Vor ein paar Tagen (an meinem 70. Geburtstag) habe ich etwas ganz besonderes gefunden:
Ein Magazin für uns Computer-Menschen. 24 Jahrgänge komplett als PDF im Internet! Von 1954 bis 1978. Nur die ersten zwei Jahrgänge fehlen!
Was für ein schönes Geburtstagsgeschenk! Ich habe mich so richtig gefreut. Was hätte ich dafür gegeben, wenn ich das schon früher zu lesen bekommen hätte. Aber wer weiß, was das für Folgen gehabt hätte? Auf jeden Fall steht jetzt für mich fest:
🙂 IT begann 1950!
Neben bei:
Dieser Artikel ist ein Plädoyer für eine Reform des Urheberrechts.
Computers and Automation
CYBERNETICS • ROBOTS • AUTOMATIC CONTROL
Auf meinen Fund bin ich gestoßen, weil ich ein paar Artikel zu #devops schreiben will. Zugegebener Weise ist #devops ein buzzword, dass ich allerdings ganz positiv finde. Als Eröffnungsartikel zu dieser Serie schreibe ich gerade an einer „kurzen Geschichte der IT-Unternehmen“. Einfach um die Zeit vor #devops lebendig werden zu lassen. Diese „kurze Geschichte der IT-Unternehmen“ soll keine wissenschaftliche Abhandlung oder geschichtliches Werk werden, sondern ein Bericht aus der persönlichen Perspektive, so wie ich die Zeit als Augenzeuge erlebt habe.
Eine kurze Geschichte der IT – Kostprobe
Ein für mich „exotisches“ IT-Unternehmen, mit dem ich Kontakt hatte, war die Telefunken AG (da schon bald AEG-Telefunken), die einen Rechenmaschine namens TR4 baute. Diese TR4 war wohl 35 mal im Einsatz, eine davon in der TUM (der Uni wo ich ab 1969 Informatik studiert hatte). Auch wenn man die eigene Geschichte berichtet, geht nicht alles aus dem Kopf. So muss ich recherchieren.
In meinem Kopf spukte eine Maschine unter dem Namen TR440 herum, die wohl das Nachfolge-Modell der TR4 (1962) sein sollte. Und große Sensation – ich hatte die TR440 (1969) als Mehrfachprozessor in Erinnerung.
Es lohnt sich die Artikel zur TR4 und TR440 zu lesen
Um es kurz zu machen, ich wurde fündig – sogar in Wikipedia. Und kann die Links zu den Maschinen wirklich nur zur Lektüre empfehlen. Sie beschreiben eine Vergangenheit, in der Deutschland im Bereich IT-Technologie noch durchaus richtig dabei war. Über diese Artikel kam ich zu meinem Fund.
Computers and Automation – eine sensationelle Zeitschrift
Computers and Automation wurde seit 1950 (!) von Edmund C. Berkeley (Berkeley Enterprises, Inc., 36 West 11 St., NewYork 11, N.Y. 1) herausgegeben. Es war das erste Magazin, das sich mit Entwicklungen der Computertechnologie und -software sowie der damaligen Computerszene befasste. Das Magazin hieß ursprünglich Roster of Organizations im Bereich Automatic Computing Machinery und später The Computing Machinery Field
Ich habe darin stichprobenartig gelesen. Und war überrascht, wie früh und kompetent die Automatisierung z.B. der Versicherungswirtschaft dort besprochen wurde. Ganz zu schweigen von der technischen Vielfalt und Kompetenz, die ich da gefunden habe.
Spannende Lektüre
Viel Lektüre für IT-Hobbyisten, die Vintage (Computers and Automation )mögen, findet sich hier Archive.org.
Die Sammlung beginnt mit
Vol. 3, No. 9 – Nov. 1954 von
COMPUTERS and AUTOMATION
(CYBERNETICS • ROBOTS • AUTOMATIC CONTROL)bis zu
Vol. 27, No.3 – March, 1978
computer’s … and people
(formerly Computers and Automation)
Zum Beispiel finden wir in
Vol. 4 No.3 – March 1955
unter anderem eine Anzeige von UNIVAC und eine wunderbare Geschichte „QUESTION“ von Isaac Asimov
ComputersAndAutomation/1955
Hier noch ein schönes Beispiel:
Vol. 8, No. 9 August, 1969
Da hatte ich gerade mein Abitur im Umschlag und hatte mich an der TH München für das Studium der Mathematik und Informatik eingeschrieben.
Das ganze ist eine wahre Fundgrube! Man kommt an die Inhalte ran. Kostenlos. Das finde ich wichtig und richtig, weil das Wissen über IT ein gemeinsames Gut der Menschheit ist! Und dies sollte nicht hinter Bezahl-Mauern (paywalls) weggesperrt sein und dort vergammeln!
In Deutschland ging es um Technik und Autos.
In Deutschland hatten wir ein ähnlich tolles Magazin, die Zeitschrift Hobby. Die nannte sich Das Magazin der Technik und erschien von Mai 1953 bis September 1991. Das war ein Papier für junge Menschen, die mal Ingenieure werden wollten. Und da stand leider nur ganz selten etwas über IT drin, dafür um so mehr über Autos, Mechanik und oft absurden Zukunftsträumereien.
Als Heranwachsender habe ich Hobby viele Jahre sehr gerne gelesen. Und erinnere mich, dass da auch mal etwas zu Röhren und Transistoren drin stand. Und irgendwann wurde auch mal über eine Rechenmaschine berichtet. Aber das hat in Deutschland nicht so interessiert. So gab es zu diesen Themen sehr selten Artikel im Hobby-Heft. Wenn dann waren sie kurz und gut im Inneren versteckt.
Die großen technischen Fortschritte, die es in Deutschland gerade in der IT zweifelsfrei gab, wurden in den Grabkammern der Industrieinformatik eingesperrt. Dort verkümmerte das Wissen, als junger Mensch kam man nur ran, wenn man als Werkstudent dort arbeiten konnte (so wie ich während fast meiner ganzen Studentenzeit bei Siemens tat).
Die einzigen, die an das Know-How in den Siemens-Höhlen kamen, waren die Spione der DDR. Robotron-Mitarbeiter haben mir nach der Wende berichtet, dass sie so absolut zeitnah alle Pläne der Siemens AG zu neue Technologien auf ihren Schreibtischen hatten. Sie konnten nur nicht viel damit anfangen, weil die notwendigen Voraussetzungen und Rohstoffe in der DDR fehlten.
Geheimschutz dient den falschen Herren
Was lerne ich daraus? Die ganz Sicherheit schützt vor den wirklich bösen nicht. Aber die Geheimniskrämerei hält die jungen Menschen fern. So wurde IT bei den jungen Leuten hierzulande nie so populär wie in den USA. Das sieht man auch an der Jahreszahl – das IT-Magazin mit der Technik der Zukunft startete in USA 1951, Hobby mit aktueller aber auch viel gestriger Technik in Deutschland 1953. Vielleicht erklärt das, warum IT in Deutschland so schwach ist.
Kein Heute ohne Gestern, kein Morgen ohne heute
Auf jeden Fall empfehle ich jedem, der am Industriestandort Deutschland und dessen gesellschaftlicher Entwicklung interessiert ist, das Stöbern in den alten Hobbyheften. Ich bin fest überzeugt, dass diese Magazin einen großen Beitrag geleistet hat, dass Deutschland so ein erfolgreicher Ingenieur-Staat geworden ist. Die HOBBY-Hefte haben eine einzigartige Faszination für Technik vermittelt, die mich heute noch begeistert.
Aber wie an das Wissen herankommen?
Wenn Sie meiner Leseempfehlung folgen, haben Sie ein Problem. Auf der Suche nach den faszinierenden bunten Heften müssen Sie bei Ebay mit steigern oder auf Flohmärkte gehen. Auf der Dult in München kann das durchaus teuer werden. Digital im Netz gibt es auch ein paar Hefte. Die aber nur hinter „Paywalls“. Hier ein Beispiel. Sie müssen dann Premium-Mitglied werden, das ist nicht ganz billig. Und das nur um an einem Wissen teilhaben zu können, dass uns allen gehört. Als Trost bleibt – es gibt Schnupperpreise. Geiz ist geil!
Paywalls behindern Innovation
Es sollte verboten werden, so schönes und gut verständliches Wissen hinter Paywalls zu verstecken. Es gehört in frei zugängliche Archive wie Archive.org (Internet Archive is a non-profit library of millions of free books, movies, software, music, websites, and more). HIER WERDEN WIR HEUTE NOCH FÜNDIG!
Darüber sollte auch der EU-Gesetzgeber nachdenken. Und nicht das Urheberrecht immer wieder zugunsten Einzelinteressen und gegen das Gemeinwohl optimieren.
Es gab auch deutsche IT-Lektüre.
Um so mehr bin ich stolz, dass das von mir und Wolf Geldmacher gegründete Unternehmen InterFace Connection GmbH (später InterFace AG) eine IT-Zeitschrift produziert hat. Es war die Hit-News, sie erschien vom Oktober 1988 bis ins Jahr 2000. Und ist natürlich für alle Menschen frei im Archiv der InterFace AG verfügbar.
Die Zeitung beschränkte sich zwar auf den Einsatz unserer Produkte HIT, CLU, HITpc, beschrieb aber auch das gesamte Umfeld der Rationalisierung und Automatisierung in den Büros. Zusätzlich wurde viel Zeitgenössisches berichtet, z.B. das erste deutsch-deutsche IT-Treffen im Frühjahr 1990 in Dresden, das wir gemeinsam mit Partnern veranstalteten. Dr. Gerhard Saeltzer, der heute noch gerne z.B. im aktuellen Informatik Spektrum veröffentlich, hatte dabei auf DDR-Seite die Veranstaltung erst möglich gemacht.
Und unser Dr. Hit war der freundliche Berater, der unseren Kunden immer helfen konnte.
RMD
5 Antworten
Lieber Roland eine Frage, die aber nicht ‚feindselig‘ gemeint ist: müssten 34 Jahrgänge nicht von 1954 bis 1988 reichen?
🙂 Wird gleich korrigiert!
Und großen Dank fürs gründliche und vor allem präzise Lesen!
Lieber Roland,
zunächst nachträglich alles Gute zum runden Geburtstag.
Die verlinkten Zeitschriften waren eigentlich vor meiner Zeit, aber das damalige Layout zu sehen, ist schon ein Erlebnis.
Ich selber hatte vor einigen Monaten ein Aha-Erlebnis i.S. frühe Informatik. Da durfte ich in Aying einem Vortrag des KI-Meisters Schmidhuber beiwohnen. Der sagte, dass bereits in den 80er Jahren ein autonom fahrender Mercedes von München nach Dänemark und retour mit 180 km/ h über die Autobahn gesaust ist. Der verantwortliche Prof. lebt heute noch in Ottobrunn. Ein Überbleibsel dieser Zeit: Noch immer würden etwa 50% aller Patente zum autonomen Fahren von Münchner Unternehmen und Universitäten gehalten.
Lieber Herr Dürre,
bin bei der Recherche für einen historischen Aufsatz (ja, für so was habe ich jetzt Zeit, da ich auch etwa in Ihrem Alter bin.) über Ihren Blog gestolpert. Sehr amüsante Anekdoten! Am TR4 habe ich als Student FORTRAN gelernt; während meines ersten Jobs stand der TR440 in vielen Kommunalen Rechenzentren, die ich besuchte. Bitsavers (die Verweise dorthin funktionieren übrigens nicht mehr) und archive.org finde ich auch wunderbar. Da wird man natürlich unkomplizierter fündig als bei Bibliotheksrecherchen im OPAC mit anschließender Fernleihe. Und viele Zeitschriften (wie DER SPIEGEL oder Computerwoche) haben ja mittlerweile ihr Archiv digitalisiert. Wenn man lediglich im Rahmen des Zitats bleibt, stellt das Urheberrecht auch kein Problem dar, auch Bildrechte, wenn es nicht um hochauflösende Darstellungen geht, sind unkompliziert zu erhalten. Was mich am Urheberrecht bzw. dessen Durchsetzung stört, sind die Wegelagerermethoden mancher Presseorgane (selbst das Blatt, das wir abonniert haben, gibt langjährigen Abonnenten keinen Zugang zur digitalen Version, ohne dass man zusätzlich berappen muss) und die irrwitzigen Schutzfristen (70 Jahre nach dem Tod des Urhebers – da freut der sich aber!), die tatsächlich nicht zu einem Land passen, das von der Innovationskraft seiner Menschen lebt.
Alles Gute!
Danke für die Rückmeldung!