VII. Mongolei 10.6.09 – 14.6.09
Ulaan Baator
Zur frühen Morgenstunde sind die Strassen menschenleer, keine streunende Katze, kein müder Hund.
Der Taxifahrer hat einige Probleme unser Hotel zu finden. Verständlich, inmitten von ungeputzten Fassaden einer verkommenen Wohngegend. Vor einer vergessenen Baustelle, deutet er schliesslich auf ein kleines Schild: Sun Hotel.
Sun Hotel steht auch auf unserer Reservierung aber „No it’s impossible“. „Yes it’s possible“, als wir die Bauruine umrunden, stehen wir vor einem Hoteleingang.
Tatsächlich ist die Adresse bedeutend besser als sie aussieht, wir beziehen ein grosses Zimmer mit zwei king size Betten, Minibar, TV mit 48 Kanälen, Bad, Dusche, Klimaanlage…
Mangels Kunden ist das Restaurant nicht geöffnet, der Room Service wird uns Frühstück bringen. Etwas später hören wir unsere Tabletts die Treppe herunterscheppern, Porzellan zerspringt in tausend Stücke. Das Telefon klingelt: “Solly Sil we bling bleakfast latel“.
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Ulaan Baator ist eine Wundertüte systemloser Urbanisierung. Um Örgön Chölöö (Peace Avenue), die Hauptgeschäftsstrasse und den monumentalen Regierungspalast, ein marmornes Denkmal an Dschingis Khan, gruppieren sich sowjetische Wohnblocks, bröckelnde Bauruinen, gläserne Türme, staubige Parks, glänzende Neubauten, geflickte Reihenhäuser, schmucklose Ziegelbauten, neoklassische Fassaden. Neben riesigen Kaufhäusern ducken sich winzige Läden.
Das Stadtbild ist ein heilloses, unentwirrbares Durcheinander von Gegensätzen, alt und neu, hässlich und schön, arm und reich, riesig und winzig, fremd und vertraut.
Im Gegensatz zu den griesgrämigen Russen, Lächeln kommt nur von Frauen, die Geld wollen, sind die Mongolen ein lebenslustiges Völkchen.
Im bajuwarischen Ambiente des Dschingiss Club drängen sich, Abend für Abend, Männlein und Weiblein an Tresen und Tischen. Rauchschwaden und Bierdunst hängen schwer in der Luft, die Schweinshaxen sind riesig. Stolz verkünden die Bierdeckel, „Entspricht dem deutschen Reinheitsgebot.
Bei Nomaden
Schleppend kämpft sich unser Toyota durch den knüppeldicken, heillos chaotischen Verkehr der Vororte Ulaan Baators. Die pockennarbigen Fassaden der Wohnburgen aus sowjetischer Besatzungszeit weichen dicht aneinander stehenden Jourten und wackligen Holzhäusern, dann öffnen sich die Tore der Steppe.
Kein Baum, kein Strauch soweit das Auge reicht, das Spektrum ist reduziert auf himmelblau und grasgrün, leise atmet der Wind. Gleich hellgrauen Bojen schwimmen die Jourten einsam im uferlosen Meer der wogenden Hügel des Weidelandes.
Die Enge der Behausung ist krasser Gegensatz zum endlosen Lebensraum. Durch eine Luke in der stoffumspannten Filzwand gelangen wir in den kreisrunden Innenraum von etwa 20m2 Grundfläche und maximal 2m Höhe unter dem Dachgiebel. Reich bemalte Kommoden, Truhen und Betten, an der Wand aufgereiht, gruppieren sich um den gusseisernen Herd im Zentrum. Hier ist der Wohn- und Schlafraum für drei Generationen einer achtköpfigen Familie, zusätzlich 2 Touristen und ein Führer in den kommenden Tagen und Nächten. Geborgene Enge in unsondierbarer Weite…
Das penetrante Aroma von geronnener Ziegenmilch frisst sich in unsere Geruchsnerven. Ein blinder Fernseher ist einziges Fenster zur Aussenwelt. Der Klanälteste kredenzt Ziegenmilch mit Tee und salzlosem Brot. Die fliehenden Blicke der Familie verraten wortkarge Neugier.
Die Herden bestimmen den Tagesablauf. Sie grasen in freier Wildbahn. Ein drahtumzäunter Kral dient dem allabendlichen Auftrieb.
150 Ziegen, 100 Schafe, 20 Pferde und eine Handvoll Kühe sind Nahrungsquelle, Reichtum und Sinn des Nomadenlebens. Bestandsaufnahme, Suche nach verlaufenen Tieren, Auskämmen des Kaschmirs aus den Ziegenbärten, Pflege von Kranken und Verletzten wiederholen sich mit der beruhigenden Regelmässigkeit stressfreier Routine.
Die Kleidung entspricht den prosaisch fantasielosen Standards globaler Prägung.
Die Ernährung ist eintönig, Milchprodukte tagaus tagein, hin und wieder Fleisch, man schlachtet selten. Obst, Gemüse, Mehl und Kohlehydrate müssen mit einem klapprigen Nissan aus der Stadt geholt werden. In der baumlosen Welt ist getrockneter Kuhdung einziger Brennstoff für Küche und Heizung. Wasser ist Mangelware, bis zum Brunnen sind es 2km.
Auf Hygiene, besonders Zahnpflege wird peinlich geachtet.
Praktische Hinweise
* Logis
Sun Hotel
„Baga toiruu“ 64, Ulaanbaatar, Sukhbaatar district
Lassen sie sich durch die finstere Umgebung nicht beeindrucken. Das Stadtzentrum ist in unmittelbarer Nähe und die Gegend völlig ungefährlich. Für 60 USD pro Nacht eine sehr gute Adresse. Im Internet zur Zeit nicht auffindbar.
* Transport
Keine nennenswerten öffentlichen Verkehrsmittel.
Taxi ist jedes beliebige Auto, das bei Winken am Strassenrand hält. Eine Stadtfahrt 1,50€. Unwissende zahlen bei Ankunft am Bahnhof das zehnfache und zwar nach harter Verhandlung.
* Restauration
Ein riesige Grillplatte im besten Restaurant Ulaan Baators „Modern Nomads“ kostet 10€, woanders isst man für weniger als die Hälfte.
Das lokale Bier ist hervorragend, etwa 1,50€ für 0,5l.
* Nomaden
2 Tage und Nächte bei echten Nomaden kosten 75 € pro Person inklusive Führer, Fahrer und Vierradantrieb.
HPK