Verstand oder Gefühl!?

oder: Die Krux mit der Ethik …

In diesem Artikel geht es mir um redliche Entscheidungen. Ich meine, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen sollte und wollte anderen nie vorschreiben, was sie zu tun und lassen haben. Das war der Grund, warum ich ungern „einfach so“ entschieden habe.

Nichtsdestotrotz hatte ich einiges in meinem Leben zu entscheiden. Und habe mich davor nicht gedrückt.
Meine Entscheidungen sollten selbstredend vernünftig und moralisch sein. Aber wie geht das? Hat mir eine rationale und ethische Methodik dabei geholfen? Auf logischem Denken (Verstand) und wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut?

Hat Ratio-Ethik Klarheit in mein Leben gebracht? Oder die Verwirrung vergrößert?

Ich glaube eher zweiteres. So habe ich umgedacht.

Die Vorgeschichte

Weltweit spielen einige Staaten mit dem Gedanken, einen Immunitätsausweis für Covid-Genesene einführen. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte im Frühjahr so ein Dokument für Covid-19-Genesene einführen. Angesichts der vielen Einwände brachte der Bundesgesundheitsminister Ende April den Gesetzentwurf ohne den Passus mit dem Immunitätsausweis ein. Er sprach sich für eine breite gesellschaftliche Debatte aus und beauftragte den Ethikrat damit, sich mit der Frage zu beschäftigen.

Die neue Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, sagte damals dem ARD-Hauptstadtstudio, das sei schon „ziemlich ungewöhnlich“ gewesen. Aber natürlich lasse man eine Ministerbitte nicht liegen. Man habe bereits eine Arbeitsgruppe gebildet und werde versuchen, noch vor der parlamentarischen Sommerpause eine Stellungnahme vorzulegen.

Heute gibt es die Stellungnahme des Ethik-Rats. Minister Spahn hält weiter seiner Idee fest.

Warum beschäftigt mich das Thema?

Im Bayerischen Rundfunk habe ich eine Sendung gehört, die dieses Thema behandelte. Und die auch einen ausführlichen Dialog mit Alena Buyx enthielt. Das hat mich getroffen, weil mir die Schwächen der Ethik wieder so richtig bewußt wurden. Ich habe mich als Unternehmer seit 1982 (damals als Schüler Rupert Lays) und später immer wieder mit mit anderen Lehrern aus der Philosophie mit der Ethik in Theorie und Praxis beschäftigt habe. Und bin immer zwischen Begeisterung und Unverständnis geschwankt. Im Blog habe ich davon und von meinen Erfahrungen mit den bekannten ethischen Gedankenexperimenten berichtet.

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Das klassische ethische Gedankenexperiment.

Entscheidungen im Management

Die einschlägige Lektüre zu Entscheidungen im Management habe ich immer mit Interesse verfolgt und festgestellt, dass in modernen Führungswerken der Glaube an „gute“ Entscheidungen nur durch Rationalität größtenteils verloren gegangen ist. Meine persönliche Erfahrung stützt diese Erkenntnis; so habe ich häufig erlebt das Bauchgefühl der beste Kompass bei schweren Entscheidungen ist. Immer, wenn „ich gegen meinen Bauch entschieden habe“, habe ich es später bereut.

Ich will nicht missverstanden werden: Vernunft und Wissen spielen immer eine wichtige Rolle und Fakten darf man „im Gefühlsrausch“ nicht ignorieren. Aber das meiste unseres Wissens und unserer Erfahrung steckt im Unterbewusstsein, und da kommt unser Verstand nicht ran. Und die „Wissensmaschinen“ (auch IT genannt) können uns Entscheidungen nicht abnehmen.

Sense & respond“ geht vor „Plan & control

So schallt es aus modernen Unternehmen. Dort heißt es „Sense, feel, dream, respond, go on!„. Und nicht mehr: „Plan, calculate, decide, act, control! Ich habe dazu in meinem Artikel Metaphern berichtet.

Vor jeder Entscheidung steht die Bewertung.

Im Studium habe ich gelernt, dass ich vor jeder Entscheidung versuchen soll, eine realistische Bewertung zu finden. Entscheiden ginge ganz einfach in vier Schritten:

i) Informationen sammeln!
ii) Informationen strukturieren, vernetzen und einordnen.
iii) Logische Schlüsse ziehen.
iv) Entscheiden

Das habe ich lange versucht. Und es kam viel Mist raus. Allerdings habe ich es öfters genauso nicht gemacht. Weil es mir einfach zu viel wurde. Und bin meinem Gefühl gefolgt. Und siehe da, so richtiger Mist kam dann nie heraus.

Bewertungen fühlen.

So ist dieser Artikel ein Plädoyer für ein anderes Vorgehen. Meine These ist, dass man komplizierte Themen nicht rational bis ins Unendliche diskutieren soll. Besonders nicht in der binären Ethik des Abendlandes. Das wurde mir klar, wie ich den Diskussionen wie im Ethik-Rat zu lauschte. Dabei entstehen zwar durchaus sinnvolle Erkenntnisse. Vieles, das man vergessen hat und bedenken muss, fällt einem ein. Unendliche Plus- und Kontra-Listen und deren Erweiterung ins Unendliche sind nicht hilfreich.

Besser ist es sich in öffnen und sich in das zu bewertende Thema hinein fühlen. Dann entsteht meistens recht rasch eine innere Überzeugung, die gar nicht so unvernüntig.

Um meine Gedanken ein wenig klarer zu machen, bringe ich im folgenden ein paar persönliche Beispiele für nicht triviale und durchaus polarisierende Probleme, die ich rational nicht entscheiden kann, aber die mich seelisch betroffen machen. Und berichte, wie einfach ich durch „Fühlen“ zu einer stabilen Bewertung – und dies bei ganz verschiedenen Themen – kam.

Beispiel 1:

Russische Gas-Pipeline durch die Ostsee nach Deutschland

Dieses Beispiel hat ein herausragende Komplexität. Da kann man beliebig lang am Stammtisch diskutieren. Um die Problemkreise immer wieder erweitern. Hey, was spielt da alles eine Rolle: Machtpolitik, wirtschaftliche Überlegungen, Versorgungssicherheit, Misstrauen, Ängste, Umweltschutz, …

Gefühlt wird es ganz einfach. Zumindest für mich. Es fühlt sich so falsch an, irgendwo den Planeten zu plündern und das Gut dann bei uns für ein wenig Wärme zu verbrennen. Und zu diesem Zweck auch dann noch eine aufwändige Röhre auf dem Meeresgrund zu verlegen und die dann für viele Jahrzehnte am Hals zu haben. Da meine ich, sollten wir schon selber dafür sorgen, dass unsere Küchen und Bäder warm bleiben. Und das können wir auch.

Das nächste Beispiele erscheint mir, obwohl bei weitem nicht so komplex, ratio-ethisch unentscheidbar, auch weil es so emotional besetzt ist.

Beispiel 2:

Die Beschneidung von männlichen Neugeborenen

Thema Jahrtausende alte religiöse Tradition verlangt von ihren Glaubensangehörigen, männliche Neugeboren zeitnah nach ihrer Geburt zu beschreiben.

In der Bundesrepublik war das verboten. Dazu wurde geltendes Gesetz geändert.

Eine mir gut bekannte Frau, die mit einem Angehörigen dieses Glaubens verheiratet ist, hatte damals eine Tochter entbunden. Meine Glückwünsche habe ich überbracht und diese verbunden mit der Frage, ob es denn noch ein Brüderchen geben würde. Die Antwort: „Nein. Ich hätte zwar gerne eine Sohn, Aber seine Beschneidung würde ich nicht ertragen.

Gefühlt wird es aber ganz einfach: Es kann einfach nicht richtig sein, ohne eine medizinische Notwendigkeit Säuglinge lebenslänglich zu verstümmeln.

Ich habe überlegt, ob ich dieses Beispiel bringen darf. Da ich damit leicht mit einigen Tabus in Konflikt komme. Aber ich meine, wir müssen auch eine Debatte zu so schweren Themen aushalten.

Beispiel 3: Immunitätsausweis für Covid-Genesene

Als letztes Beispiel nehme ich das Thema, das Anlass für meinen Artikel war. Die Ehtik-Kommission hat schon nach kurzer Beschäftigung einen so großen Sack voller Probleme gefunden, dass sie empfohlen hat, das Thema ganz schnell von der Tagesordung zu nehmen. Was auch wieder zeigt, wie gründlich solche Ideen von ihren Protagonisten durchdacht sind.

So ein Covid-Negativ-Ausweis hätte sicher Vorteile für mich. Nur, wenn ich mit dem Gefühl ran gehe, fühle ich eine Zweiklassengesellschaft. So ist das Thema bei mir schon im ersten Schritt tot. Wenn ich mir noch die Frage stelle, wie das überhaupt gehen soll, ist es mausetot.

Ich habe noch mehr Beispiele – wie
„Optimierung eines Unternehmen in Covid-Zeiten durch Entlassungen“
oder
„die Fahrt zum Bäcker mit dem Auto“.

Aber ich fühle, dass es reicht und höre deshalb auf.

RMD

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