sein!“
Einschub:
Den Artikel habe ich 2014 geschrieben. Angeblich hat eine „Zeitenwende“ dieses Menschenbild in jüngster wieder rückgängig gemacht. Ich hoffe (und glaube inständig), dass dem nicht so ist. Allerdings muss ich zugeben, dass Bellizismus & Co sich leider wieder in der von mir erlebten Welt breit machen (Roland Dürre, 2024).
Auch die Wissenschaft des Management hat sich geändert. Werner von Siemens hat sein geniales Elektrounternehmen (Alles was mit Strom zu tun hat) 1847 gegründet und nach dem Vorbild der deutschen Reichswehr organisiert.
Hans Ulrich von der Hochschule St. Gallen gegründet Anfang der 1980iger (fast 150 Jahre später) das „St. Gallener Management Modell“ und schrieb damals einen kurzen Aufsatz mit dem Titel
„Acht Thesen zum Wandel im Management“.
- Die Unvorsehbarkeit von Zukunft als Normalzustand zu akzeptieren,
- die Grenzen des Denkens weiter zu stecken,
- sich besser vom „sowohl als auch” als vom „entweder oder” leiten zu lassen,
- mehrdimensional zu denken,
- Selbstorganisation und Selbstlenkung als Gestaltungsmodell zu begreifen,
- „Managen“ als sinngebende und sinnvermittelnde Funktion aufzufassen,
- sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und
- Gruppendynamik auszunutzen.
Das empfinde ich als klar und einleuchtend. Hans Ulrich hat in den frühen 80igern damit doch schon alles gesagt. Aber anscheinend haben viele „Manager“ bis heute davon noch nichts gehört.
25 Jahre nach Erscheinen des Aufsatzes von Hans Ulrich habe ich Simon Grand – auch aus St. Gallen und Schüler von Hans Ulrich – kennen gelernt. Mit ihm habe ich in mehreren Workshops zusammen gearbeitet. Und von ihm gelernt, dass ein guter Manager sich letzten Endes nur dadurch auszeichnet, dass er ein wenig öfters als andere in der Lage ist, zu erkennen, was gut und was schlecht fürs Unternehmen ist. Und so öfters als der Durchschnitt der Manager die richtige und keine falsche Entscheidung fällt! Untersuchungen aus Hochschule St. Gallen folgend ist die Quote von falschen Entscheidungen im Management gigantisch hoch.
Vor kurzem habe ich mich mit dem Begriff des Kollateral-Schaden beschäftigt. Dieser findet sich in Wikipedia und wird als Randschaden oder Begleitschaden beschrieben, der nicht vorhersehbar aber billigend in Kauf genommen wird. Ich hätte ihn als Nebenschaden definiert.
Den Begriff des „Kollateralnutzen“ finde ich in Wikipedia (bis heute) noch nicht.
Ist das nicht schlimm! Es gibt bei „bösen“ Handlungen einen Kollateralschaden, den Kollateralnutzen von „guten“ Handlungen kennt man aber gar nicht! Zumindest nicht in Wikipedia.
Ich bin mir nämlich sicher, dass das alles in der Geisteswissenschaft schon erarbeitet wurde. Nur – im allwissenden und uns sicher gewaltig prägenden und bildenden Internet gibt es den „Kollateralnutzen“ als Rand-, Begleit- oder Neben nutzen bisher noch nicht. Die Philosophen sollten hier ihren Job ein wenig besser machen.
Ich behaupte mal, dass ein „guter“ Manager überwiegend Kollateralnutzen (und das nicht nur) für sein Unternehmen schafft. Sein Wirken ist konstruktiv. Weil das „Richtige Machen“ einfach vom Zweck her an sich gut ist und im Regel auch Nutzen bringt, an dem man gar nicht gedacht hat und den man auch nicht beabsichtigt hatte.
So wie ein „schlechter“ Manager durch unbedachte Maßnahmen direkten Schaden verursacht, der dann weitere Kollateralschäden generiert. Und der so „destruktiv“ wirkt.
Und man erkennt, dass die klassische Management-Lehre an ihre Grenzen gekommen ist.
Überraschender Weise versteht man plötzlich, dass gute Entscheidungen nicht nur durch rationales Ableiten von gesammelten Fakten erreicht werden, sondern dass auch die Intuition der Erfahrung ihr Recht hat. Und so versteht, dass Management mehr als Vernunft und logisches Überlegen ist.
So ergeben sich ganz verschiedene Fragen – nicht nur im Bereich der kreativen Wissensberufe:
- Ist Taylorismus immer noch zielführend?
- Sollte nicht Regionalisierung wieder vor Globalisierung gehen?
- Haben wir endlich verstanden, dass Zukunft nicht vorhersehbar ist?
- Wie gehen wir damit um?
UND
Akzeptieren wir,
- dass Planung immer schwieriger wird, und oft gar nicht mehr funktionieren kann,
- wir uns in komplexe Welten klug lernend hinein tasten müssen,
- personale Menschen vor Effizienz gehen? (#agile, im Sinne des „Agile Manifesto“),
- dass die Zeit des Teilhaben und des Teilens kommt oder kommen muss (#open, offen),
- dass wir es wieder einfacher und immer besser machen müssen (#lean, einfach, schlank) und
- dass wir gemeinsam schneller (#fast) werden müssen.
🙂 Wir müssen mehr #olaf oder #alof werden.
WEITER:
- Schaffen wir es, die eigenen Talente und Fähigkeiten der Situation angemessen einzubringen?
- Ohne Rechthaberei und Besserwisserei?
- Sind wir mutig genug für Zivilcourage (Bürgermut) und konstruktiven Ungehorsam?
- Muss nicht die Intuition wieder eine relevante Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen? (siehe Methode U, die Kunst des presencing)?
- Darf Effizienz noch das priore Ziel bleiben oder geht es nicht vielmehr um Resilienz (die Fähigkeit, sich anzupassen) und Antifragilität (die Eigenschaft Erschütterungen zu überstehen)?
- Müssen wir uns nicht zuerst mal um eine konstruktive Geisteshaltung bemühen, die von herausragender Bedeutung für unser Entscheiden und Handeln ist?
- Brauchen wir wirklich immer noch Menschen, die uns ständig sagen, wo es lang geht?
- Warum traut man uns nicht zu, selbstständig im Gemeinsamen zu lernen und dann das Richtige zu machen? Im Sinne des großen Ganzen?
Wir werden die Herausforderungen von Morgen nicht mit den Lösungen von Gestern schaffen können und müssen wahrscheinlich die Macht hierarchischer Systeme aller Art begrenzen. Nur so haben wir eine Chance, in Freiheit und Frieden zu (über-)leben und durch ein gemeinsames kollaboratives Wirken auf der Basis von Kooperation und basierend auf gewaltfreier Kommunikation auf Augenhöhe und Vernunft die Zukunft im Sinne der Menschen und unserer Schöpfung zu gestalten.
RMD