In meinem letzten Artikel habe ich ja angedeutet, daß hinter dem Thema „Software Craftsmanship“ ein eher mittelalterlich inspiriertes Verständnis von Handwerk steht.
Zu einer Handwerksausbildung im Mittelalter gehörte in vielen Berufen auch eine Verpflichtung zur Wanderschaft (schön beschrieben z.B. auf Wikipedia). Gesellen mussten teils für mehrere Jahre auf Wanderschaft gehen, bevor sie sich für die Prüfung zum Handwerksmeister einschreiben konnten. Meistens waren daran auch noch strenge Auflagen geknüpft. So wurde z.B. ein „Sperrgebiet“ um den Heimatort vorgeschrieben, und ein Abbruch der Wanderschaft war nur in genau festgelegten Ausnahmefällen möglich. Im Gegenzug waren viele Zünfte dazu verpflichtet, Gesellen auf Wanderschaft aufzunehmen und ihnen Arbeit zu geben.
Auf diese Art und Weise wurde der Wissensaustausch gefördert, und das Ganze in einer Zeit, bevor Internet, Fax oder sogar das Telefon erfunden war.
Beide Seiten, sowohl der Geselle als auch die ihn aufnehmende Firma, hatten davon einen Vorteil: Der Geselle lernte in verschiedenen Städten und von verschiedenen Meistern, was es ihm erlaubte, in kurzer Zeit viele Aspekte seines Handwerks zu erlernen und zu perfektionieren. Und der ihn aufnehmende Betrieb profitierte von dem neuen Wissen und frischen Ideen, die der Geselle in den Betrieb mit einbrachte.
Und welchen Bezug hat das nun zur Gegenwart?
Ganz einfach: Auch in unserer heutigen Zeit ist Wissensaustausch wichtig. In unserer Branche, der IT, in der sich der Wandel in den letzten Jahren immer mehr beschleunigt hat, vielleicht sogar wichtiger als jemals zuvor!
Die „Software Craftsmanship“-Bewegung hat sich aus diesem Grund nun daran gemacht, das oben beschriebene Konzept der Wanderschaft nun auch in unsere Zeit zu übertragen. Natürlich mit stark abgeschwächten Regeln. Es gibt keine Mindestdauer und auch keine Sperrzonen o.ä..
Es wird jedoch ein ernsthafter Versuch unternommen, eine weltweite Karte von Orten aufzubauen, an denen Software Craftsmen auf der Durchreise willkommen sind. Sei es, um für einige Tage bei einem Unternehmen reinzuschnuppern, einen ortsansässigen Craftsman für eine Coding Session zu treffen, oder sogar eine Unterkunft für die Nacht zu finden.
Wie heute üblich, findet man diese Karte online:
The Software Craftsman’s Guide to the World
Obwohl noch im Entstehen begriffen, finden sich immerhin schon Einträge u.a. aus Deutschland, England, Finnland, den USA, Australien und sogar Indien. Ich finde diese Entwicklung sehr spannend und auf alle Fälle unterstützenswert. Von daher würde ich mich freuen, wenn sich in Zukunft noch mehr Einträge auf der Karte finden.
Vielleicht sogar aus Deutschland?
*Update*
Eine Möglichkeit auf Wanderschaft zu gehen hatte ich ganz vergessen: Craftsman Swaps.
Dabei tauschen 2 Personen einfach für einige Zeit die Plätze. Das Ganze geht zurück auf eine Initiative der beiden Unternehmen „8th Light“ und „Obtiva“ von Anfang 2009. Ziel war es, voneinander zu lernen, neue Einblicke zu erhalten, und nicht zuletzt auch Vertrauen zwischen den beiden Unternehmen zu schaffen. Der originalen Blogpost von Dave Hoover, in dem er das Konzept beschreibt, findet sich hier. Seitdem haben viele dieses Konzept aufgegriffen und ebenfalls Swaps durchgeführt. Ihre Erfahrungen findet man z.B. durch eine entsprechende Google-Suche
Wer das nun für eine gute Idee hält, und sich vorstellen kann, das evtl. sogar selber mal auszuprobieren, kann sich z.B. hier in eine entsprechende Liste eintragen. Den aktuellen Stand der Liste kann man hier einsehen.
Darüber hinaus gibt es seit kurzem auch eine eigene Internetseite, die sich ganz um dieses Thema dreht: http://www.desk-surfing.org/
Aktuell ist diese Seite zwar noch komplett in spanisch. Die Autoren sind jedoch gerade auf der Suche nach Unterstützung für die Übersetzung in andere Sprachen. Wer sich also gerne einbringen will…
bfi
Eine Antwort
Eine perfekte Ergänzung zu diesem Artikel gibt es in IF-Blog. Dort findet man einen wunderbaren Vortrag von Thomas Vallon zum Runterladen und Nachlesen unter Informatik ein Handwerk? Sehr zu empfehlen!