Carl und Gerlinde (75)
„Carl, sag‘ weißt du eigentlich, warum wir Menschen uns als einzige Spezie schmücken und all die anderen Tiere nicht?“ fragte die sichtlich gut gelaunte Gerlinde, als sich ihr Carl nach seinem sonntäglichen Mittagsschläfchen ziemlich mühsam mit noch halb geschlossenen Augen an den üppig gedeckten „Kaffee und Kuchen Tisch“ schleppte.
„Nee“, brummte er knapp und zwängte sich stöhnend auf seinen üblichen Platz in der reichlich mit bäuerlichen Utensilien geschmückten Essecke.
„Und du hast wirklich keinerlei Ahnung, warum wir uns schmücken, Carl?“
„Nee – wirklich nicht“, brummelte dieser kopfschüttelnd und schlürfte genussvoll einen ersten Schluck aus seiner randvoll eingeschenkten Kaffeetasse. Und dann einen zweiten und einen dritten und so weiter und weiter bis die Kaffeetasse leer war. Seinen Lebensgeistern tat das sichtlich gut – sie schienen zunehmend geweckt worden zu sein. Und so fügte er doch noch hinzu, dass er sich zwar mit dem ganzen ‚Schmuckkram‘ nicht auskenne, aber als Experte für Trikotagen, der Weltfirma TRIGA, immerhin wisse, dass nur die Menschen als einzige Spezie unter allen Tieren erstaunlicher Weise Unterhosen tragen.
„Wie erstaunlich!“ warf Gerlinde spitz ein, „ich habe zwar nicht deine umfassende Unterhosenexpertise, lieber Carl, weiß aber trotzdem warum ich meine Unterhose anziehe…“
„Aber ich weiß auch noch wie verschieden Unterhosen sein können, liebe Gerlinde! Und dies sowohl bei Männern als auch Frauen!“
„Toll, lieber Carl, ich gratuliere dir zu diesem wertvollen Unterhosenwissenskatalog! Übrigens liegst du damit fast auf der Linie der berühmten Nobelpreisträgerin Christine Nüßlein-Volhard…“
„Welches vollharte Nüsslein meinst du da, Gerlinde?“ fragte Carl mit einem breiten Grinsen und steckte sich genüsslich ein riesiges Stück von dem Nussstrudel in den Mund, den seine goldige Gerlinde auch aufgedeckt hatte.
„Haha – du Spaßvogel! Mit Frau Professor Nüßlein-Volhard meine ich die ehemalige Direktorin des Max Planck – Institutes für Biologie in Tübingen, die gestern Nachmittag, anlässlich ihres 80. Geburtstages im Fernsehen war! Und wenn du da nicht wie üblich eingeschlafen wärst, hättest du auch mitgekriegt, was sie zum geschmückten Menschen alles zu sagen hat.“
„Und was hatte sie zusagen, liebste Gerlinde?“
„Nun sie berichtete, dass schon Darwin, einen wichtigen Unterschied zwischen Mensch und Tier auf seiner mehrjährigen Forschungsreise rund um den Globus beobachtet hatte: nämlich – der Homo Sapiens schmückt sich!
Er beobachtete bei allen Naturvölkern, dass sie sich zur Steigerung ihrer Schönheit, bemalen, tätowieren, schminken, kleiden, sowie künstliche Schmuckelemente und Ornamente benutzen, um ihre Attraktivität und Würde zu verstärken. Die nackte Haut, das fehlende Fell und bunte Federkleid ,regte einfach zum Bemalen an…“
„Richtig – und drum zieht die Menschheit auch bunte Unterhosen an“, warf Carl schnell ein, da er keine andere Chance sah noch zu einer weiteren Tasse Kaffee zu kommen.
„Ach du mit deinen blöden Unterhosen, Carl! Darum geht’s doch gar nicht, sondern darum, dass der Mensch, anders als die Tiere, sich seiner selbst und seiner Wirkung auf andere bewusst ist – und in den Spiegel schaut: der Mensch ist eitel! In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Mensch grundsätzlich von allen anderen Tieren…“
„Und ich unterscheide mich von dir, liebe Gerlinde, dadurch, dass ich noch eine Tasse Kaffee möchte und mir die Bemerkung erlaube, dass der köstliche Nussstrudel alle ist.“
„Das ist die gerechte Strafe dafür, lieber Carl, dass du gestern alles verschlafen hast. Sonst wüsstest du nämlich, dass der Mensch über einen besonderen „Schmuckinstinkt“ verfügt, ähnlich dem Sprachinstinkt, der eine dem Menschen eigene angeborene Sprachfähigkeit ist“.
„Dafür weiß ich aber aus der anschließenden Sportschau, zu der du mich freundlicher Weise geweckt hast, auf Grund meines Fußball Instinkts wie Dortmund gegen den VfB Stuttgart gespielt hat und die Bayern gegen Hoffenheim.“
„Das ist super Carl, wirklich, dafür überlasse ich dir jetzt den gesamten Kaffee in dieser Kanne“, sagte Gerlinde in einem verdächtig einschmeichelnden Ton, reichte ihm süßlich lächelnd die fast leere Kanne und verschwand blitzschnell ohne ein weiteres Wort in die Küche, da sie befürchtete, dass ihr Carlchen mindestens noch drei Mal mit seiner dämlichen Unterhosennummer daherkam, was wirklich weder ihr noch der ehrenwerten Nobelpreisträgerin Nüsslein-Volhard zuzumuten war.
Aber wie sie sich in den nächsten Wochen auf seine Kosten noch schmücken würde, das war schon zumutbar…
KH
PS: Und wer noch mehr über den geschmückten Menschen erfahren möchte, der greife auf Gerlindes Empfehlung hin, nach dem wunderbaren Aufsatz „Schönheit lebt“, der obigen Nobelpreisträgerin, den sie anlässlich ihres 80. Geburtstages veröffentlicht hat.