Ausgebootet
Karl Koblewski hatte dieses eigenartige Schauspiel aus sicherer Entfernung aufmerksam verfolgt. Ihm war auch nicht entgangen, dass Annegret Weiß weiterhin sehr verstört wirkte, obwohl Michael Strohbach, Manfreds Mechaniker sich größte Mühe gab, sie wieder in Stimmung zu bringen.
Auch an ihrem Tisch, an den sie wieder zurückgegangen war, schienen alle den komischen Brief als Quatsch abzutun, über den nachzudenken sich nicht weiter lohnte. Sie prosteten ihr reihum zu und rieten ihr, sich um Manfred zu kümmern, der am Zeltausgang für einen größeren Menschenandrang sorgte, als er auf seine flapsige Art Gerhard Schmidt das Motorradfahren beizubringen versuchte. Viel Erfolg schien er dabei nicht zu haben, aber die anderen hatten ihren Spaß!
Als Annegret Weiß außer Sichtweite war, standen von Manfreds Tisch unauffällig zwei seiner Kumpels auf. Vielleicht gingen sie nur zur Toilette, sie konnten aber auch etwas Anderes vorhaben.
Karl Koblewski trank rasch sein Bier aus.
„Ich muss schnell mal heim! Meine Frau ist krank, da hab‘ ich nicht solange Ausgang“, rief er augenzwinkernd einigen Freunden zu.
Am Zeltausgang machte Manfred noch immer seine Späßchen auf Kosten von Gerhard Schmidt. Koblewski bekam das nur beiläufig mit dann war er schon draußen auf dem Weg zu seinem Auto, dass er zufällig auch an der Ecke Jahnstraße-Schweitzer Straße abgestellt hatte. Und zwar gar nicht weit von einem kleinen Lastwagen, zu dem ihm einer seiner Freunde
verholfen hat, und diesem Freund war es auch möglich gewesen diese ganze Wagenladung Fernsehgräte, Radios, Kassettenrecorder und anderes Elektrozeug zu bekommen; teilweise waren es auch nur Verpackungskartons.
Koblewski hatte einen guten Riecher gehabt. Er saß kaum in seinem Auto, als die beiden Toilettengeher auch schon daherkamen. Zielstrebig steuerten sie auf den Lastwagen zu. Sie umkreisten ihn einige Male prüfend, dann zog einer eine Taschenlampe aus der Jacke und leuchtete auf die Ladefläche, während der andere an der Wagenplane zerrte.
Koblewski bedauerte nichts hören zu könne! Sein Fenster war zwar einen Spalt weit offen, aber mehr als ein unverständliches Getuschel war nicht auszumachen. Entdeckt konnte er von den beiden nur schwer werden. In der nächtlichen Kühle waren die Scheiben seines Autos vollkommen angelaufen. Da gelegentlich Passanten vorbeikamen, mussten die beiden Späher ihre Erkundungen immer wieder unterbrechen und so tun als stünden sie rein zufällig bei dem Lastwagen. Aber irgendeinen Beschluss mussten sie dann gefasst haben, da sie plötzlich weg waren.
Karl Koblewski stieg auch wieder aus und eilte zum Festplatz zurück!
Seine Freunde wunderten sich, dass er schon wieder da war.
„Na doch noch Ausgang bekommen? “ feixten sie.
„Nein ich such nur jemand!“, bemerkte er grinsend.
Manfred Seidler hatte offensichtlich seinen Fahrunterricht beendet. Koblewski entdeckte ihn an der Biertheke mit Michael Strohbach und den beiden Toilettengehern.
Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie über irgendetwas beratschlagten, wenn auch nicht ungestört, denn Manfred wurde immer wieder von vorbeigehenden Kumpels umarmt und an geblödelt. Und alle tranken auf sein Wohl und viele weitere Siege! Und Manfred trank jedes Mal mit und lachte und lachte…
Michael Strohbach wirkte nicht ganz so souverän. Sein Glas war immer noch voll. Er tippte nervös daran herum. Vielleicht war er auch verärgert, dass Manfred kaum ansprechbar war.
Nach einiger Zeit drückte er ihm sein immer noch volles Glas in die Hand, gab ihm einen Klaps auf die Schulter und zischte mit einem der Toilettengeher ab. Aber auch dieses Mal ging’s nicht auf die Toilette, sondern direkt auf den Parkplatz zu den Motorrädern.
Karl Koblewski war wie ein Wiesel hinter her; seinen verdutzten Freunden rief er von Weitem zu, dass er endgültig heimmüsse.
Er hatte kaum noch Puste, als er bei seinem Wagen ankam. Es war auch keine Minute zu früh. Die beiden Motorradfahrer kamen angerast und machten bei dem Lastwagen kurz Halt. Vermutlich wollte sich Michael Strohbach auch die geheimnisvolle Ladung anschauen. Sehr schlau dürfte er aber nicht geworden sein, verärgert bellte er seinem Kumpel etwas zu, dann schwangen sie sich beide auf ihre Motorräder.
Auf diesen Augenblick hatte Koblewski gewartet. Das war genau das, was er erreichen hatte wollen.
Allerdings hieß es jetzt dranbleiben! Und das war kein Zuckerschlecken! Die Burschen drehten auf, dass ihm hören und sehen verging. Der Krach den sie machten war sein Glück. Er konnte praktisch nach Gehör fahren. Die Orientierung war nach dreimal links abbiegen sowieso weg. Bei der Ortsumgehung kam er wieder zu sich! Von da ging’s ein Stück durch den Wald, vorbei am Altenheim, über eine Kreuzung und bei den Garagen war der Krach plötzlich weg! Ende! Hier mussten die Burschen wo stecken.
Koblewski kannte diese Garagen, sie gehörten zu den dahinterliegenden Wohnblocks. Hier fuhr er morgens vorbei, wenn er Kiki zur Schule brachte. Ihm war bisher nur aufgefallen, dass um diese Garagen tolle Motorboote standen. Wahrscheinlich über den Winter hier abgestellt.
Und just vor einer dieser Garagen standen die beiden Motorräder. Drinnen war Licht, dass konnte man trotz des geschlossenen Garagentors unschwer erkennen.
Koblewski fuhr langsam an den Garagen vorbei und stellte sein Auto in einiger Entfernung ab. Glücklicherweise war gegenüber den Garagen eine Bushaltestelle; die Dunkelheit des Wartehäuschens bot gute Deckung.
Nach geraumer Zeit kamen Michael Strohbach und sein Begleiter tatsächlich aus der vermuteten Garage heraus. Sie redeten ziemlich aufgeregt aufeinander ein. Ein paar Wortfetzen bekam Koblewski mit. Durch das kurzzeitig offene Garagentor hatte er ein großes Motorboot erkennen können. Auch in der Garage daneben, in die sie anschließend gingen, stand ein etwa gleich großes Boot. Als sie das Garagentor hinter sich geschlossen hatten, huschte Karl Koblewski blitzschnell über die Straße und horchte.
Drinnen wurde herumgekramt, einer sagte, „ist doch noch alles da, was soll denn der Schmarren auf dem Zettel! “ Der andere fluchte daraufhin fürchterlich, vielleicht war es Michael Strohbach?
Dann, „da hat uns so ein Arschloch fürchterlich reingelegt!“
„Und wir Blödmänner sind darauf reingefallen und haben uns nervös machen lassen, Scheiße!“
Koblewski musste weg, er hatte das Gefühl, dass die beiden wieder rauskamen. Er rannte ans Ende der Garagen und hockte sich auf den Boden. Als Michael Strohbach die Garage absperrte, konnte er deutlich hören wie der sagte, „das Zeug muss schnellstens weg von hier! Irgendjemand hat da Wind von der Sache bekommen! Vielleicht eh wieder der blöde Udo, von dem niemand weiß wo er steckt!“
Um ganz sicher zu gehen, überprüften die beiden wackeren Motorradfahrer auch noch die dritte Garage.
Koblewski benutzte diese Gelegenheit, um zu seinem Auto zu laufen; er hatte genug gehört und gesehen!
Zur Abrundung seines Verwirrspieles musste er jetzt nur noch den Lastwagen verschwinden lassen! Er sprang also in sein Auto und raste zum Festplatz hoch. Beim Lastwagen war glücklicherweise keine Menschenseele zu sehen. Sicherheitshalber lief Koblewski noch ein Stück in die Schweitzer Straße hinein, auch hier konnte er niemand entdecken. Na dann los! Er schwang sich auf den Lastwagen und dampfte im Eiltempo vor Urbaneks Haus, das ziemlich versteckt in einer Sackgasse lag. Schade, dass er das dumme Gesicht von Michael Strohbach nicht sehen konnte, wenn der den Lastwagen nicht mehr vorfand und nicht wusste, ob er nur zu besoffen war oder wirklich geträumt hatte!
Aber vielleicht ließ sich ja davon noch etwas im Festzelt entdecken, und ein Bierchen hatte sich Koblewski jetzt wirklich verdient, wie er fand!
Seine Freunde schüttelten ungläubig die Köpfe, als er schon wieder auf -tauchte.
„Na Karl, ist’s doch nicht so schön daheim, oder?“
„Bleib doch bei uns, wir haben uns zum Unterschied von dir schon längst entschieden und bleiben bis morgen!“
„Ist das ein Angebot, Karl?“
„Oder heckst du schon wieder was aus, Freundchen?“
Aber Koblewski im Vollgefühl seines Erfolges, grinste nur, winkte gelassen und steuerte ruhigen Schrittes auf die Biertheke zu, wo ein paar ratlose Motorradfahrer herumstanden…
KH