Hat die Wirtschaftsethik Antworten, welche die gegenwärtige Krise bewältigen oder zukünftige vermeiden helfen können?

Von EEM
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Neben der populärwissenschaftlichen Managementliteratur hat sich an den Universitäten das Fach „Wirtschaftsethik“ etabliert, das allerdings von den Wirtschaftswissenschaften weitgehend vernachlässigt wurde. So bieten führende Institute wie die EBS oder Fakultäten wie an den Universitäten in Mannheim und Frankfurt erst jetzt „Wirtschaftsethik“ als Pflichtkurs für zukünftige Führungskräfte der Wirtschaft an. Hier ein kurzer Überblick über eine ältere, immer noch aktuelle, und drei zeitgenössische Positionen:

1. Gerhard Weisser:

Im deutschsprachigen Raum hat der Ökonomismus mit Gerhard Weisser bereits in den frühen dreißiger Jahren einen leidenschaftlichen Kritiker gefunden, der die drei Themen „industrielle Dimension“, „Marktaspekte“ und „Verlust von Normen“ in den politischen Raum überführt und philosophische Reflexion anmahnt.
Weisser umschreibt „Ökonomismus“ als eine „weit verbreitete Meinung“, die „glaubt, daß die Postulate zur Gestaltung des Wirtschaftslebens aus unserem Wirtschaftsdenken gewonnen werden können und müssen“. 1953 kritisiert er den Anspruch des Ökonomismus, eine „Ersatzethik“ zu sein.

Er führt aus, dass Ökonomismus vorliege, wenn unreflektiert von „wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ als Handlungsanleitung gesprochen werde, wenn aus den Gewinninteressen eines Betriebes der Wert eines guten Betriebsklimas abgeleitet werde. Handelt ein Unternehmen, das Gewinnmaximierung anstrebt „ökonomischer“ als eines, das dieses Ziel nicht teilt? Soll es überhaupt auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Wirtschaftgebilde geben oder nicht? Man könne es in einem nationalökonomischen Modell mit viel Erkenntnisnutzen unterstellen, doch es dürfe kein Dogma sein, wenn wir „in den Raum des aktiven Gestaltens des sozialen Lebens treten“.

„Ökonomismus ist, wenn Nationalökonomen meinen, es gäbe eine ‚besondere wirtschaftliche Gerechtigkeit’, die sich irgendwie von der Gerechtigkeit, die sonst für das soziale Leben gilt, unterscheidet. Das heiße, dem Wirtschaftsinteresse werde die Rolle eines Interesses zugeschrieben, das unser Handeln unmittelbar aus sich heraus bestimme.

Weissers Kritik wirft die Fragen auf, die zur Entstehung und Ausdifferenzierung des Faches „Wirtschaftsethik“ geführt haben. Deshalb sollen kurz drei Modelle angeführt werden, wie sich die drei Hauptrichtungen der modernen Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum auch als Auseinandersetzung mit den Thesen Weissers interpretieren lassen.

2. Karl Homann

Karl Homanns „Normative Ökonomik“ ist eine „Moralbegründung aus Interessen“. Die marktwirtschaftliche Ordnung mit dem Tausch von Gütern und Dienstleistungen ermögliche die Realisierung von Kooperationsgewinnen, die im Interesse aller beteiligten Akteure liege. Den Akteuren sollen keine anderen Rationalitätsansprüche zugemutet werden als die kluge Verfolgung ihrer Partikularinteressen. Sie sollten von Moralansprüchen möglichst restlos entlastet werden: Die Strukturen des Wirtschaftssystems könnten die „ethische“ Interessenharmonisierung leisten.

Der „Wohlstand als Ermöglichung der Freiheit aller“ gilt ihm als das erwünschte Ziel aller Mitglieder in einer Gesellschaft. In der Konsequenz sieht er „Ökonomik als Ethik mit anderen Mitteln“. Dabei ist der Staat mit seiner Rechtsordnung die Bedingung für die Möglichkeit moralischer wirtschaftlicher Interaktionen. „Der systematische Ort der Moral in einer Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung“. Moralisch handelt, wer sich systemkonform verhält, wer die Effizienz in den Spielzügen und die Moral in den Spielregeln beachtet.

„Wirtschaftsethik (bzw. Unternehmensethik) befasst sich mit der Frage, welche moralischen Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft (von Unternehmen) zur Geltung gebracht werden können“. Es handelt sich um eine funktionalistische Wirtschaftsethik.

3. Peter Koslowski, Steinmann/Löhr

Koslowskis und Steinmann/Löhrs Konzeption von „Wirtschaftsethik als angewandte Ethik“ (auch „Business Ethics“ im angelsächsischen Raum) betrachtet die Wirtschaftssphäre als moralfrei. Koslowski geht sogar so weit, dass er meint, ein „vollkommener Markt“ mache Ethik überflüssig. „Ethik ist bei vollständiger Konkurrenz überflüssig“. Da diese im wirklichen Leben nicht vorkomme, müsse „Ethik als Korrektiv von Ökonomieversagen“ (Marktversagen) eingefordert werden. Es sollen also von außen ethische Gesichtspunkte „unter den Bedingungen der Marktwirtschaft“ zur Geltung bzw. Wirkung gebracht werden.

„Im Unterschied zum Ansatz der normativen Ökonomik werden diese ‚Bedingungen’ im Konzept ‚angewandter’ Ethik aber nicht (oder zumindest nicht bewusst) normativ idealisiert, sondern bloß als empirische Möglichkeitsbedingungen bzw. -grenze des moralischen Handelns von Wirtschaftsakteuren aufgefasst und in ihrer normativen Tiefenstruktur gerade nicht reflektiert.“

Das führt methodisch zu einer Affirmation des bestehenden Wirtschaftssystems. Die von Weisser kritisierten ökonomistischen Sachzwangargumente werden vorgebracht, z.B. in der Form, dass das unternehmerische „Gewinnprinzip“ – im Sinne einer Norm der Gewinnmaximierung – „auf Unternehmensebene nicht zur Disposition“ stehe. Mit der Forderung von „Ethik als Korrektiv von Ökonomieversagen/Marktversagen“ unterstreichen auch Steinmann und Löhr die Vorstellung von einer korrektiven Wirtschaftsethik.

4. Peter Ulrich

Mit seiner St. Gallener „integrativen Wirtschaftsethik“ beschreitet Peter Ulrich einen dritten Weg zwischen den beiden konventionellen Ansätzen von Wirtschaftsethik als „angewandter Ethik“ einerseits und (angewandter) „normativer Ökonomik“ andererseits. Er versteht sie als eine philosophische Vernunftethik des Wirtschaftens, die das Verhältnis zwischen den beiden konkurrierenden normativen Handlungsorientierungen klären will: Der normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit, wie sie die moderne Vernunftethik expliziert und der normativen Logik des wechselseitigen Vorteilstausches unter strikt eigeninteressierten Individuen andererseits, wie sie die Ökonomik als ebenso allgemeine Rationalitätsperspektive sozialer Handlungskoordination entfaltet.

Er zielt auf eine ethisch integrierte Idee vernünftigen Wirtschaftens im Kontext einer wohlgeordneten Gesellschaft freier und gleicher Bürger. „Es kommt also darauf an, die ökonomische Rationalitätsidee dahingehend zu erweitern, dass sie die ‚rationale’ Legitimität als konstitutive vernunftethische Bedingung schon einschliesst. Damit ist bereits die grundlegende Orientierungsidee für die ethische Integration der ökonomischen Rationalität gewonnen.“ Der Integrationspunkt wird diskursethisch grundgelegt:

„Als sozialökonomisch rational kann jede Handlung oder jede Institution gelten, die freie und mündige Bürger in der vernunftgeleiteten Verständigung unter allen Betroffenen als legitime Form der Wertschöpfung bestimmt haben (könnten)“.

Unter Bezug auf Weissers Ökonomismus-Kritik formuliert Ulrich:

„Die drei grundlegenden Erscheinungsformen des Ökonomismus bilden die Verselbständigung der ökonomischen Rationalität, die Verabsolutierung des Kosten/Nutzen-Denkens und die normative Überhöhung der Logik des Marktes zu einer falschen Totalität mit latent ideologischem Charakter“.

Ulrichs Ansatz ist eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem herrschenden Ökonomismus. So scheut er sich auch nicht, die von Weisser angesprochene Frage nach der Sinnfindung zu stellen:

„Sinnfindung ist eine Aufgabe der persönlichen Lebensführung im Lichte eines reflektierten Entwurfs des guten Lebens, der jedoch eine Konzeption des gerechten und solidarischen Zusammenlebens in einer Sinngemeinschaft einschliesst“.

Der „Sinn der Sinnfrage des Wirtschaftens“ liegt darin, den ökonomistischen Zirkel zu durchbrechen, und ihm „eine prinzipiell instrumentelle Sicht der Wirtschaft aus dem Blickwinkel der Lebenswelt entgegen“ zu halten: „Die Wirtschaft ist stets nur ein Mittel im Dienste höherer, buchstäblich vitaler Zwecke“. Kriterium allen ökonomischen Handelns ist die „Lebensdienlichkeit“.

EEM

7 Antworten

  1. Homanns Ansatz ist sicherlich nicht in der Lage, die aktuelle Krise zu bewältigen. Homann ruft den Managern, die ihre Firmen ausbeuten, ein „weiter so!“ zu, schon die geringste Abweichung vom maximal erreichbaren NP-Value ist nach Homann „unzumutbar“ und damit keine ethisch zulässige Forderung. Eine perverse Vorstellung…
    Aber abgesehen davon hakt auch das Konzept etwas, denn es nimmt an, dass sich die wirtschaftlichen Akteure bei aller Eigennutzorientierung immer noch an die Gesetze halten – denn in diesen, der Rahmenordung, ist ja der systematische Ort der Moral“. Jedenfalls nach Homann. Das würde aber bedeuten, dass entweder den Akteuren doch eine Rest-Moral innewohnt, die sie dazu bewegt, dass sie die Gesetze einhalten, oder aber, dass die Gesetze zu 100% durchgesetzt werden können bzw. durch Strafbewehrung den Akteuren absolut zuverlässige Handlungsanreize liefern. Das Erstere ist inkonsequent, das Zweitere unrealistisch.
    Zudem fehlt eine plausible Erklärung, woher die Moral in die Rahmenordnung einfließen soll. Die Rahmenordnung wird von einzelnen Akteuren (Politikern) geschaffen, denen man eine moralische Orientierung jenseits von Nutzenmaximierung unterstellen müsste. Und ihre Wahl durch andere Akteure, die nur am Eigennutzen orientiert sind, ist auch zweifelhaft. Insbesondere, wenn Wirtschaftsakteure über Lobbying die Rahmenordnung beeinflussen können, wird diese kaum effizient (und um Effizienz geht es bei einem ökonomischen Ansatz der Ethik) sein.

    Das Gesetz ist zudem immer defizitär, deckt aktuelle Entwicklungen nicht ab, wird von unvollkommenen Menschen geschrieben – diese Lücken lassen sich nur durch moralische Gesinnung bei dem einzelnen Wirtschaftsakteur decken. Der einzelne Akteur muss bereit sein, auf Gewinnmaximierung zu verzichten, wenn diese unmoralisch ist. Und das ist, solange die Gewinne existenzsichernd sind, auch zumutbar.

    Im Moment zeichnet sich gerade ab, dass die Politik zwar willens ist, die Rahmenordnung zu ändern. Ankündigungen gab es viele. Aber zugleich wird die Spekulation gleich wieder angeheizt, sei es durch billiges Geld durch die EZB, durch Abwrackprämien oder durch den „Green New Deal“.

    Die St. Gallener Richtung scheint aber auch nicht mehr völlig auf den aufgeklärten Wirtschaftsakteur, der nicht ausschließlich die Eigennutzenmaximierung verfolgt, zu vertrauen. Ich weiß nicht, ob es Ulrich war, aber aus St. Gallen kam vor kurzem der Gedanke, Betriebe, die sich weigerten, dem Gemeinwohl zu dienen, in genossenschaftsähnliche Unternehmen zu überführen. Damit wäre dann doch ein ganz starker Anreiz zu gemeindienlichem Verhalten gegeben, auch wenn Ulrich ansonsten Anreizorientierte Steuerungsinstrumente wie variable erfolgsabhängige Vergütung tendenziell ablehnt. Mal sehen, ob in der integrativen Ethik nicht demnächst doch ein Wandel zu effizienterer Ausrichtung der Rahmenethik auch wider den Willen einzelner Individuen aufkommt.

  2. Lieber Enno,
    vielen Dank für den Kommentar. Ich bin völlig Ihrer Meinung, was Homann anlangt. Die Moral sucht er übrigens im katholischen Glauben. Schön, wenn er sie dort findet – aber für die Wirtschaft taugt diese Suche nicht. Ich bin mehr auf der St. Gallener Seite bei Ulrich. Aber ich bedaure, dass diese renommierte Hochschule noch nie eine empirische Überprüfung dieser Theorie vorgenommen hat. Das Geld und die technischen Mittel müssten sie haben.

  3. Hallo zusammen,

    keine Frage: die Wirtschaftsethik hat bisher zu wenig dazu beigetragen, die Frage, was die Ethik überhaupt zur Wirtschaft beitragen kann, hinreichend zu klären. Zwar existieren diverse Modelle mit mehr (Ulrich) oder weniger (Homann) anwendungsorientierten Thesen. Im Grunde aber ist die Wirtschaftsethik bisher über die Funktion des Beobachters nicht hinaus gekommen – Gestalter müsste sie sein!
    An diesem Punkt versuche ich mit meinem Buch „Das Menschenbild in der Ökonomie – Reflexionen über eine moderne Wirtschaftsethik und deren Chancen in der realwirtschaftlichen Praxis“ anzuknüpfen. In diesem Positionspapier ergründe ich die Frage, welche Rolle die Wirtschaft in der Gesellschaft eigentlich spielt und wie das Erfolgsstreben des Einzelnen und die Interessen der Allgemeinheit in Einklang gebracht werden können.
    Neben der Schaffung angemessener „institutioneller Arrangements“ (also der Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass das individuelle Streben auch der Allgemeinheit zu Gute kommt) sehe ich hier vor allem das Individuum in der Verantwortung. Kurz gesagt: wir kennen doch unsere moralischen Überzeugungen – nur treten wir zu wenig für deren Umsetzung ein. Möglicherweise, weil wir denken, die Wirtschaft sei ein in sich geschlossenes System, welches nach anderen als den uns bekannten Prinzipien beurteilt werden müsse. Das ist ein zentraler Fehlschluss in der Debatte um die Möglichkeiten der Wirtschaftsethik. Vielleicht kann mein Buch dazu beitragen, diese Missverständnisse aufzuklären.
    (Mehr zum Buch unter: http://www.moderne-wirtschaftsethik.de)

    Gruß, Stefan.

  4. Finde diesen Artikel ausserordentlich interessant.

    Der Ausgangspunkt ist Wirtschaftsethik, was zu implizieren scheint, dass die Wirtschaft ein Raum ist, in dem eine andere Ethik erforderlich sein könnte als im normalen Lebensraum.

    Im letzten Absatz verweist die Autorin schliesslich auf „Lebensdienlichkeit“, das heisst auf die ganz allgemeine Ethik menschlichen Verhaltens. Das ist genau der Punkt, es gibt keine spezielle Ethik des Wirtschaftens.

    Seit es Menschen gibt wird gewirtschaftet, seit gewirtschaftet wird gibt es Konkurrenz um rare Ressourcen.

    Wie sagte schon Cicero in „Catilina Coniuratione“: Omnis homnis sese student praestare ceteris animalibus…

    Also Leute, hört auf mit der Theorieserei um Wirtschaftethik und denkt darüber nach, wie wir uns anständig verhalten können. Der Rest ist dann ein Selbstläufer…!!??!!

  5. Mehr Werteorientierung in der Marktwirtschaft.
    Ein Plädoyer für das richtige Maß. Für eine Marktwirtschaft mit Respekt vor Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Respekt vor Kindern und Enkelkindern.
    Ethisch, moralisch – frei, fair und gerecht, bei der sich Engagement und Anständigkeit auszahlt. Und: Ohne Auswüchse und Maßlosigkeit, ohne Unmäßigkeit zum Schaden Dritter oder zum Schaden des Lebensraums für alle Geschöpfe.
    Dafür braucht es globale und effektive Regeln. Denn die den Menschen innewohnende Gier – Gewinnsucht und Ausbeuterei – ist überall und erfindungsreich. Für diese Regeln müssen die Staaten und die Staatengemeinschaft sorgen – ohne Wenn und Aber und mit entsprechenden Sanktionen, wenn diese Regeln gebrochen werden.
    Wenn Geld fließt, muss es eine nachweisbare Leistung dafür geben. Abgekartete Spielchen dürfen sich nicht auszahlen. Zigmillionen Transfergelder für Mannschaftssportler, Vermittlungsprovisionen, Beraterhonorare, Schmiergelder im Dunstkreis politischer Entscheidungen und für das Zocken von Investmentbankern, lassen jede Verhältnismäßigkeit vermissen. Sie sind eine Verhöhnung von Leistungsgerechtigkeit, von Menschen welche mehrere Leben lang hart arbeiten müssten um diese Summen zu verdienen.
    Es muss Schluss sein mit der Verhaberung, dem gegenseitigen Zuschaufeln von lukrativen Aufträgen im politischem Umfeld, mit Managergehälter vom 100-fachen der Mitarbeiterlöhne, mit den Millionen-Boni für Investmentbanker, mit Managern – welche über mehr Macht verfügen als Regierungen und mit zu großen Banken und Multis, deren Zusammenbruch ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund reißen kann.
    Und es muss Schluss sein mit dem Leerfischen der Meere, dem Raubbau an der Natur und an den Ressourcen, den zig-tausenden Transportkilometern für Nahrungsmittel – welche um die Ecke wachsen, den Megaeinkaufszentren auf der grünen Wiese und dem Vernichten der Lebensqualität in den Städten, den Megastaus eines ausufernden Individualverkehrs und dem stundenlangen Pendeln zum Arbeitsplatz.
    Dass die ungezügelte freie Marktwirtschaft mehr Wohlstand für die Menschheit bringt, ist ein Märchen. Auch dann, wenn es bei kurzfristiger und kurzsichtiger Betrachtung Beispiele dafür gibt. Der globalisierte Größenwahn führt ins Abseits.
    Schon Aristoteles meinte, dass es der Sinn des Lebens sei, ein gutes Leben führen zu können – in einer menschlichen Gesellschaft, die von Respekt und Anerkennung geprägt sei. Einer Gesellschaft, die überschaubar sei von der Größe her, vernünftig gestaltet und von verantwortbaren Entscheidungen geprägt.
    Auch der Philosoph Leopold Kohr plädierte für „überschaubare Einheiten“ und „Die Lehre vom rechten Maß“. Wo nicht mehr das Individuum im Mittelpunkt steht, sondern der statistisch erfasste Durchschnittsmensch, ist ein gutes Leben, im aristotelischen Sinne, nicht möglich. Je größer ein Staat oder eine Organisation ist, desto größer wird die Macht der Masse und ihrer Gesetze, und desto stärker sind Kreativität und Freiheit des Einzelnen eingeschränkt. Es geht um das menschliche Maß, um die „Überschaubarkeit“. „Alles, was zu groß wird, vernichtet die Natur“, meint Leopold Kohr.
    Aber, auch die „kleine Einheit“ ist keine Insel der Seligen: Der Vorteil ist nur der, dass auch die Dimension der menschlichen Misere verkleinert wird.
    Es entsteht auch im Kleinen keine leidensfreie Welt, aber eine erträglichere Welt. Und nicht zuletzt verweist das Plädoyer fürs „menschliche Maß“ auch auf die Tatsache, dass nur in „überschaubaren“ Einheiten der Einzelne Verantwortung für sein Tun übernehmen und zugleich verantwortlich gemacht werden kann.

    http://www.h-eureka.com – Die website über Ethik, Moral und Qualität in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

  6. Leider können wir den Trend zur höheren Komplexität und Größe der (Wirtschafts-)Systeme nicht aufhalten. Damit entfallen auch weitgehend Regeln als Steuerungsinstrumente, weil sie der Komplexität immer hinterher hinken, wie die jetzige Krise zeigt.
    Ich bin deshalb auch der Meinung, dass das Individuum, also jeder von uns, dafür sorgen muss, dass seine Handlungen verantwortet und sozialverträglich – also werteorientiert – sind.
    In der Praxis erhebt sich aber leider die Frage, was diese Werte sind und wer sie vermittelt und vorlebt. Es scheint so, als könne eine Ein-Kind-Familie nur begrenzt Kinder zu nicht-egoistischem Verhalten sozialisieren und als seien Schulen mit großen Klassen (15 und mehr Schüler)und hohem Anteil von Schülern mit anderen kulturellen Hintergründen dazu nicht hinreichend in der Lage. Die Wirtschaftswissenschaften tragen mit ihrer Focussierung auf Effizienzsteigerung auch nicht zu moralischerem Handeln bei.
    Dann bleibt der öffentliche Diskurs als Instanz zur Wertevermittlung. Und da frage ich mich, ob dort zur Zeit eine zielführende Debatte geführt wird. Wir sollten nicht nur über das reden, was uns eventuell mißfällt (Neid, Boni, Managergehälter etc.), sondern über das Ziel, das wir gemeinsam (wieder??) anstreben. Ich stelle einen Absatz aus Peter Ulrichs Abschiedsvorlesung in den Blog, der mir zumindest eine zutreffende Ist-Analyse und eine mögliche Richtung vorzugeben scheint.

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