Martha war ein Luder! Alle wussten es – auch der Hermann!
Als Jüngster hatte er aber den Bauernhof übernehmen müssen! Es war der größte Hof in L., leider heruntergekommen und verschuldet.
Hermanns Geschwister waren froh, dass er sich dazu durchgerungen hatte, von ihnen hätte niemand den Hof gewollt: Franz war lieber Tischler im benachbarten W., und Klara und Maria, heirateten auf andere, besser geführte Höfe in der Umgebung. Für diese Bauern waren sie echte Glücksfälle, welche Frau wollte denn noch Bäuerin werden?
Martha auch nicht!
Sie heiratete Hermann aber trotzdem, schließlich war sie schon etwas abgegriffen und hatte einen unehelichen Sohn, der bei einer Tante lebte.
Hermann war stolz wie ein Pfau, dass Martha ausgerechnet ihn wollte. Nie im Leben hätte er das für möglich gehalten…
Immerhin hatte er ihr ja einen Bauernhof zu bieten!
Marthas Vater war Dachdecker gewesen und ihre Mutter hatte darauf geachtet, dass für ihn immer ein kräftiges Essen bereitstand, wenn er abends abgearbeitet heim gekommen war. Trotzdem war er eines vormittags, infolge einer winzigen Ungeschicklichkeit, von einem der steilen Kirchendächer gefallen.
Fortan musste Marthas Mutter durch Putzen und Kochen für andere, ihre Tochter, die sich immer mehr zu einem hübschen, drallen Ding auswuchs, alleine durchbringen.
Martha schwor sich, einen Mann zu heiraten, der mehr hatte als ihr Vater, der ihr etwas bieten konnte, sie wollte nicht wie ihre Mutter anderer Leute Dreck wegmachen müssen.
Vielleicht wirkte Martha gerade deshalb auf Hermann so anziehend, weil sie weder wie eine Bäuerin aussah noch eine werden wollte?
Ihre Haut war samtig und hell und zeigte im Gesicht nicht die üblichen bäuerlichen Frostflecken, die beim Tanzen aufglühten.
Sie verstand sich herauszuputzen und hätte auch in der Stadt als Verkäuferin arbeiten können; oder in einer Bar.
Über die ständige Verkündigung, dass er sich aus ihr gar nichts mache, übersah Hermann, trotz der Warnung seiner Geschwister und weniger Freunde vermutlich den entscheidenden Moment, denn für alle überraschend, stand er eines Tages, ausgerechnet während der Erntezeit, mit Martha vor dem Traualtar!
Vom ersten Tag an machte sie ihrem, nicht wirklich erstaunten Hermann klar, dass sie nicht im Traum daran dachte für ihn die Bäuerin zu spielen.
Sie hatte andere Pläne und sorgte dafür, schleunigst ins Grundbuch eingetragen zu werden, um endlich den Kredit von der Sparkasse in W. zu bekommen, den sie für den Einstieg in die erste Bar in W. benötigte!
Ihr Berater aus der Sparkasse hatte ihr in sehr persönlichen Gesprächen die Goldgrube aufgezeigt, die ein Freund von ihm mit der Bar gerade entwickelte, und an der sie sich beteiligen könnte, wenn sie die Sache mit ihm und der entsprechenden Power anginge und sich nicht von ihrem ewig müden Hermännchen dreinreden ließe. Der Bauernhof als Sicherheit machte alles möglich!
Allerdings nicht lange, dann war der Bartraum ausgeträumt!
Aber Martha hatte vorgesorgt und einen Notgroschen abgezweigt.
Und Dario, den sie in der Bar kennengelernt hatte, zeigte ihr, was sie mit dem Geld in Südspanien anstellen konnte.
Da Hermanns schäbiger Bauernhof nie das von ihm vorgegaukelte Geld abgeworfen hatte, geschah ihm nur Recht, wenn er jetzt auf den aufgelaufenen Schulden sitzen blieb.
Ihre Zeit wär ihr zu kostbar, so einen Versager könnte sie nicht brauchen, sagte sie zu Hermann, der zu allem wie immer schwieg und dampfte in einem alten Mercedes vom Hof, auf dem es schon lange keine Schweine und Kühe mehr gab und selbst das Heu und Stroh in der Scheune längst verkauft war…
Im innersten seines Herzens stimmte Hermann Marthas Einschätzung sogar zu, wenngleich ihr Weggehen – ihn zeriss!
Ohne nachzudenken arbeitete Hermann noch mehr, ruinierte sich die Hüfte und das rechte Knie, das immer schon weh getan hatte – und schwieg weiter…
Seine Schwester Klara kam gelegentlich vorbei, wusch ihm die Wäsche, putzte die Küche und zweimal im Jahr die Fenster in der Schlafkammer und der Stube…
Und dann – stand Martha nach dreiundzwanzig Jahren – an einem Abend im Advent plötzlich wieder in dieser Stube…
Ausgetrocknet wie ihre bereits tote Mutter!
„Grüß dich Hermann!“
Hermann lag auf dem Sofa vor dem Fernseher, schaute kurz zu ihr hin, nahm einen langen Schluck aus einer der Bierflaschen, die griffbereit am Boden neben dem Sofa standen und fixierte den Bildschirm…
„Kennst mich nimmer?“
„Schon!“
„Und sagst nichts?“
„Nein…“!
„Darf ich mich setzen…?“
„Hol dir ein Bier!“
„Ich mag keins!“
„Auf einmal…?“
„Fragst nicht warum?“
„Wirst mirs schon sagen!“
„Ich – ich hab Krebs…!“
„Bin ich daran auch Schuld?“
„Nein, aber ich weiß nicht wo ich hin soll?“
„Wieso?“
„Weil ich mich so schäm’ – für alles!“
„Schau, schau…“!
„Ja ich schäm’ mich wirklich…“
„Vor wem?“
„Vor deinen Geschwistern und den andern“
„Und vor mir nicht?“
„Nein, Hermann!“
„Aha.“
„Ist aber so, Hermann.“
„Schaust nicht gut aus, hast einen Hunger…?“
„Nein – ich kann nichts Normales mehr essen“
„Wo fehlst denn?“
„Im Darm…“
„Hm – versteh…“
„Ich hab keine Kraft mehr, Hermann“
„Ich auch nicht.“
„Du Depp, bei mir ist es wirklich so…“
„Bei mir auch…“
„Schickst mich weg, Hermann?“
„Nein, mach dir’s Bett in unserer Kammer, du weißt ja wo alles ist, wenn’st willst helf’ ich dir …?“
„Geht schon, trink nur dein Bier aus, Hermann“
Als Martha ihr Teil im vereinsamten Ehebett überzogen und fertig gemacht hatte, legte sie sich hinein und stand von dem Tag an nicht mehr auf.
Und als sie selbst am Heiligen Abend vor Schmerzen immer wieder aufstöhnte und kurze Schreie ausstieß, streichelte er sie mit seinen schwieligen Händen – bis sie ganz still wurde…
KH
Zum Bild: Martina Roth, Acryl auf Leinen, 70 x90 cm
2 Antworten
Sehr berührend, Klaus. Danke, dass Du die 3 Punkte weggelassen hast. Und der Titel paßt. Siehe „Der Fremde“ von Camus. „Der Ekel“ von Sartre. Wie Deiner, existenzialistische Stoffe. Du bist beim Titel also in der Konvention des Existenzialismus geblieben(wortkarg, verloren, aussichtslos). Hättest Du mit den Konventionen des Feldes brechen wollen, dann wäre das nicht über den Titel alleine gegangen, sondern nur zusammen mit dem Stoff. Beim nächsten Mal zum Beispiel, wenn Du den Existenzialismus ironisierst (obwohl, die Ankunft, ein bisschen hast Du schon gebrochen).
Danke noch einmal, für dieses wunderbare Stück.
Für diese Geschichte bin ich dankbar. Soviel zur Gerechtigkeit im Leben und zur Freiwilligkeit. Vielen Dank Klaus!
Den Kommentar hingegen finde ich unüberschaubar, aber sicherlich ging hier ein Wortwechsel voraus.