Von Authentität und Identität in realer und virtueller Welt.

 

Eine Gradwanderung

 

Steinmaske aus der vorkera­mischen Jung­steinzeit um 7.000 v. Chr., eine der ältesten Masken der Welt (Musée Bible et Terre Sainte, Paris)

In diesem Artikel formuliere ich Gedanken, die mir bei meiner aktuellen Beschäftigung mit „block-chain-Technologien“ allgemein und im besonderen mit „Krypto-Währungen“ wie Bitcoin gekommen sind und mich selber schon sehr überrascht haben. Weil mir da so manches klar geworden ist, was mir vorher gar nicht klar war.

Ich beginne mal mit Begriffen. Zuerst mit WELT, REAL wie VIRTUELL.

Unter WELT verstehe ich, alles was mich umgibt – Menschen, soziale Systeme … Ich verkehre mit WELT durch Interaktionen und Transaktionen. Meine Handlungen berühren nicht nur mich sondern auch Instanzen aus WELT. Andererseits streifen oder treffen mich Ereignisse aus WELT.

Für mich ist die REALE Welt immer das, was ich sehen, anfassen, fühlen, erleben … kann. Oder was ich essen kann. Auch das Holz, mit dem ich meinen Ofen füttere, damit es in meinem Zimmer warm wird. Auch die Wärme, die von der Zentralheizung kam, ist für mich REAL. Denn ich weiß ja, wo die Wärme herkommt, sei es von draußen als Fernwärme oder von der Heizung im Keller. Sogar Geld war für mich REAL – aber stimmt das überhaupt?

Ich würde sagen, alles von dem ich mir selber ein Bild machen konnte, war für mich REALE Welt. Aber auch Zeitungen waren für mich REAL, wie Telefongespräche. Sogar das Fernsehen war für mich Teil der REALEN Welt. Ist das noch so?

VIRTUELLE Welt waren für mich unter anderem die „sozialen“ Angebote und Produkte der digitalen WELT, an deren Erschaffung ich ja selber mitgewirkt habe. Da muss man gar nicht so weit denken wie an „second life“ und ähnliches. Vielmehr waren „meine“ ersten VIRTUELLEN Welten Foren und „chat rooms“, in denen diverse, oft fachliche Themen diskutiert wurden.

Heute könnte das unter anderem „Social Media“ sein wie Twitter, FaceBook und so viele mehr. Oder ist das alles auch REAL?

Betrachten wir jetzt die Begriffe AUTHENTITÄT und IDENTITÄT. Da habe ich zuerst gelernt, wie schlampig ich (und die Gesellschaft) mit dem Begriff der IDENTITÄT umgehen. Ich dachte immer, die Identität eines Menschen gibt es nur einmal. Das ist zumindest für die VIRTUELLE Welt Unsinn. Denn da gibt es (noch) Anonymität.
Anonymität bedeutet, dass
eine Person oder eine Gruppe nicht identifiziert werden kann. Von der Bedeutung her zum Teil synonym zu anonym ist inkognito, sonst spricht man im Deutschen von unbekannt, verdeckt und namenlos (Wikipedia 10/2017).

Daraus folgt, dass eine Person – die sich „anonym“ im Netz tummeln will (wie z.B. als Bitcoin-Eigentümer in der dazu gehörenden Geld-Community) – nicht nur eine sondern mehrere Identitäten braucht! Sozusagen für jeden Zweck eine andere. Hinter all diesen Identitäten steht immer nur eine Person, die zweifelsfrei und eineindeutig existiert, zu der die Identitäten aber nicht führen! Es gibt also eindeutige Abbildungen von der „authentischen Person“ zu ihren diversen Identitäten, aber keinen Weg zurück – d.h- über die Identität ist es unmöglich, die Person dahinter zu ermitteln. Das finde ich ganz schön aufregend!

Authentität ist für mich sozusagen eine ausgezeichnete Form von Identität, also die nur einmal vorhandene und wahrhafte „Ur-Identität“, die sich hinter verschiedenen Identitäten versteckt. In Wikipedia finde ich den Begriff AUTHENTITÄT übrigens nicht, aber sehr wohl den Begriff der Authentizität. Weil er fürs Thema  so wichtig ist, zitiere ich ihn:
Authentizität (von gr. αὐθεντικός authentikós „echt“; spätlateinisch authenticus „verbürgt, zuverlässig“) bedeutet Echtheit im Sinne von „als Original befunden“. Das Adjektiv zu Authentizität heißt authentisch (Wikipedia 10/2017).

So würde ich sagen, dass die Identitäten nichts anders sind als anonyme Alias-Instanzen für einzig authentische Instanz, die ich jetzt mal Authentität nenne. In der VIRTUELLEN Welt sind das nichts anderes als Masken bzw. Avatare. Der Eigentümer der Maske / des Avatar bleibt anonym und kann nicht ermittelt werden, er hat aber einen quasi „automatischen“ (durch Technologie & Algorithmus gesicherten) Eigentumsanspruch an allem, was seiner Maske / seinem Atavar als Teil der „community“ gehört.

Bei Bitcoin wäre das so: Alle Bitcoin-Eigentümer sind Teil einer  besonderen Community von Identitäten, die alle anonym sind. Erstaunlich ist für: Das geht (oder soll gehen) per „peer2peer“-Interaktion. Also ohne zentrale Instanz!

Die dazu eingesetzte (notwendige?)  Technologie kostet allerdings einen hohen Preis, der diese „Währung“ zumindest als Zahlungsmittel unpraktikabel macht. So dass bitcoin nur noch der Spekulation (dem Wetten) dienen wird. Was aber an sich nichts besonderes ist – dienen doch mittlerweile weit über 90 % (99 % ?) der Währungsgeschäfte wie der Umtausch von EURO (€) in DOLLAR ($) und andersherum nur noch der Spekulation und nicht mehr dem Warenaustausch! Ist das normale Geld etwas auch schon VIRTUELL?

Zurück zum Thema: Ursprünglich dachte ich, dass meine IDENTITÄT meine AUTHENTITÄT ist. Aber dem ist nicht so. Im Gegenteil, im Internet verstecke ich meine AUTHENTITÄT hinter verschiedenen IDENTITÄTEN. Und von diesen soll kein Weg zu meiner AUTHENTITÄT führen.

Die AUTHENTITÄT ist so eindeutig wie meine DNA. Die wäre ein guter „Schlüssel“ (als biometrisches Datum), da die Wahrscheinlichkeit einer doppelten DNA gegen Null geht (aufgrund der quasi Unendlichkeit von DNAs).

Noch muss ich z.B. im Hotel meinen Meldeschein ausfüllen, das heißt meinen Namen und Vorname, Geburtsort, Nationalität, meine Heimadresse und die Nummer meines Personalausweises angeben. Diese Daten in ihrer Kombination machen mich eindeutig. Mit dem Vorzeigen des Ausweises belege und meiner Unterschrift beurkunde ich die Echtheit (Wahrheit der Daten) meiner Person …
🙂 Das Hotel hat ja auch eine Adresse, obwohl die GPS-Koordinaten des Hoteleinganges präziser (und einfacher?) wären.

Aber lass uns der Reihe nach vorgehen und in der REALEN Welt beginnen: Ich habe als erstes in der REALEN Welt nach möglichen „echten anonymen Identitäten“ gesucht.

Als Beispiele sind mir eingefallen:

  • Nummernkonto
    Früher konnte man vorzugsweise in der Schweiz ein Konto eröffnen, das anonym war. Das Konto hatte nur eine (Konto-)Nummer, der Bank war jedoch nicht bekannt, wem das Konto (und das darauf befindliche Guthaben) gehörte. Die Legitimation erfolgte über die Nummer (sprich eine Chiffre). Und jeder, der die konkrete Bankfiliale besuchte und über Kontonummer und Chiffre verfügte, konnte (anonym) Geld abheben. Das hat viele Jahrzehnte gut funktioniert.
  • Bekanntschaftsanzeigen
    Früher konnte man in Tageszeitungen anonym zum Beispiel Bekanntschaftsanzeigen aufgeben. In der Anzeige gab es eine Chiffre, der wiederum ein Schlüssel zugeordnet war. Mit diesem Schlüssel konnte man die Zuschriften auf die Anzeige abhalten (die der passenden Chiffre zugeordnet waren).
    🙂 So erinnere ich mich, dass wir (vor allem die Mädchen in unserer Klasse) in der Schule in den 60iger Jahren aufgrund dieser „Anonymität“ vor Heiratsschwindlern gewarnt wurden …
  • KFZ-Kennzeichen, Telefonnummer …
    Im Straßenverkehr sind mir KFZ-Nummern eingefallen. Die waren früher auch anonym – obwohl es hier eine zentrale Instanz (so eine Art von „man-in-the-middle“) gab, die sehr wohl Bescheid wusste, wer der Halter war, der sich hinter dem Kennzeichen versteckte. Heute sind nur noch die KFZ-Kennzeichen von Fahrzeugen von Verfassungsschutz und ähnlichen Institutionen anonym – da kommt dann sogar die Polizei nicht dran.
    So war es auch bei Telefon-Nummern. Natürlich wusste die Post als „man-in-the-middle“, wer der Teilnehmer war, der sich hinter der Telefonnummer versteckte. Aber wer eine ausreichende Begründung hatte, war nicht im Telefonbuch und eigentlich nur durch Anrufen zu ermitteln.
  • Prepaid und E-Mail
    In der REELLEN Welt konnte man früher mit Mobiltelefonen dank Prepaid-Karten anonym bleiben. Und auch das Erwerben einer E-Mail-Adresse war ohne Angaben zu Person möglich. Oder ist das schon die „VIRTUELLE Welt“? Ich meine, das ändert sich derzeit zumindest in Deutschland massiv. So etwas geht immer weniger.
    Das Darknet der VIRTUELLEN Welt (?) soll ja auch immer weniger funktionieren. Das weiß ich aber nicht, sondern müsste ich erst untersuchen.

Also:
So richtig fallen mir keine aktuell existierende Anonymitäten über Identitäten in der REALEN Welt mehr ein. Im Gegenteil: Meine Wahrnehmung ist, dass ANONYMITÄT in der REALEN Welt unerwünscht ist und Gesetzgebern und Administration mehr oder weniger total abgeschafft wurde/wird.

Ist aber die VIRTUELLE Welt nicht Teil der REALEN Welt? Und ist die VIRTUELLE Welt nicht schizophren? Denn träumt manvon „anonymen Währungen und communities“, auf der anderen Seite macht man alles, um die Anonymität abzuschaffen!

So macht die Post Reklame für ihren POSTIDENT-Dienst, der ja auch nur ein Ziel hat: Die Anonymität auch in der VIRTUELLEN Welt abzuschaffen.


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Ist das nicht heiß? Man beachte auch hier die unpräzise Begriffsverwendung – Identitätsfeststellung und Legitimationsprüfung.

Aber der – sicher fragwürdige und leicht zu komprimittierende – Dienst wird von vielen Internet-Anbietern genutzt, die wissen wollen, mit wem sie es wirklich zu tun hat.

So stellen sich mir Fragen:

Ist es nicht unlogisch, wenn die REALE Welt die Anonymität komplett abschafft – diese aber in der VIRTUELLEN Welt Urstände feiern soll? Obwohl die VIRTUELLE Welt ja Teil der REALEN ist?

Was ist, wenn Technologie-Führer wie CHINA die Anonymität abschaffen? Folgt daraus nicht, dass durch die von uns von dort importierte Technologie sozusagen wir auch selbstredend die Anonymität verlieren?

Was macht es einen Sinn, wenn die Funktionalität des „guten alten Schweizer Nummernkonto“ durch anonyme Krypto-Währungen wieder realisiert wird?  Will man das überhaupt? Oder ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis diese verboten werden, weil z.B. auch das Bankgeheimnis nicht mehr im gesellschaftlichen Trend liegt?

Ist das Ganze nicht vielmehr nur ein ganz besonderes Werkzeug von Spekulation – so wie das „Wetten im Internet“ fröhliche Urstände feiert und zu einem massiven Geschäft betreffend Umsatz und Profit geworden ist?

Ich meine, dass diese Themen im Rahmen von gesellschaftlicher Ethik diskutiert werden sollte. Aber war machen wir? Wir gründen Ethik-Kommissionen, dies sich mit künstlicher Intelligenz und selbst fahrenden Autos beschäftigen. Die wichtige Frage, ob wir bewusst Teile der Gesellschaft  „anonym“ lassen wollen, diskutieren wir aber nicht. Wir blöken zwar über einen absurden Datenschutz und ereifern uns dazu – obwohl wir wissen, dass dieser so wie eingefordert garantiert nicht funktionieren wird – und verstricken uns dabei in einem Netz von Regeln und Gesetzen, die uns lähmen und aus dem wir wahrscheinlich nicht mehr herauskommen werden.

Die Auflösung dieses Themas ist für mich übrigens recht einfach:

Wenn (weltweit?) der Rechtsstaat garantiert ist, dann brauchen wir keine Anonymität. Auch kein anonymes Zahlungsmittel.

Wenn der Rechtsstaat jedoch in Gefahr oder Auflösung ist, dann tun wir gut daran, wenn wir „anonyme Räume“ beibehalten.

RMD

P.S.
Jetzt hoffe ich, dass ich mich halbwegs verständlich ausdrücken könnte und Euch nicht mit „AUTHENTITÄT“ und „IDENTITÄT“ verwirrt habe. Und als leichter Nachschlag noch eine Story zum Thema:
Leichtsinnig wie ich bin habe ich mir im Frühsommer in Athen meinen Geldbeutel in der U-Bahn stehlen gelassen. Da war ALLES drin. So musste ich auch einen neuen Personalausweis beantragen. Da wurde ich vom freundlichen Mitarbeiter der Kommune Neubiberg gefragt, ob ich diesen mit „digitaler Signatur“ haben wolle. Weil die bei der Ausweiserstellung umsonst dabei wäre – und ich später eine Gebühr von ich meine 20 € zahlen müsse.
Natürlich habe ich gefragt, für was ich diese „digitale Signatur“ denn nützen könne? Meinem „Kundenberater“ von der Gemeinde viel da nicht viel ein – außer einem komischen Gewerberegister, dessen Sinn mir nicht klar wurde.
So habe ich ihn gefragt, ob diese Signatur zumindest für die elektronische Steuererklärung (Elster) möglich wäre. Als er das verneinte, habe ich – wohl mehr aus Trotz – auf die digitale Signatur verzichtet – und glaube, dass dies kein Nachteil für mich ist.

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