Komplexität und Corona

Mal anders betrachtet.

In den letzten Jahren habe ich immer wieder die Klage gehört, dass das Leben und die Welt immer komplexer werden würden. Gelegentlich habe ich mich gegen diese These gewehrt, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Leben auch schon in jungen Jahren ziemlich komplex war.

Komplexität nimmt zu

Mittlerweile meine ich allerdings auch, dass die Komplexität in unserer Gesellschaft und unserem Leben zunimmt.

So habe ich für mich ein einfaches Modell zum Verstehen von Komplexität entwickelt. Ich meine, dass wir Menschen Systeme durchschauen und verstehen wollen, wie sie funktionieren. Dabei gehe ich davon aus, dass ein System von verschiedenen Parametern und kausalen Beziehungen zwischen diesen bestimmt wird.

Determinierte Systeme

Wenn uns das Geflecht von Parametern und Beziehungen bekannt ist und wir es rational verstehen, dann können wir vorhersagen, was äußere Einflüsse und innere Veränderungen bewirken werden. Wir nennen solche Systeme „determiniert“.

Das weiche Ei und Popcorn.

Ein System mir drei Parametern und den dazugehörigen Relationen ist einfach überschaubar. Wenn ich unter normalen Verhältnissen (ich sag mal auf der Erde in 550 Metern Höhe wie z.B. in Neubiberg) Wasser zum Kochen bringe und ein Ei ins kochende Wasser lege, dann kann ich vorhersagen (berechnen), wie lange es dauert, bis das Ei hart wird. Und ich weiß, nach wieviel Minuten ich das Ei aus dem Wasser herausholen muss, wenn ich ein weiches Frühstücksei geniessen will.

Das gilt z.B. auch für Popcorn – da weiß ich, wieviel Grad und Zeit ich brauche, damit die Maiskörner explodieren. Und wie lange das dauern wird.

In beiden Fällen sind die drei entscheidenden Parameter die Temperatur, die Zeit und das zu verändernde Objekt – im Beispiel das Ei oder das Maiskorn. Ich brauche nur das Wissen über die Dimensionen Wärme, Zeit und Objekt – und schon weiß ich was passieren wird.

Von Einfachen übers Schwierige und Komplizierte zum Komplexen.

Habe ich mehr als drei Parameter – und dann auch mehr als drei Abhängigkeiten – dann wird es schwierig. Und wenn die Zahl noch größer wird, kompliziert. Besonders wenn die Zahl in unserer Wahrnehmung gegen unendlich zu gehen scheint, dann bewegt sich das Problem vom Komplizierten ins Komplexe. Das Komplexe empfinden wir oft auch als Chaos.

„Undendlich“ ist wie die „Null“ ein schwieriges Thema. So wie es die Zahl PI ja auch nicht gibt, sondern nur einen Algorithmus, der sie berechnet. Der nie zu Ende geht. Ich glaube ja, dass es beides in der Natur nicht vorkommt, sondern nur als Konstrukt existiert.

Die natürlichen Zahlen – abzählbar und unendlich.

Das einfachste Beispiel für Unendlichkeit sind die natürlichen Zahlen. Wir legen fest (definieren), dass es die „eins“ gibt. Und konstruieren eine Operation (Relation) „plus“. Und konstruieren damit „eins plus eins“. Das Ergebnis nennen wir die „zwei“ und machen so immer weiter. Und wenn wir keine Lust mehr haben, nehmen wir die drei Punkte … zu Hilfe, um zu zeigen dass es so immer weiter geht.

Unendlich und die Null

Die Wissenschaft behauptet, dass sogar unser Universum aus einer endlichen Zahl von Atomen besteht. Kann es „unendlich“ dann in der Natur“ oder in unserem Universum überhaupt geben?

Mit der „Null“ könnte es ähnlich sein. Vielleicht finden wir in der Natur nur die Grenzwerte gegen unendlich und gegen null (absolut leer).

Die Sage vom Drachen

Für meine Komplexitätsbetrachtung ist aber ein anderer Algorithmus geeigneter. Wir alle kennen die Sage (oder das Märchen?) von dem tapferen Krieger, der den Drachen bekämpfen will, der die schöne Prinzessin gefangen hält.

Er entdeckt ein schlimmes Problem. Der Drachen hat viele Köpfe, die alle Feuer speien. Das ist schrecklich genug. Aber es konnt noch schlimmer. Immer, wenn er dem Drachen unter Lebensgefahr mir seinem Schwert einen Kopf abschlägt, wachsen zwei Köpfe nach. Unser Held findet eine innovative Lösung. Er vernichtet die Drachenköpfe mit Feuer. Dann wachsen sie nicht mehr nach.

Der Kampf gegen den Drachen ist eine gute Metapher für komplexe Probleme. Immer wenn wir einen neuen Parameter entdecken und verstehen lernen, dann bemerken wir quasi neben her auch, dass es weitere, vorher unbekannte Parameter gibt, die wir noch nicht verstehen. Es wird komplex.

In komplexen Situationen auf Sicht fahren

Unsere Kanzlerin, die zweifelsfrei eine kluge Frau ist, sagt:

„Wir müssen in solchen Situationen auf Sicht fahren!“.

Das verstehe ich. Was aber brauchen wir, wenn wir auf Sicht fahren müssen? Im normalen Leben sind das

Gute Augen und ein schnelles Reaktionsvermögen.

Die Augen brauchen wir, um die Situation zu erfassen. Das Gehirn muss schnell in der Lage sein, die erkannten Fakten zu bewerten und vernünftige Schlüsse daraus zu ziehen und so die richtigen Maßnahmen zu finden.

Übertragen wir dieses Bild auf das Corona-Scenario. Dass zeitnah ein neues Virus eine Pandemie verursachen kann, war bekannt. Bill Gates hat das propagiert. Studien, die der Bundesregierung vorlagen, habe das präzise gezeigt.

Wie bereitet man sich auf eine Krise vor?

Es soll nicht übermütig klingen, aber mir scheint das ganz einfach. Wir müssen auf Sicht fahren können. Also müssen wir „unsere Augen“ und unser Gehirn trainieren. Um zu erkennen, was da so abläuft und dann schnell reagieren können.

In der Pandemie sind gute Augen Tests und Big Data-Algorithmen

Beide sind kein Hexenwerk. So etwas kann (und muß) man vorbereiten. Was bedeutet das für das Virus-Beispiel? Was bedeutet Sehen in einer Epidemie? Man muß fähig sein, sich schnell ein präzises Bild von der Lage zu machen. Also muss man schnell an die Daten kommen, sie verstehen und handeln können.

Dazu heißt, wir brauchen als Vorsorge für eine Pandemie ausreichend Test- und Lernkapazitäten und Strategien und Algorithmen (welche Wege gehen die Ansteckungen?), die große Datenmengen schnell auswerten können. Damit man sich überlegen kann, was man tun muß.

Wir wissen, dass Virenerkrankungen schwer krank machen können. Also braucht man, wenn eine Pandemie kommt, Kapazitäten für intensive medizinische  Behandlung. Man muss also eine Reserve an Betten und Personal anlegen, die man normalerweise nicht braucht, die aber in Krisenzeiten unabdingbar sind.

Resilienz geht vor Effizienz!

Beides ist wichtig, das sollten wir uns für die Zukunft merken. Aber Krisen überlebt man besser als resilientes System. So brauchen wir wieder mehr Redundanz im Krankenhausbereich.

Und wenn es ums „Sehen“ geht, dann fällt mir in diesem Zusammenhang neben der Fähigkeit massiv zu testen die „Corona-App“ ein. Das hätte so ein Werkzeug sein können, das den Ansteckungsverlag früh „sichtbar“ macht. Und deshalb schon am Beginn einer Epidemie wirkungsvoll unterstützt.

Eine App zur Verfolgung von Ansteckungen gab es zum Beginn der Krise nicht. Dann wurde sie groß angekündigt. Dann wurde gestritten. Dann wurde es still um sie. Dann wurde entschieden, dass es eine dezentrale Lösung sein muss.

So geht kein „schnell in der Lage sein, die erkannten Fakten zu bewerten , vernünftige Schlüsse zu ziehen und die richtigen Maßnahmen ergreifen“.

Jetzt habe ich gehört, dass der Entwicklungsauftrag für diese App an ein Konsortium von SAP und T-Systems vergeben. Ich bin mal gespannt, was zuerst kommt.:Der Impfstoff (das Feuerschwert unseres Drachenbekämpfers), die Herden-Immunität oder die App?

Ich gehe davon aus, dass es eine optimale App nie geben wird. Weil unser System so etwas gar nicht zuläßt. Das individuelle Interesse geht vors Gemeinwohl. Die unteroptimale DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) erschwert die Implementierung. So hat die Corona-Episode hat gezeigt, dass „Datenschutz vor Gesundheit“ gibt. Das könnte uns zum Nachdenken bringen.

Wir sind eine egoistische Gesellschaft geworden, die sich mit Transparenz schwer tut und Geheimschutz als positiven Wert hat. Bei uns gilt „Geheimnisschutz vor Transparent“. Das macht nachdenklich. Denn „das Sehen“ geht nicht im Dunkeln. Weil Wissen und Daten persönliches Eigentum (DSGVO) und kein Gemeinwohl-Gut im Sinne von Allmende sind.

So meine ich, das uns ein wenig mehr kollektive Werte und Gemeinwohl-Denken gut tun würden. Als weitere Erkenntnis aus der „Corona-Chance“.

RMD

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