Agiles Schätzen und Planen Teil 4 – Von T-Shirt Grössen und magischer Schätzung

Vor einiger Zeit habe ich hier auf dem Blog eine kurze Einführung in das Thema „Agiles Schätzen und Planen“ gegeben und als Beispiel das aus vielen agilen „Standardwerken“ bekannte Planning Poker verwendet (siehe hier (Teil 2) und hier (Teil 3)).

Doch in der letzten Zeit hat sich, zumindest für mich, gezeigt, daß sogar diese scheinbar einfache Methode in der Realität für mich oftmals zu schwergewichtig ist und somit nicht die erste Wahl darstellt. Deswegen möchte ich heute noch eine zweite Schätzmethode vorstellen, die ich in letzter Zeit immer häufiger in meinem täglichen Alltag verwende:

Das Schätzen in T-Shirt-Grössen.

Anders als beim Planning Poker wird hier nicht in Zahlen geschätzt (0, 1/2, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 20, 40, 100), sondern stattdessen in Grössenangaben:
S, M, L, XL und XXL

Statt 11 Möglichkeiten der Kategorisierung, wie beim Planning Poker, hat man hier nur deren 5. Das spannende dabei ist aber: Die sind in den allermeisten Fällen völlig ausreichend!

Den Planning Poker ist aus meiner Sicht nicht perfekt:

Im unteren Bereich sind die Karten im Verhältnis noch sehr nahe beieinander (0, 1/2, 1, 2, 3, 5 sind bereits 6 von 11 Karten), im Oberen ist der Abstand dafür teilweise zu groß. Beispielsweise der Sprung von 40 direkt auf 100. Dies führt in der Praxis dazu, daß oft nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Karten wirklich verwendet werden. Dazu kommt, daß die Zahlenreihe eigentlich keinen wirklich sinnvollen Hintergrund hat. Die Erfinder von Planning Poker wollten lediglich auf einer (leicht abgewandelten) Fibonacci-Reihe aufsetzen, um sich von der Konkurrenz abzusetzen und ihre Methode als neu verkaufen zu können.

Getreu dem aus Kanban bekannten Prinzip „Eliminiere Verschwendung“ sollte man sich dann aber ernsthaft überlegen, ob nicht eine Konsolidierung Sinn macht. Für Projekte mit weniger als ca. 100 User Stories würde ich aus meiner aktuellen Erfahrung heraus sagen: Ja!

Richtig interessant wird es für mich vor allem dann, wenn man den Schätzvorgang etwas verändert:

  • Statt im gesamten Team jede Story einzeln durchzugehen und ihr einen Schätzwert zuzuteilen, teilt man sie gleichmäßig auf die anwesenden Personen auf.
  • Jeder schätzt im ersten Durchgang nur noch „seine“ Anforderungen. Visualisieren kann man das am besten, indem man auf einer Tafel o.ä. für jede Größe (S, M, L etc.) eine eigene Spalte anlegt, und die dazugehörige Karte in die entsprechende Spalte platziert
  • Sind alle Karten platziert, so hat nun jeder die Chance, jede Karte umzusortieren, von der er denkt, daß sie falsch beschätzt wurde. Optional kann man hier auch noch einen „Hop Count“ mitzählen: Bei jedem Umplatzieren macht man einfach einen Zählstrich auf die Karte.
  • Dieses Umplatzieren wiederholt man solange, bis alle Anwesenden mit der Klassifizierung leben können
  • Hat man sich für den „Hop Count“ entschieden, so sollte man nun nochmal die am höchsten gezählten Stories durchgehen. Offensichtlich besteht noch Uneinigkeit darüber, wie sie einzuordnen sind. Das sollte man nochmal durchsprechen.

Mithilfe dieser Methode haben wir es schon geschafft, Backlogs von 100 Einträgen in weniger als 20 Minuten zu beschätzen. Für viele grenzt das scheinbar schon an Magie – der Grund, warum dieses Verfahren in der Literatur oftmals als „Magic Estimation“ bezeichnet wird.

Übrigens funktioniert es auch dann, wenn man dem Backlog einen Wert in Euros zuweisen muß (was leider immer wieder mal vorkommt):

Da wir uns ja einig sind, daß alle Items mit demselben Schätzwert in etwa gleich groß sind, nehmen wir nun einfach aus jedem Container die Anforderung, die für uns am leichtesten zu schätzen ist, und rechnen diesen Wert einfach auf die Zahl der Items im jeweiligen Container hoch. Die Summe aller Container bildet dann die Gesamtschätzung.

Ein kleines Beispiel:

Gegeben sei folgende Verteilung von Karten:

S                  M                 L                  XL                  XXL

10                 4                   7                 2                      5

 

Nun greift man sich je eine Anforderung heraus und schätzt diese. Nehmen wir mal folgende Ergebnisse für die Schätzung an (in Euro pro Eintrag):

S                 M                L               XL              XXL

250            500            1000            2000            5000

Das kann man natürlich noch genauer haben, indem man nicht nur 1, sondern 2 oder mehr Einträge schätzt und den Durchschnitt bildet.

Zum Schluß multipliziert man beides um auf die Gesamtbeträge zu kommen:

S             M               L                XL              XXL

2500      2000          7000           4000           25000         =>      Summe: 40500

 

In der Praxis habe ich die Erfahrung gemacht, daß diese Methode, obwohl sie auf den ersten Blick recht primitiv wirken mag, trotzdem recht gute Ergebnisse liefert. Sie ist absolut transparent: Der komplette Berechnungsbasis liegt jedem der Beteiligten offen. Außerdem beruht die Schätzung auf dem Wissen und der Erfahrungen des kompletten Teams – die beste Basis für einen breiten Konsens mit dem sich auch das ganze Team identifizieren kann!

bfi

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