„Warum?…“ kommt unscheinbar daher. Im leicht vergilbten Mantel der Reclam Hefte steht es neben „Wilhelm Tell“ und den Cäsar Kladden, die uns, unter dem Tisch, damals durch das kleine Latinum gebracht haben.
Die Franzosen sagen: „Die Kleidung macht nicht den Mönch.“ Die bescheidene Aufmachung umhüllt ein gigantisches Projekt, Bodenheimer hinterfragt das Fragen, in 38 Kapiteln auf 295 Seiten.
Es wird von allen Seiten gründlich observiert, seziert, katalogisiert, sortiert und schliesslich entlarvt. Fragen kommen mit dem schmeichelnden Lächeln der Offenheit und führen uns, mit der Eisenfaust im Samthandschuh, in die dunklen Gefilde dessen das wir verbergen. Fragen reproduzieren sich selbst, keine Antwort erlaubt ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis… von immer mehr Fragen.
Die hämische Frage starrt uns an mit grinsender Fratze, die rhetorische sonnt sich in unserer Ratlosigkeit, die demagogische zerrt uns zu Antworten, die wir kennen und gerade deswegen vielleicht nicht wollen. Dumme Fragen sind Finten. Sie sind wie Retiarier in den römischen Arenen, der Gegner sieht nur den vorgestreckten Dreizack… bis ihn das Netz in die Unbeweglichkeit zwingt. Fragen sind Ablenkungsmanöver, die Interesse, Anteilnahme simulieren und Inkompetenz, Gleichgültigkeit verstecken.
Fragen geben dem Befragten nichts aber verlangen alles. Sie sind die Camouflage des Fragers, der im Schutze der fragenden Tarnkappe seinem wehrlosen Opfer die Kleider vom Leibe reisst, um es in dunkle Höhlen zu schleppen. Die lautlosen Schreie der Beute nach der einen, befreienden Antwort, verhallen in schwarzen Löchern.
Fragen bringt den Frager nicht ans Kreuz, nicht an den Galgen, nicht ins Feuer der Inquisition. Fragen war nie ein Zeichen von Mut, es birgt kein Risiko. Fragen vernichtet nur den Befragten.
Der Autor untersucht was der Fragende eigentlich tut und was mit dem Befragten dabei geschieht und führt uns in einen Kreisverkehr, dessen einziger Ausweg eine Sackgasse ist. Wer sich nicht dem Fragen aussetzen will, muss selbst fragen, muss zuerst fragen, schneller sein als der Gegner. Man ist Opfer oder Täter, kompromisslos!
„Warum? …“ ist ein anspruchsvolles, vielschichtiges Lesebuch. Die Unterteilung in zahlreiche Kapitel ist eine willkommene Lesehilfe. Die teilweise schwere Gedankenkost kann in kleinen Portionen genossen werden. Für eine philosophische Betrachtung ist dies eine Qualität, die man nicht hoch genug einschätzen kann.
Es ist kein Ratgeber oder Leitfaden für Interviewer und Interwiewte, Käufer und Verkäufer, Verhandler, Diskutierer, Richter, Anwälte und Salonlöwen. Alle die sollten jedoch dieses machtvoll inspirierende Gedankengebäude…
Unbedingt lesen!!!
HPK
Eine Antwort
Danke!!
ich habe nach all den Jahren der Lektüre dieses Buches 1984 schon geglaubt, dass ich der einzige bin, der der Logik von Herrn Bodenheimer folgen wollte bzw. konnte. Ich hatte schon aufgegeben, mich mit irgendwem über dieses Thema zu unterhalten, es endete ausnahmslos in Unverständnis und Erst-Recht-Befragt-Werden.
Seit dem habe ich so gut wie kein Buch mehr lesen können, und werde es auch weiter nicht tun, solange den Schreibenden nicht klar ist, was sie mit ihren gedruckten Fragen anrichten, bzw. dass sie ohne Erkenntnisvermittlung im Nebulösen waten. Nichts würde dem Bildungsstand der zivilisierten Welt weiter heben können, als das Wissen um die Obszönität des Fragens und der verantwortungsfrohe Umgang damit.
Sie haben hier für mich erstmalig, nachdem ich alle Jahre wieder mal nach „Warum? Von der Obszönität des Fragens.“ gegoogelt hatte und es schon endgültig in der Versenkung verschwinden sah, nicht nur eine treffliche und fraglose Rezension geliefert, sondern in angemessen martialischer Sprache seine Gedanken auf den Punkt gebracht.
Denn eben immer noch krankt die mir bekannte Menschheit an diesem Kreisverkehr mit einzigem Ausweg Sackgasse. Will man als Ant-worter den Frager auf sein meist offensichtlich taktisches Fragen hinweisen, wird er, so meine Erfahrung, mit weiteren Fragen schließlich kopfschüttelnd zu dem Schluss kommen, da jemanden vor sich zu haben, der nicht ganz bei Trost sein kann. Und wer die Frage hat, hat die (unrechtmäßig erworbene) Macht über diesen erbärmlichen Don Quijote.
Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass sie nicht alleine sind, so Sie es in Ihrem Umfeld sein sollten, und dass ich heilfroh bin, Ihren Text lesen zu dürfen.
In Verbundenheit
Ulli Behrendt