Nach „Hilfe! Wer erlöst mich…“ kommt jetzt ein weiterer Krimi über einen neuen seltsamen Vorfall in Rodenbach! Und zwar wie bisher am Donnerstag und Sonntag im Blog sowie im Facebook in meiner Story – dieses Mal sind es 18 Kapitel!
Kapitel 2
Ausgerastet
Zu Seidlers kam noch am gleichen Tag, gegen Abend, die Kriminalpolizei!
An dem älteren der beiden Kriminalbeamten, Herrn Färber, war von oben bis unten alles rund und die wenigen Haare, die er noch auf dem Kopf hatte, waren früher vielleicht einmal blond gewesen. Und vielleicht waren sie damals sogar genau so üppig gewesen, wie der mächtige Schnauzbart, den sein Begleiter Unger unter der Nase trug und der den Mund selbst beim Sprechen noch vollkommen bedeckte.
Frau Seidler, die gerade beim Küchenfenster gestanden war, hatte die beiden schon kommen gesehen und am Haustor erwartet. Als sie hörte, dass nach Udo verlangt wurde, drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um, ließ das Haustor offenstehen und rannte zu ihrem Mann in die Wohnstube, der mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher saß und dazu rauchte.
„Georg die holen den Udo! Die holen unseren Udo!“ schrie sie aufgeregt ihrem Mann entgegen. Aber da standen Färber und Unger schon in der Wohnzimmertür, wünschten einen guten Abend und sagten, dass sie von der Kripo seien; ihre Ausweise wollte niemand sehen.
Georg Seidler wirkte verstört. Er sprang aus seinem Fernsehsessel und schaute, ohne sich vom Fleck zu bewegen, abwechselnd auf die Kriminalbeamten und seine schreiende Frau.
„Berta mach doch nicht so ein Theater, das hält ja niemand aus“, sagte er dann etwas barsch.
Herr Färber nickte zustimmend und sagte, “es gibt auch überhaupt keinen Grund zu irgendeiner Aufregung! Wir wollen auch gar nicht arg stören sondern nur zwei, drei Fragen stellen und sind dann schon wieder weg, Frau Seidler.“!
Georg Seidler, der seine Fassung wiedergewonnen hatte, bat Färber und Unger Platz zu nehmen und setzte sich neben seine Frau auf die Couch. Der Fernsehapparat lief weiter.
„Haben sie etwas dagegen, wenn ich auch rauche“? begann Färber. Und während er sich umständlich eine Zigarette anzündete sagte er,
„Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, warum wir hier sind“?
„Sicher wegen der Sache heut in der Nacht“, antwortete Seidler knapp.
„Und warum wissen Sie davon, Herr Seidler“, fragte Färber naiv und entschuldigte sich gleich für seine tapsige Art und die Zigarettenasche auf dem Teppich.
Georg Seidler gab mit einem Wink seiner linken Hand zu verstehen, dass das nicht ausmache und sagte, „der Erich Schmidt ist heute in der Früh vor der Arbeit da gewesen und hat uns alles erzählt, was letzte Nacht vor seinem Haus mit dem Udo passiert ist“!
„Und was sagt ihr Sohn Udo dazu“? wollte Färber wissen.
„Der Udo, der sagt gar nichts“, Seidler schaute dabei Färber unvermittelt in die Augen und zog seine Stirne in Falten.
„Und warum sagt der Udo nichts“?
„Der Udo versteht doch nichts“, rief da plötzlich Frau Seidler aufgeregt dazwischen und wischt sich gleich wieder mit den Handrücken über ihre ewig tränenden Augen.
„Aus dem Udo ist doch nichts Vernünftiges herauszubringen“, ergänzte Seidler und bemühte sich ruhig zu bleiben.“ Der Polizei müsste doch auch bekannt sein, dass der Udo behindert ist. Von Geburt aus hat der Udo, wie man so sagt, einen leichten Dachschaden.“
„Aber angestellt hat der Udo noch nie etwas“, warf Berta Seidler ängstlich dazwischen.“ Der Udo ist zwar im Kopf nicht ganz richtig aber sonst ist er ein guter Junge“!
„Wo ist denn der Udo jetzt? Können wir mit ihm reden“? fragte Färber.
„Soweit ich weiß liegt der Udo oben in der Kammer in seinem Bett, Berta, oder“?
„Ja, er ist aber nicht ansprechbar. Seit heute Morgen liegt er nur da, starrt vor sich hin und wackelt mit dem Bett“!
Färber überlegte einen Moment. Abwechselnd schaute er zu Unger zu Berta Seidler und Georg Seidler. Dann stieß er, die in seinen dicken Backen angesammelte Luft mit einem kräftigen Stoß aus sich heraus und gab Unger einen Wink, worauf dieser seine schäbige Aktentasche öffnete und zwei Plastiktüten herauszog. In einer Tüte war ein Schal und in der anderen ein alter abgegriffener Lederhandschuh. Unger legte beides vor Frau Seidler auf den Tisch.
„Kennen Sie diese Sachen, Frau Seidler“? fragte er.
Frau Seidler rutschte auf ihrem Sitz etwas nervös hin und her, streckte sich dann nach vor und sagte nach einem flüchtigen Blick, „durch die Plastikumhüllung kann ich nichts sehen, tut mir leid Herr Inspektor“!
Während Unger Schal und Lederhandschuh mit einiger Sorgfalt aus den Plastiktüten nahm, hörte man im Hausflur Schritte und kurz darauf trat ein drahtiger blondhaariger Bursche in die Wohnstube.
„Was ist denn hier los“? fragte er sichtlich verwundert
„Das ist der Manfred, unser ältester Sohn“, sagte Georg Seidler zu Herrn Färber, ohne auf die Frage seines Sohnes einzugehen.
Aber bevor irgendjemand noch etwas sagen konnte, angelte sich Färber den Schal und hielt in Manfred unter die Nase.
„Wissen Sie zufällig, wem dieses Teil gehört“? fragte er und musterte Manfred eindringlich. Verstört trat dieser einen Schritt zurück. Seine Augen pendelten zwischen Färber und Schal hin und her.
„Was wollen Sie denn mit Udos Schal? Und wer sind Sie denn überhaupt“?
Sichtlich zufrieden zog Färber seinen Dienstausweis.
„Dieser Schal und dieser Handschuh“, den er Unger aus der Hand nahm und auch Manfred Seidler zeigte, “sind nach dem Einbruch im Wasa – Markt gefunden worden. Und die Stereoanlage und die beiden tragbaren Fernsehgeräte, die Ihr Bruder Udo heute Nacht durch die Gartenstrasse geschleppt und dort verloren hat stammen aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus diesem Einbruch“.
Unger hatte die ganze Zeit über Berta Seidler beobachtet, die das Gespräch zwischen Färber und Manfred Seidler gar nicht mit zu bekommen schien, sondern mit eigenartigem Interesse und einer immer größer werdenden Unruhe die Wohnzimmertür fixierte, die Manfred offen lassen hatte. Tatsächlich konnte man durch die Glasrippen der Türfüllung, trotz der Dunkelheit im Hausflur den Eindruck gewinnen, dass dahinter jemand stand.
Unger sprang plötzlich auf, zwängte sich an Manfred Seidler und Färber, die beide immer noch im Wohnzimmer standen, vorbei und riss blitzschnell die angelehnte Wohnzimmertür auf: Vor ihm stand eine komische Gestalt, die ihn mit erschrockenen Augen blöd anstarrte, dann irgendetwas Unverständliches aus sich herausbrüllte und ihm, ehe er sich versah, einen fürchterlichen Faustschlag auf die Nase donnerte.
Unger taumelte mit einem lauten Aufschrei in den Raum zurück und wurde glücklicherweise von Manfred Seidler aufgefangen. Während dieser versuchte, den stark aus der Nase blutenden Unger zu einem der Sessel der Couchgarnitur zu bringen, war Färber mit einer für seinen runden Leib erstaunlichen Behändigkeit sofort hinaus in den dunklen Flur geeilt Auch Georg Seidler und Berta waren aus ihren Sitzen hochgesprungen und mit lauten Rufen nach Udo in den Flur gerannt. Aber man hörte nur mehr, wie mit einem lauten Krach das Haustor zugeschmissen wurde.
Färber und Seidler rannten auf die Straße hinaus und nach beiden Richtungen die Limesstrasse rauf und runter, aber von Udo war weder etwas zu hören noch zu sehen. Färber lief auch die anderen umliegenden Straßen ab und Georg Seidler suchte mit der Taschenlampe den Garten und den darin liegenden Schuppen ab.
Ohne Erfolg!
Udo schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Manfred hatte in der Zwischenzeit Unger auf die Couch gebettet und ihm ein nasses Handtuch unters Genick geschoben. Unger war wie besoffen von dem heftigen Schlag, er ärgerte sich, dass er sich so überrumpeln hatte lassen und versuchte mit einem weiteren feuchten Tuch, die noch immer blutende Nase zu beruhigen. Hoffentlich war das kein Nasenbein-
Bruch.
Da Frau Seidler immer noch vor dem Haus auf und abrannte und nach Udo rief, holte ihr Mann sie herein. Ihn ärgerte ihr übertriebenes Getue.
„Du machst ja mit deinem Geplärre alle Leute in der Straße verrückt“, schimpfte er, “du kennst doch eh unsere Nachbarn, die warten doch nur drauf, dass mit dem Udo irgendwas ist, damit sie ihn loswerden, da musst du doch nicht noch so rumschreien…!“
Frau Seidler kam nicht mehr in die Wohnstube zurück. Beleidigt sperrte sie sich heulend in der Küche ein.
.„Ich versteh das alles nicht“, sagte Herr Seidler zu Färber, der alles noch einmal zu rekonstruieren versuchte. „Ausgerechnet der Udo, der doch keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, soll diesen Josef Rampf niedergeschlagen und den Wasa – Markt ausgeplündert haben! Das passt doch hinten und vorn nicht zusammen, Herr Kommissar!
„Aber, wenn ich an meine Nase denke“, warf Unger ein, “fällt es mir schwer an die große Sanftmut von dem lieben Udo zu glauben! Aber möglicherweise geht er ja mit Fliegen anders um, als mit den Nasen von Kriminalbeamten!“
Manfred Seidler winkte gereizt ab. “Man darf das dem Udo nicht übelnehmen; der hat bestimmt gehört, wie ich das von seinem Schal gesagt habe und da ist der ausgerastet! Der hat sicher plötzlich eine unheimliche Angst bekommen, der weiß genau, was der Schal und der Lederhandschuh bedeutet. So dumm ist der Udo nicht, der wird immer für viel dümmer gehalten als er ist! Er kann halt nicht ordentlich reden und komisch ausschauen tut er auch!“
Georg Seidler wollte das alles noch nicht glauben, er schüttelte immer wieder den Kopf und sagte wiederum, dass das hinten und vorne nicht zusammenpasse!
Aber Färber zeigte genau so beharrlich auf den Schal und den Handschuh, beides gehörte Udo; das musste auch Seidler zugeben. Und Frau Seidler die nach einigem Zureden doch wieder in die Wohnstube gekommen war, brachte aus Udos Kammer sogar den dazu passenden zweiten Handschuh.
Nach einem längeren Schweigen zuckte dann Färber ein paar Mal mit den Schultern und sagte, ihm täte das alles furchtbar leid, aber er komme nicht umhin gegen Udo einen Haftbefehl auszustellen!
„Die Beweise sind einfach zu erdrückend, da hilft alles nichts! Ich hoffe nur, dass der Udo sich bald stellt, sonst wird die Sache nur noch schlimmer. Und ich muss auch an sie alle appellieren, dass sie gleich die Polizei verständigen, wenn er bei ihnen auftaucht!“
„Ich werde ganz bestimmt niemand verständigen“, warf Manfred Seidler mit grimmiger Miene entschlossen ein“ mir reicht es, ein zweites Mal werde ich mich nicht mehr überrumpeln lassen und den Udo verraten“.
„Was soll denn das jetzt wieder, Herr Seidler! Hier geht es doch um die Aufklärung eines schweren Verbrechens! Da ist für so komische Gefühlsduseleien kein Platz. Mitleid mit dem Täter ist da vollkommen falsch! Denken Sie doch bitte einmal an den Josef Rampf, wie der zugerichtet worden ist und mit welcher Rücksichtslosigkeit man ihn in seinem Blut liegen hatte lassen. Und denken Sie an seine Frau, die heute noch nicht weiß, ob ihr Mann jemals wieder so wird, wie er war. Und vielleicht denken Sie auch noch an seine beiden Kinder, die um ein Haar ihren Vater verloren hätten, daran müssen Sie denken, Herr Seidler, und nicht wer wen vielleicht verraten hat!“
Frau Seidler fing wieder zu weinen an während Färber das sagte.
Georg Seidler saß stumm und steif neben seiner Frau und hielt seine beiden Hände fest zwischen den Knien eingeklemmt.
Manfred Seidler lag ausgestreckt im Sessel und drehte nervös mit den Fingern in seinen langen blonden Haaren.
Nach einer Weile bat Georg Seidler die beiden Kriminalbeamten zu gehen, es war ja alles besprochen worden.
Als Färber und Unger aus der Wohnstube gingen, sagte der Nachrichten -sprecher im Fernsehen, dass noch nie so viele deutsche Urlauber in Spanien gewesen waren, wie in diesem Sommer.
Manfred Seidler stand auf drehte den Fernsehapparat endlich ab und
ging auch hinaus
KH