Warum mich…? (Kapitel 1)

Zur Abwechslung hier einmal ein ‚Thriller‘! Mit etwas Glück kommt jetzt jeden Sonntag ein Kapitel. Vielleicht haben einige die Nerven und halten bis zu  Kapitel 19  durch? 

Das Bild ‚ Ahorn und Seide‘ ist übrigens von Martina Roth.

Kapitel 1

1976 – Die Russen

Elsbeth und Karin trafen Aljoscha und Wladimir auf einem Freundschaftstreffen in Neuruppin, organisiert von der DSF. Beide waren deutlich älter als die Mädchen und beide waren „Starshi Sergeanten“ der sowjetischen Armee. In welcher Kaserne sie stationiert waren und welchen Dienstgrad sie hatten, bekamen die Mädchen gar nicht mit. Sie hätten damit auch nichts anfangen können.

Aber witzig waren die Russen schon.

Und lachen konnten die auch, und die Mädchen schienen es ihnen angetan zu haben. Aufdringlich waren sie nicht. Beiden Seiten war klar, dass zu viel Nähe nicht gewünscht war; da war es schon besser, wenn man so tat als wäre es wirklich nur die deutsch-sowjetische Freundschaft (DSF), die das gegenseitige Interesse anfachte und erzählte pausenlos Belanglosigkeiten, bei denen viel zu laut gelacht wurde, da alles andere verfänglich gewesen wäre.

Aljoscha und Wladimir konnten überraschend gut deutsch, allein das hätte schon zu denken geben müssen, wenn Karin und Elsbeth überhaupt noch gedacht hätten. Aber mit ihren paar Brocken Russisch aus der Schule kamen sie wirklich nicht weit, selbst wenn sie noch so gewillt gewesen wären, sich in aller Freundschaft zu verständigen, wie es die Parolen verlangten.

Tanzen konnten die Mädchen besser, vor allem Twist und Rock an’ Roll, was den beiden Soldaten natürlich imponierte, die sich gerne anleiten ließen und bald mit roten Köpfen durch den FDJ–Klub wackelten. Aber zu ausgelassen durften die Verrenkungen auch wieder nicht sein, das war unsoldatisch und nicht so schicklich für die ehrbare sowjetisch-deutsche Freundschaft.

Wladimir erinnerte Aljoscha immer wieder, sich von Elsbeths Tanzkünsten nicht verführen zu lassen; das gäbe nur Ärger, später in der Kaserne. Denn bestimmt hatte irgendein wachsamer Späher auch diese Freundschaft im Auge, wie alle anderen Freundschaften auch -Tag und Nacht!

Heikel wurde es bei den langsamen Tänzen! Schlagartig stieg die Spannung im Raum, und die erhitzten Körper der Freundschaft versteiften sich, als gälte es die Übertragung böser Krankheiten zu verhindern. Niemand wusste wo er hinschauen sollte. Auf keinen Fall in irgendwelche Augen. Das hätte kompliziert werden können. Drum waren alle froh, wenn das Langsame vorüber war. Aber auch enttäuscht, dass wieder eine Chance vertan worden war, um sich doch ein bisschen anders näher zu kommen. Zugeben wollte das niemand…

Und natürlich blieb es nicht bei diesen Freundschaftstreffen; man traf sich auch sonst noch heimlich, zu Viert, da jeder auf den anderen aufpassen musste. Elsbeth und Karin brachten Bier und Aljoscha und Wladimir den Wodka; auch Dosenananas und Ölsardinen und den schweren Grusinischen Portwein.

An den seltsamsten Plätzen drückten sie sich herum, und geküsst wurde, wenn der Alkohol für ausreichend Mut gesorgt hatte. Bei Elsbeth und Aljoscha war das jedenfalls so. Aber was Wladimir und Karin taten, wusste Elsbeth nicht, da Karin nicht mehr darüber reden wollte! Aljoscha dafür umso mehr: er wollte alles wissen über Elsbeth und ihren Hof, die Familie, die Onkel und Tanten und vor allem die im Westen.

Leider wurde Aljoscha dann von Mal zu Mal nervöser. Er sagte, dass sich irgendetwas anbahne, was er nicht durchschaue und es könne sein, dass sein Truppenteil bald verlegt werde. Aber so genau könne er das nicht sagen, und Elsbeth wollte es auch gar nicht so genau wissen.

Und dann an einem Dienstag im Oktober kamen die beiden tatsächlich nicht mehr zum vereinbarten Treffen.

Ohne Abschied waren sie plötzlich weg.

Elsbeth fühlte sich erleichtert, da diese Treffen immer schwieriger geworden waren. Fast alles war nur mehr über verschlüsselte Botschaften gelaufen, die sie in zwei versteckten Briefkästen deponiert hatten. Der eine Briefkasten war beim ehemaligen Schinkeldenkmal in Neuruppin gegenüber dem Offizierscasino und der andere unter einer Baumwurzel im Park. Aljoscha hatte diese Briefkästen empfohlen. In kleinen Plastikhüllen konnte man die Zettel mit den Botschaften hinter Steinen deponieren. Aljoscha schien da Erfahrung zu haben.

Aber diese Briefkästen waren dann tot. Elsbeth und Karin hatten noch ein paar Mal vergeblich auf Antwort gewartet.

Zuletzt waren ihre eigenen Botschaften auch weg.

Aus und vorbei – aber dieser Kontakt zu Besatzungssoldaten war ohnehin nicht gewünscht. Niemand wollte das.

Die Kants hätten das nie wissen dürfen.

Manchmal glaubte Elsbeth, Aljoscha doch noch irgendwo zu sehen, wenn sie nach der Schule zum Bahnhof ging. Karin lachte sie aus, sie hatte diese Wahnvorstellungen nicht.

Und als Elsbeth mit Karin im Kino war, was selten genug vorkam, fand sie danach eine winzig kleine Matrjoschkapuppe in ihrer Manteltasche, die nur von Aljoscha sein konnte; vor ein  paar Wochen hatte sie schon einmal eine von ihm bekommen: die Neue passte als Kleinste genau hinein. Diese mehrteiligen Dinger sind wie ich, hatte er damals geheimnisvoll grinsend gesagt und ihr einen schnellen Kuss auf die Nase gedrückt. Elsbeth lief es im Nachhinein noch heiß und kalt über den Rücken. Hatte Aljoscha im Kino hinter ihr gesessen? Oder wie hatte er das gemacht? Oder war das Püppchen doch von jemand anderem?

Elsbeth war beunruhigt. Viel zu häufig vagabundierte Aljoscha in ihrem Kopf herum. Sie fühlte sich beobachtet. Wenn das im Kino möglich war, konnte alles möglich sein. Überall konnte er auftauchen. Und dass sie es nicht bemerkt hatte, machte ihr am meisten zu schaffen. Da es jetzt im Dezember auch schon früh dunkel wurde, legte sie den Weg von der Schule zum Bahnhof immer mit bangem Herzen zurück. Bei jedem Auto, das vorbeifuhr, schreckte sie zusammen.

Und dann an dem komischen Mittwoch, an dem in der Schule alles schiefgelaufen war, hielt tatsächlich dieser schwarze Wolga an der Stelle, die Elsbeth noch nie gemocht hatte, da gleich hinter dem dichten Gebüsch die ekelhafte Brache begann. Eine Wagentür ging auf und ehe Elsbeth sich versah, zog sie eine zupackende Hand nach hinten auf den Sitz. Sie war so überrumpelt, dass sie sich weder wehren noch schreien konnte. Sie ließ alles einfach geschehen. Irgendwie merkte sie nur noch, dass die Schultasche störte, bevor sie den schelmisch lachenden Aljoscha wahrnahm, der sie an sich zog und langsam und in Pausen immer wieder ihren atemlosen Mund mit seinen Lippen abdeckte und ihr jede Menge Unsinn in russisch und deutsch in die Ohren flüsterte.

Endlich lachte sie auch, erlöst und vergnügt, da sie Aljoschas Hände überall spürte. Die Scheu war weg, ja das war schön! Aber als er ihr etwas in die Hand drücken wollte, zuckte sie zusammen und wagte nicht hinzusehen, sondern suchte seine Augen, die im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Autos immer wieder aufschimmerten und seinen Mund der ununterbrochen in Bewegung war…

Plötzlich fuhr Elsbeth hoch und sagte, „wer fährt uns denn?“

„Nicht denken, meine kleine Libelle! Nicht fragen! Nur genießen und träumen!“

„Hört der uns? Sieht der uns?“

„Mach dir keine Sorgen“.

„Erzähl mir, was los ist, Aljoscha!“.

„Tu ich doch, Elsbeth! Schon die ganze Zeit! Ich bewege doch ununterbrochen meine Lippen, du musst nur hinhören, mit deinem Körper, nicht nur mit den Ohren“, flüsterte Aljoscha und sein Flüstern wollte nicht aufhören, wobei Elsbeth wieder die Unruhe an ihm spürte, die sie längst kannte.

Als Elsbeth endlich auftauchte und Aljoscha zu flüstern aufgehört hatte, war die Stimmung gekippt. Aljoschas Gesicht war veränderte, als sie beide viel zu ernst in ihre Kleidungsstücke zurück zu finden versuchten.

Es war fremd und leer. Ohne erkennbaren Grund bat er Elsbeth plötzlich auszusteigen.

„Hier?“, fragte sie, „wo sind wir denn?“

„Vertrau mir, flieg weg kleine Libelle!“

Er küsste sie und öffnete von innen die Wagentür.

Zu ihrer Verwunderung waren es nur ein paar Schritte bis zur Hofeinfahrt. Der Wolga fuhr ohne Beleuchtung weiter.

Aufgewühlt ging sie noch eine ganze Weile in der Dunkelheit umher. Sie nahm sich vor, daheim sofort in ihrem Zimmer zu verschwinden, denn bestimmt sah ihr jeder an, was im Auto passiert war. Scham spürte sie nicht, aber Angst. Angst auch vor dem, was ihr Aljoscha erzählt und nicht erzählt hatte: erstmals glaubte sie zu ahnen, dass er möglicher Weise in irgendwelche Geheimdienstgeschichten verstrickt war …

Als eine Woche später auf dem Weg zum Bahnhof an gleicher Stelle und zur gleichen Zeit wieder der schwarze Wolga hielt, öffnete Elsbeth ohne zu zögern gleich selbst die hintere Wagentür. Aber wie groß war die Enttäuschung, als sie nicht neben Aljoscha saß, sondern neben Wladimir und neben ihm noch die kichernde Karin entdeckte.

Tja man müsse schon gucken, in welches Auto man steige, meinte Karin süffisant, gab aber dann ihrer Freundin einen aufmunternden Klaps und Zeit sich von diesem Schock zu erholen. Elsbeth spürte schnell, dass die beiden irgendetwas von ihr wissen wollten. Trotz des unverfänglichen Gesprächs, das Wladimir versuchte und bevor er noch auf Aljoscha kam und klagte, dass dieser sich ihm gegenüber mehr und mehr verschließe, ja manchmal fast feindselig verhalte, dabei wolle er ihm nur helfen, da er schon oft arg chaotisch durch die Welt haste, gerade so als gäbe es keine Klassenfeinde, keinen feindlichen Westen; ja nicht einmal den antifaschistischen Schutzwall wollte er akzeptieren.

„Was ja sonst jeder aufrechte Bürger der DDR tut“, meinte Elsbeth spitz. Wladimir ging darauf nicht ein und Karin schaute ihre Freundin grinsend an.

„Was hat denn unser Aljoscha nun so vor in der nächster Zeit?“, fragte Wladimir.

„Keine Ahnung, er ist ja unsichtbar seit unserem letzten gemeinsamen Treff vor ein paar Monaten!“

„Wirklich?“

„Ja, Karin weiß es doch!“

„Eben, weil sie es weiß, frage ich dich“.

„Geht  es auch weniger kryptisch, Wladimir?“

„Ach komm, lassen wir das“, sagte er plötzlich, nachdem ihn Karin geschubst hatte.

„Aber falls du doch zufällig seine Gewässer umschwirren solltest, dann grüß’ ihn von mir ‚kleine Libelle’ und sag ihm, dass ich ihm Glück wünsche, oder wie sagt man bei euch in Deutschland `Hals- und Beinbruch´ wünsche, für seine Fallschirmsprungprüfung, die müsste bald sein. Und sag ihm, es wird schon schiefgehen!“  Sein Grinsen war nicht zu entschlüsseln.

„Gut ich werde es ihm sagen sobald ich an ihm vorbeifliege! Aber warum sagst du ihm das nicht selber, ihr seid doch Freunde, oder nicht?“

„Ach weißt du Elsbeth, mit Freundschaften ist das so eine Sache. Manchmal gibt es einfach Dinge, die stärker sind als jede Freundschaft. Aber das wäre eine zu lange Geschichte, da reicht die Zeit nicht mehr. Für dich ist es nämlich besser, wenn die ‚kleine Libelle’ jetzt aussteigt und fortfliegt…

„Ja ist wohl besser, das war blöd heute, tut uns leid Elsbeth“, druckste Karin herum. Man sah ihr an, dass sie sich nicht wohl fühlte.

„Ist schon gut,  ihr beiden. Einen schönen Abend noch zusammen!“

Als Elsbeth ausgestiegen war, merkte sie, dass es exakt die gleiche Stelle war, an der Aljoscha auch seine ‚kleine Libelle’ fortgescheucht hatte.

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4 Antworten

  1. lädt ein zum Weiterlesen!
    das Titelbild gefällt mir besonders….
    freu mich auf die Fortsetzung:-)

  2. Ja Elisabeth das freut mich , dass du weiterlesen willst und das Bild spielt eine zentrale Rolle und hängt nicht nur in Berlin in einer Galerie sondern auch bei uns in der Wohnstube…

  3. Hi Klaus – hab das gerade erst entdeckt. Ist mal ein ganz anderer Stil – und gefällt mir. Werde mal weiterlesen …

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