Das Thema ist viel älter als die Wirtschaftswissenschaft.
Seine zentrale Bedeutung für die Wirtschaftspolitik wurde bereits 1817 in der Korrespondenz von Malthus an Ricardo unterstrichen. Besonders heute, unter den drohenden Wolken der Krise, entzünden sich in Medien, in Kneipen, auf Partys, emotionsgeladene Diskussionen um den immer tiefer werdenden Graben zwischen Arm und Reich.
„Reichtum entsteht auf Kosten der Armen“ ist hier als Stammtischposition umso vertretbarer, da die Reichen ohnehin immer die Anderen sind. So wird eigene Verantwortung von vornherein ausgeschaltet und der political correctness Genüge getan. Das ist fruchtbarer (oder furchtbarer?) Boden für allgemeinen Konsens. Klima, Geographie, Rohstoffquellen, Bevölkerungsdichte als sprudelnde Quellen des Wohlstands, sind in der einschlägigen Literatur hinreichend abgehandelt worden. Im Angesicht der Vielzahl von Faktoren sind sich alle zumindest einig, dass eine monokausale Erklärung nicht möglich ist.
Landes setzt einen weiteren Stein ins Mosaik: Eine Welt-Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 600 Jahre. Auf 530 Seiten erzählt Landes die lange, unglaublich spannende, hochprozentig unterhaltsame Entwicklung von Wertschöpfung, gesellschaftlicher Organisation und Bewusstseinsbildung, genutzten Opportunitäten und achtlos verschwendeten Potentialen. Er erweist sich dabei nicht nur als brillanter Wirtschaftswissenschaftler sondern auch als talentierter Entertainer und geübter stilsicherer Schriftsteller.
Die Ökonomie kommt nicht daher als unverdauliche Sammlung von Zahlen und Daten, von Kurven und Diagrammen sondern als Geschichte, die aus Geschichten besteht. Der Autor zeigt beeindruckend, dass die kulturelle Grundausstattung einer Gesellschaft die treibende Kraft in Richtung von Leistung und Wohlstand ist. Aberglauben, Magie, Kastenwesen, religiöse Intoleranz, Unterdrückung von Aufgeschlossenheit und Unternehmergeist gebären nur Stagnation und Rezession. Institutionalisierung von Freiheits- und Vertragsrechten, Förderung von geographischer und sozialer Mobilität, Neugierde, Erfindergeist, Fleiss, Geduld und Toleranz sind die Marksteine auf dem Weg in den Wohlstand.
Die Beweisführung ist detailreich, inspiriert, durchdacht. Die Erfindung der Brille im Mittelalter verdoppelte das Arbeitsleben der Handwerker und führte letztlich zur Entwicklung der Feinmechanik, die Erfindung von air conditioning favorisierte die ökonomische Blüte des „New South“ in den USA, Essen mit Stäbchen ist ein ideales Geschicklichkeitstraining für Chinas Handwerker… Die Fülle an Beispielen ist ebenso reichhaltig wie faszinierend und lehrreich.
Das Buch ist streitlustig und provozierend, mutig bekennt sich der Autor zu Eurozentrismus und Neoliberalismus aber auch zu harter Arbeit und „wachem Optimismus“ („Pessimismus bringt nur den leeren Trost Recht zu haben.“). Das Schlusswort ist ein schmerzhafter Schlag vor den Latz unserer Spassgesellschaft:
„Natürlich leben wir in einem Dessert-Zeitalter: Alles soll süss sein. Zu viele von uns arbeiten, um zu leben, und leben, um glücklich zu sein. … Wenn man allerdings hohe Produktivität will, dann sollte man leben, um zu arbeiten, und das Glück als einen Nebeneffekt nehmen.
Das ist nicht leicht. Menschen, die leben, um zu arbeiten, sind eine kleine und glückliche Elite. Eine Elite indes, die Neulingen offen steht, … , die eines gemeinsam haben: Die Betonung des Positiven.“
So dachten wohl auch viele unserer Väter.
Als altem 68ziger tut mir das verdammt weh. Der Franzose sagt: „Allein die Wahrheit schmerzt.“
Einigen Leuten über 30 hätten wir wohl doch trauen sollen!
Unbedingt lesen!!!
Herzlichen Dank an all meine treuen Leser. Ich mache jetzt Schreiburlaub und melde mich wieder am 6.9. 09.
HPK
Eine Antwort
Very nice, but I want to make two comments.
In Europe and USA, it is doubtful whether the gap between rich and poor is increasing. The current crises has increased unemployment, but has also destroyed savings.
The gap between the richest and poorest countries may be increasing, but unless we get to grips with the resource problems, this cannot continue. Also China was very poor, but is catching up.
Superstition is perhaps not bad!
I heard that a Chinese girl reacted to an eclipse by wishing to get to a good university. It seems strange, but her superstition about eclipses may help her to get well educated, (by concentrating her ideas).
Also, I have read that religious people are more successful than agnostics.