Diskutieren wir angesichts der Krise der Marktwirtschaft die richtigen Fragen?

Von EEM
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Als Ergänzung zu meinem Artikel über die Tauglichkeit der wirtschaftsethischen Theorien möchte ich noch einmal Peter Ulrich zu Wort kommen lassen. In seiner Abschiedsvorlesung bezeichnet der Wirtschaftsethiker in St. Gallen die „gesellschaftliche Einbettung der Marktwirtschaft als Kernproblem des 21. Jahrhunderts“.

Sein Ausgangspunkt ist eine Kritik der neoklassischen/neoliberalen Auffassung, die zur Zeit vorherrschend ist und mit zu der weltweiten Wirtschaftskrise geführt hat. Soziale Interaktionen werden als wechselseitiger Vorteilstausch zwischen homines oeconomini aufgefasst, was theoretisch zu einer win-win-Situation führen soll, die effizient und gerecht sei und individuelle Freiheit garantiere.

Als Problem sieht Ulrich zu Recht, dass die normative Logik des Vorteilstausches nicht identisch ist mit der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit ist, die ja nicht nur den eigenen Vorteil, sondern auch das Wohl, die Würde und die Rechte des Anderen berücksichtigt und anerkennt. Mit anderen Worten: das Marktprinzip kann das vernunftethisch verstandene Moralprinzip nicht ersetzen.

Das Grundprinzip der „unbedingten wechselseitigen Anerkennung“ der Individuen in ihrer Würde und ihrem Status als freie Bürger ist die normative Voraussetzung einer fairen und legitimen Marktwirtschaft. Die gegenwärtige Form der Marktwirtschaft, so Ulrich, muss „zivilisiert“ werden. Er macht das mit folgendem Vergleich klar:

1. Die Ist-Situation: Es herrscht die

Ökonomische Rationalität: normative Logik des Vorteilstausches

d.h.

macht- und interessenbasiert (es zählt, was mir nützt)

d.h.

Interesse an privater Erfolgsmaximierung

d.h.

vorteilsbedingte Kooperation zwischen eigennützigen, wechselseitig desinteressierten Individuen

daraus resultiert

MARKTPRINZIP

d.h.

totale Marktgesellschaft

2. Ulrichs Vorshlag für einen (neuen) gesellschaftlichen Konsens:

Ethische Vernunft: normative Logik der Zwischenmenschlichkeit

d.h.

gerechtigkeitsbasiert (es gilt, was legitim ist)

d.h.

intersubjektive Verbindlichkeiten

d.h.

unbedingte wechselseitige Achtung und Anerkennung der Individuen als Personen gleicher Würde

daraus folgt

MORALPRINZIP

d.h.

„zivilisierte“ Marktwirtschaft

Ich glaube, der Vergleich macht deutlich, in welcher Gesellschaft wir lieber leben würden. Wir müssen uns deshalb fragen, wie wir diesen zivilisierten gesellschaftlichen Zustand erreichen können, wie wir Zwischenmenschlichkeit auch als ökonomischer Richtschnur Geltung verschaffen, statt zu fragen, wie hoch Managergehälter sein dürfen oder ob Banker Boni erhalten sollten.

Ich vermute, es gibt keinen anderen Weg, als bei sich selbst anzufangen: auf das eigene Gewissen hören, im eigenen Unternehmen auf Zwischenmenschlichkeit achten statt zu mobben, beim eigenen Bankberater intersubjektive Verbindlichkeit statt privater Erfolgsmaximierung einzufordern usw.  Das umfasst auch Tätigkeiten in Vereinen, Ehrenämtern und Parteien.

Und wir müssen darüber reden, damit Öffentlichkeit entsteht: in unseren Familien, Unternehmen, Parteien etc. (und Internet-Blogs (:lol: ).

Wir dürfen nicht abwarten, bis unsere Regierungen neue Verhaltensregeln aufstellen, die lediglich dazu führen, dass die Interessenmaximierer Wege suchen, sie zu brechen oder zu umgehen.

EEM

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