Nach „Hilfe! Wer erlöst mich…“ kommt jetzt ein weiterer Krimi über einen neuen seltsamen Vorfall in Rodenbach! Und zwar wie bisher am Donnerstag und Sonntag im Blog sowie im Facebook in meiner Story – dieses Mal sind es 18 Kapitel!
Kapitel 4
Aufgehetzt
Den Koblewskis war die Hatz auf Udo nicht geheuer!
Dazu war die Erinnerung an den Aufruhr, den sie mit dem alten Hausierer in Rodenbach verursacht hatten, noch viel zu lebhaft in ihren Köpfen.
„Immerhin“, sagte Karl Koblewski, „ist es erstaunlich, dass diese `Ablehnungsmaschinerie auch bei Einheimischen so anspringt. Die Seidlers leben doch schon seit Menschengedenken in Rodenbach, nicht so wie wir, die praktisch erst vor ein paar Jahren zugezogen sind. Bei neu Zugezogenen kann man ja so eine Hetzjagd noch etwas leichter verstehen, aber bei den Seidlers, tut man sich schon extrem schwer“:
„Dieses ganze komische Getue um den Udo und diese Hasstiraden erinnern mich haarklein an das, was wir seinerseits durchgemacht haben, ergänzte Susanne Koblewski, seine Frau.
„Die Seidlers tun mir echt leid! Außer diesem komischen Manfred, diesem Raser und Angeber, der tut mir nicht leid! Aber der ist ohnehin außen vor, der wird eh nicht angegiftet, schließlich bringt der ja Rodenbach in die Medien, und die Leute bedauern ihn sogar, dass er so einen unmöglichen Bruder hat…“
Kiki, die erst vor zwei Wochen zwölf Jahre alt geworden war, sagte „in ihrer Klasse bewundern auch alle den Manfred. Überhaupt die Jungs: wenn die auf ihren Fahrrädern sitzen, sind sie alle kleine ´Manfred Seidlers´!
Und die Mädchen finden ihn auch alle toll, er sieht ja auch echt cool aus“!
„Na ja ich finde den lieben Manfred mehr blöd als cool, aber sicher bin ich dafür nicht mehr jung genug. Aber egal wie dieser Manfred auch immer ausschauen mag, mir ist eigentlich nur eines wichtig“, sagte Susanne Koblewski und bekam plötzlich einen etwas verkniffen – feierlichen Gesichtsausdruck, „mir ist nur wichtig, dass sich unsere liebe Familie ganz aus dieser ´Sache Udo Seidler´ raus hält. Und zwar von Anfang an und für alle Zeit, ist das klar!“
Karl Koblewski reagierte gereizt.
„Also bitte, nimm’ diese Feierlichkeit wieder aus deinem Gesicht, Susanne, das macht mich nämlich ärgerlich, und verschon’ uns bitte mit deinen gänzlich unbegründeten Verdächtigungen“
Aber Susanne Koblewski kannte ihre Pappenheimer! Sie verdrehte ihre großen blauen Äuglein, wiegte zweifelnd ihr kritisches Haupt und sagte spitz, „na ich weiß nicht!“
„Aber ich weiß es! Mir hängt die ´Steinbruchgeschichte´ noch heute in den Knochen, oder glaubst du ich bin ein Masochist und tu mir so etwas freiwillig noch einmal an, liebste Susanne“?
„Hoffentlich nicht, liebster Carl“, sagte Susanne gespielt schleimig und schaute mit gekünstelter Beharrlichkeit auf die schwarze Rollrandmütze, die sie für Kiki strickte.
„Ich hab’ doch keinen Kopfschuss und leg mich ein zweites Mal mit den Rodenbachern an“!
Karl Koblewski legte die abendliche Zeitung beiseite. Er fühlte sich an einer sensiblen Stelle getroffen.
„Und schon gar nicht werde ich mich wegen dieses blöden Udos mit ihnen anlegen! Ehrlich gesagt habe ich mich über den auch immer geärgert! Ich hab’ auch nie verstanden, warum der so dreckig sein musste.
Und dass man sich da aufregen kann, ist wirklich kein Wunder!
Und warum die Seidlers den so aus dem Haus gehen haben lassen, ist bei aller Sympathie auch nur schwer zu begreifen.
Und dem schönen, schnellen Manfred, wäre auch kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn er seinem Bruder Udo gelegentlich ein paar saubere Klamotten umgehängt hätte. Und warum er dann in diesem verdreckten Aufzug ausgerechnet jeden Tag vor der Post auf der Hauptstraße herumlungern muss, weiß außer ihm selbst wohl auch niemand.
Und bei allem Respekt, ein Zierstück ist der für den Ort wirklich nicht gewesen“, ereiferte sich Karl und hoffte, seine Frau endgültig davon überzeugt zu haben, dass er in Sachen Udo nicht auch nur eine Sekunde lang irgendwelchen Einmischungsfantasien nachgehangen hatte…
Kiki, die neben ihrer Mutter lümmelte und gelangweilt in einem alten Manga blätterte, sagte, dass der Udo unter seinem Dreck immer freundlich war.
„Jedenfalls hat er öfters, wenn wir vorbeigegangen sind so etwas Grußähnliches aus sich rausgegurgelt. Und ein paar Mal hat er Vera und mir auch Hustenbonbons geschenkt, die gar nicht einmal so schlecht waren, obwohl uns am Anfang schon etwas gegraust hat, da er immer so gestunken hat“!
„Diese Hustenbonbons waren wohl Udos Leidenschaft! Überall wo der stand, war binnen kürzester Zeit alles mit diesen blauen Einwickelpapieren bedeckt; diese Dinger fielen an ihm runter wie das Herbstlaub im Wald“!
Susanne Koblewski sagte, dass Frau Seidler ihr einmal erzählt habe, dass der Udo unter einer chronischen Bronchitis leide und deswegen immer diese Hustenbonbons lutsche.
“Vor ein paar Jahren muss er sich das angewöhnt haben. Das war ein Grund mehr, warum er gar so schwer zu verstehen war: er lutschte ständig an so einem Ding herum. Angeblich lutschte er pro Tag fast ein Kilo Hustenbonbons weg; das muss man sich einmal vorstellen.“
„Und von wo hat er das Geld für diese Mengen?“
„Jedenfalls nicht aus den Einbrüchen“, sagte Susanne etwas zu scharf, um so gleich alle voreiligen Verdächtigungen abzublocken!
Offensichtlich sorgte Frau Seidler dafür; dass dem Udo wenigstens diese kleine Freude blieb. “Ich bin doch seine Mutter“, sagte sie, als wollte sie sich, für diese Unmengen von Bonbons entschuldigen!
„Aber, wenn der liebe Udo diese Papierchen in die Hosentasche gesteckt hätte, hätte er den anderen nicht nur eine kleine Freude, sondern sogar eine große Freude bereiten können“, meinte Karl Koblewski ironisch.
Aber Susanne sprang darauf nicht an; sie griff nach einem neuen Knäuel schwarzer Wolle und strickte weiter an Kikis Mütze.
„Den alten Seidlers war Udos Schlampigkeit natürlich auch nicht recht. Aber mehr als ständig reden und schimpfen konnten sie auch nicht. Was hätte sie denn tun sollen? Hätten sie ihn einsperren sollen, oder schlagen, oder was?
„Ich fand das immer gerade so toll“, ergänzte Susanne Koblewski, „dass die Seidlers trotz aller unschönen Dinge und trotz aller Anfeindungen immer zu ihrem komischen Udo gestanden sind und ihn sein Leben leben ließen“!
„Und so eine unerträgliche Last, wie jetzt immer getan wird, war der Udo ja auch nicht! Da wird doch wieder maßlos übertrieben. Nach dem Gerede der Leute ist es ja gerade so, als wäre Rodenbach jahrelang von einem üblen Monster terrorisiert worden! Aber so war das doch gar nicht! Die meisten Leute haben sich doch gar nicht um den Udo geschert! Denen war es doch ganz egal, ob der Udo vor der Post stand oder sonst wo. Und die ihn kannten haben ihm sogar immer ein paar belanglose Worte zugerufen, wenn sie vorbeigingen, sei’s zum Wetter oder sonst etwas! Und ich habe selbst gesehen, dass er älteren Leuten über die Straße geholfen oder ihnen sogar schwere Taschen nach Hause getragen hat,“
„Wenn ich dich so höre feixte Karl, „dann glaube ich, dass du etwas verwechselst – wir reden hier von Udo, dem unappetitlichen Dorftrottel, nicht von Mutter Theresa“!
„Ha – Ha sehr lustig! Natürlich war – aber was sage ich denn, er ist ja hoffentlich noch nicht tot – ist der Udo unappetitlich, das streite ich doch gar nicht ab, aber was ich sagen will ist, dass hier schlimm gehetzt wird, nur weil man einen Sündenbock will, dem man alles in die Schuhe schieben kann. Und da der Udo blöd ist und sich nicht wehren kann, ist das besonders verlockend. Aber wir kennen das doch, Karl, wir haben das doch alles erlebt, oder hast du das schon vergessen…
„Na ja so blöd wie der Udo sind wir ja vielleicht nicht gerade gewesen, oder?“
„Manchmal hatte ich aber schon den Eindruck!“
„Nanu, liebe Susanne, ich habe ja fast das Gefühl, dass Du hier die Gefährdete bist und nicht wir! So wie du den Udo verteidigst, könnte man ja glauben, Du bist drauf und dran eine Aktion `Rettet den Udo´ ins Leben zu rufen.“
„Ach Quatsch“, ich glaub’ wir sollten es jetzt auch sein lassen bevor wir uns in noch mehr Unsinn reinsteigern!“
Susanne Koblewski legte das Strickzeug weg und ging in die Küche, und Karl redete so lange auf Kiki ein, bis sie ihn doch noch auf seiner abendlichen Runde durch den Ort begleitete. Vielleicht ging er ja später, wenn er wieder nicht schlafen konnte, noch einmal los, aber jetzt hatte er jedenfalls Lust mit Kiki zu gehen.
Und da Kiki ihm nun schon einmal die seltene Ehre erwies mitzukommen, schlug er gleich die ´große Runde´ vor….
„Aber nur, wenn wir auch über den Friedhof gehen und beim grauen Mann ein Licht anzünden“!
„Abgemacht“!
Kiki hatte auch ihre Taschenlampe dabei, denn der schlecht beleuchtete Schulweg, durch den es gleich anfangs bei dieser Runde ging, war ihr immer etwas unheimlich. Überhaupt wenn jemand noch mit einem Hund entgegenkam; in solchen wenigen Fällen war es dann nicht unangenehm, wenn Papas Hand in der Nähe war.
Hunde waren nicht gerade ihr Ding, das hatte sie wohl von Mama geerbt, die auch Angst vor Hunden hatte, wie Papa immer sagte.
Auf ihrem Weg zur Schule wusste sie ganz genau an welchen Gartenzäunen man von kläffenden Hunden erschreckt werden konnte. Und wie die immer angeschossen kamen, das war echt ätzend! Vor diesen Häusern wechselte sie schon immer vorbeugend die Straßenseite, denn man konnte nie wissen…?
Und auf die Gehsteige kackten die lieben Hundchen auch immer! Ekelhaft! Überhaupt im Herbst und Winter, wenn es so dunkel war und man nicht genau sah wo man hintrat…
Vom Schulweg führte die ´große Runde´ in den alten Ortskern von Rodenbach: hier in der Kirchstraße gab es noch viele Fachwerkhäuser, die oft auch noch hölzerne Fensterläden hatten und längs der Gehsteige hatte man auch wieder die alten Straßenlaternen aufgestellt und Bäume gepflanzt. Fast jedes zweite Haus war ein Bauernhof. Bei einigen roch es noch nach Kuhstall. Nur das schäbige Haus der Suffsusel, einer ortsbekannten Alkoholikerin stank erbärmlich nach Katzen. Die Einheimischen machten um dieses Haus schon aus Gewohnheit einen Bogen. Kiki hielt sich immer die Nase zu, wenn sie vorbeiging, das war sonst nicht auszuhalten. Karl Koblewski fand das allerdings immer etwas übertrieben, so schlimm war das gar nicht mit dem Gestank…
Die Kirchstraße mündete direkt in den alten Rathausplatz, mit einem geheimnisvollen steinernen Rathausgebäude und der evangelischen Kirche, die von einem uralten Kirchenmäuerchen eingefasst war; dahinter verlief quer die Barbarossastraße, in der in einigen Fachwerkhäusern ganz schöne Geschäfte untergebracht waren.
Da Kiki unbedingt auf den Friedhof wollte musste die stark befahrene Bruchköblerstraße überquert werden, von wo es nach der Gärtnerei dann links ab zu dem besagten Friedhof ging, in dem auch das Grab des alten grauen Mannes lag, für das Kiki Koblewski, nach der ´Steinbruchgeschichte´, die Pflege übernommen hatte.
Der Friedhof lag in tiefer Dunkelheit. Kiki schaltete gleich wieder die Taschenlampe an.
Auf einigen Gräbern brannten sogar Lichter, manchmal stand auch jemand davor und betete vielleicht.
Das Grab des alten grauen Mannes lag ganz hinten in einer Ecke, unmittelbar an der Friedhofsmauer. Es war etwas anders, als die anderen, es war gänzlich mit Natursteinen eingefasst, die Kiki und ihr Vater aus dem alten Steinbruch, wo der ´graue Mann ´gefunden worden war, herbei -geschafft hatten. Der riesige Grabstein war von Kiki im Steinbruch ausgesucht und auf Kosten der Gemeinde beigebracht worden. Hinter den Grabstein hatte Kiki einen Fliederstrauch gepflanzt, der sich im letzten Jahr prächtig entwickelt hatte. Auf dem Grab selbst wucherten zwischen den Steinen ausschließlich Blumen aus dem Steinbruch. Susanne hatte sie ausgesucht und mit viel Liebe eingepflanzt, natürlich mit Genehmigung der zuständigen Stellen! Die ganze Friedhofsecke schaute aus, als hätte man ein Stück Steinbruch einfach reinverfrachtet.
Kiki zündete das mitgebrachte Grablicht an und fingerte an manchen Stellen ein bisschen herum. Mindestens einmal in der Woche zündete sie bei dem ´ grauen Mann´ ein Licht an. Im Sommer goss sie auch regelmäßig die Blumen auf dem Grab; an heißen Tagen oft täglich. Oft legten auch andere Leute aus Rodenbach frische Blumen ab, oder ein kleines Kränzchen. Und zu Allerseelen fanden sich von Jahr zu Jahr mehr Menschen an dem Grab des ´grauen Mannes´ ein. Etliche kamen auch nur wegen der eindrucksvollen Grabstätte; „etwas Besonderes“, wie viele Leute meinten!
Als Kiki alles geordnet hatte blieb sie mit ihrem Vater noch eine ganze Weile vor dem Grab stehen und murmelte ein selbst erdachtes Gebet; sie erinnerte sich wieder, wie erbärmlich der alte Mann damals geweint hatte…
Aber in letzter Zeit träumte sie wieder manchmal von ihm: oft lächelte er und ging barfuß über eine sonnenbeschienene Wiese an deren Rand zum Wald hin er verschwand – komisch?
Daheim stellten sie fest, dass sie eine gute Stunde unterwegs gewesen waren. Kiki wurde schlagartig müde, als sie das hörte und konnte sich nicht einmal mehr alleine die Stiefel ausziehen.
Aus dem Badezimmer hörte sie das Gekreische von Niki, bei dessen stürmischen Schwimmversuchen in der Badewanne, die Wellen bis an die gegenüberliegenden Waschbecken schlugen. Vergeblich versuchte Susanne Koblewski ihm zu erklären, dass das abendliche Bad nicht immer in einer Überschwemmungskatastrophe enden musste…
KH