Also jetzt kommt nach dem Thriller ein Roman! Und zwar eine Story für jung gebliebene Jugendliche und jung gebliebene ältere Herrschaften: immer am Sonntag und Donnerstag kommt ein Kapitel – insgesamt sind es 13 Kapitel. Mal sehen wieviel dieses mal durchhalten auf Facebook in meiner Story…
Kapitel 2
Warum weint er?
Kein Wunder, dass ich in dieser Nacht nicht schlafen konnte.
Der Blumentopf und die komische Inschrift kreisten und kreisten in meinem wirren Kopf und ich suchte vergeblich, an etwas anderes zu denken, wälzte mich von einer Seite auf die andere, stand auf, trank Wasser zählte Schäfchen, um mich zu beruhigen, zählte Blumentöpfe, wieder Schäfchen – es war zum Wahnsinnig werden!
Dabei war ich aus irgendeinem Grund, den ich auch nicht näher beschreiben konnte, felsenfest überzeugt, dass wir einem tollen Geheimnis auf der Spur waren. Nur wie sollte man hinter dieses blöde Geheimnis kommen? Was sollte ich verdammt noch einmal tun?
So sehr ich mir auch den Kopf zermarterte, ich hatte absolut keinen Plan, wie das gehen sollte. Vielleicht musste man ja nur ununterbrochen den Topf anstarren und immer wieder
„Wer erlöst mich, wer erlöst mich“, labern, wie bei einem Gebet oder einem Zauberspruch.
Oder vielleicht musste man den Topf im Mondlicht unter eine Dachrinne stellen und da den komischen Erlösungsspruch murmeln, wie das die alten Bäuerinnen beim Warzenwegmachen taten. Vielleicht konnte man im Mondlicht sogar noch irgendetwas anderes sehen als diese Buchstaben…
Oder sollte man die Inschrift mit Weihwasser besprengen und Weihrauch im Topf entfachen, wie immer das auch gehen mochte?
Ich wusste einfach nicht was ich tun sollte, war verzweifelt und ratlos, glaubte aber zu spüren, dass nicht noch mehr Zeit vertrödelt werden durfte…
Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, wenn auch nur kurz.
Ich weiß nur, dass ich plötzlich den Eindruck hatte, dass über dem Blumentopf in meinem Regal ein flackerndes Licht schimmerte. Unwillkürlich dachte ich bei mir „jetzt müsste man die Botschaft aber gut lesen können“!
Und tatsächlich als ich aufstand und zu dem Lichtschein hinging sah ich, dass in dem Topf eine Kerze brannte, die schon ziemlich weit heruntergebrannt war. Die einzelnen Buchstaben auf der Innenseite des Topfes leuchteten jetzt wie die Leuchtziffern auf meiner Armbanduhr. Sie waren ganz deutlich zu lesen. Kein einziger Buchstabe fehlte. Und in dem Topf daneben leuchteten auch eine Kerze – und eine Inschrift. Und in dem dahinter auch. Es waren bestimmt dreißig Blumentöpfe, die da herumstanden. Und in jedem brannte eine Kerze. Einige Kerzen waren noch so lang, dass sie über den Topfrand hinausragten. Komischerweise gab es keine zwei Kerzen, die gleich lang waren. Die Kerze in meinem Topf war die kürzeste, wahrscheinlich brannte sie schon am längsten Ich dachte, hoffentlich geht sie nicht gleich aus und wollte wieder zu meinem Bett zurückgehen.
Da sah ich ihn plötzlich: Auf der Spielzeugtruhe neben meinem Bett saß ein ururalter Mann. Er war ganz grau, der weite Umhang und sein Gesicht hatten die gleiche graue Farbe. Er saß weit nach vorne gebeugt da und stützte mit beiden Händen seinen, wie es schien, schweren Kopf ab. So etwas Trauriges, wie diesen Mann hatte ich bisher noch nicht gesehen und fühlte mich auch gleich traurig, aber Angst hatte ich keine: aus seinen großen wässerigen Augen kullerten ununterbrochen Tränen, die in zwei glitzernden kleinen Bächen über sein graues Gesicht flossen und in seinem dünnen grauen Bart versickerten…
Ich setzte mich auf das Ende meines Bettes und schaute den alten Mann an, aber er nahm keinerlei Notiz von mir sondern saß nur da, unbeweglich wie aus Stein gemeißelt und weinte und weinte…
„Warum weinen Sie denn? hörte ich mich endlich nach einer halben Ewigkeit zaghaft flüstern und bekam selbst feuchte Augen.
Keine Antwort. Der versteinerte Mann schwieg und weinte
„Kann ich Ihnen denn gar nicht helfen?“
Der alte Mann schüttelte kaum merklich seinen Kopf und weinte weiter. Je länger ich ihn ansah, umso weniger wagte ich selbst mich zu bewegen, ja ich erstarrte wie er, auch immer mehr.
Mir wurde kalt; ich hielt es plötzlich nicht mehr aus auf dem Bett, musste unbedingt etwas tun. Und so sah ich mich selbst, wie ich ganz vorsichtig aufstand, bedacht keinerlei Geräusch zu machen, um aus meinem Schrank eines der schönen Taschentücher zu holen, die ich von meiner Freundin Vera zum Geburtstag bekommen hatte, alle mit eingesticktem Monogramm.
Aber als ich es in der Hand hatte mich umdrehte und es ihm reichen wollte, war der alte Mann weg! Komisch!
Verwundert ging ich zur Spielzeugtruhe, die früher einmal eine Transportkiste war und strich mit einer Hand über das raue Holz. Aber da war nichts. Keinerlei Spur, dass hier jemals wer gesessen ist, auch keinerlei Nässe von den vielen Tränen, die er vergossen hatte, ich spürte nur die grobe Maserung des Truhenholzes, die kalten Eisenbeschläge – und wachte auf!
Da hatte ich also doch geweint, denn ganz automatisch schnäuzte ich mich in das Taschentuch, dass ich seltsamer weise bereits in der Hand hielt und bemerkte auch leicht irritiert, die offenstehende Schranktür….
Natürlich war ich dann tagsüber schlagskaputt.
In der Schule war ich andauernd damit beschäftigt meinen bleiernen Kopf hoch zu halten, damit er nicht überraschend und unpassend auf das Schreibpult donnerte.
Und wenn Frau Sossenheim mich etwas fragte, musste ich leider immer erst gähnen bevor ich antworten konnte. Zum Glück schaute Frau Sossenheim in der Regel über solche Kleinigkeiten hinweg. Sie war ganz in Ordnung!
Und nachmittags hätte ich beinahe noch Nachbars Hund, die Jischi, mit meinem Mountainbike überfahren. Aber warum musste dieses dumme Vieh auch immer an mir hochspringen, wenn ich daheim ankam.
Ich war echt froh als der Tag vorüber war.
Trotz aller Müdigkeit war mir klar, dass der Topf aus meinem Zimmer wieder wegmusste. Solange der da auf dem Regal rumstand, konnte ich mit Sicherheit nicht mehr ruhig schlafen. Doch wie sollte ich das anstellen. Ich hatte doch gestern noch Papa darum gebeten, den dämlichen Topf mir ins Zimmer zu stellen. Wenn ich jetzt wieder alles anders wollte musste er wirklich an meinem Verstand zweifeln. Und mit der Traumgeschichte wollte ich ihm schon gar nicht kommen, seine Ansage dazu konnte ich mir nur zu gut vorstellen und sein ironisches Lächeln auch; das musste nicht sein.
Beim Abendessen starrte ich maulfaul nur so vor mich hin.
„Hast du was“ fragte Mama, “du schaust irgendwie etwas ausgelaugt aus der Wäsche, oder? “
„Nee“
„Oder war etwas in der Schule, was wir wissen sollten“?
„Nee“!
„Kannst du etwas Anderes auch außer- nee!“
„Nee, tut mir leid Mama aber ich bin furchtbar müde“ sagte ich und rieb mir genervt die Augen.
Zum Glück fing Papa ganz von selbst von dem komischen Topf an.
„Den ganzen Tag ist mir diese dämliche Inschrift nicht aus dem Kopf gegangen. Es war wie verhext. Nur mit größter Mühe konnte ich mich auf meinen Bürokram konzentrieren“
„Da wär’s doch gut, wenn du den Topf bei dir aufstelltest“ sagte ich scheinheilig, die Gelegenheit beim Schopf packend.
„Wie, bei mir im Büro vielleicht?“
„Warum nicht, aber vielleicht bei euch im Schlafzimmer, da ist er wenigstens wirklich sicher“!
Papa schaute mich so eigenartig an, dass ich gleich bereute etwas gesagt zu haben.
„Aber du wolltest ihn doch noch gestern unbedingt bei dir stehen haben“
„Das schon“ druckste ich herum, „er könnte aber auch wo anders stehen“
„Wenn du meinst“ sagte er und ich merkte an seinem Gesicht, dass er ahnte, dass ich den Topf loswerden wollte.
Nach einer Pause sagte er nämlich, „vielleicht ist es wirklich besser, wenn dieses äußerst fragile Gebilde bei uns auf dem Schlafzimmerschrank steht, da kann es wenigstens nicht versehentlich umgestoßen werden.“
„Das ist ein Wort“, sagte ich begeistert und sprang sofort auf, um die Sache zu erledigen.
„Das hat aber wirklich bis nach dem Abendessen Zeit“ meinte Mama und hatte damit wahrscheinlich sogar recht.
Mir war das auch egal, Hauptsache der Blumentopf kam aus meinem Zimmer raus.
In der folgenden Nacht habe ich auch wirklich gut geschlafen und kam trotz Aufstehen im Morgengrauen ziemlich gut gelaunt zum Frühstück. Während ich mein Müsli mampfte erzählte Mama von einem furchtbar blöden Traum, der sie fast die ganze Nacht gequält hatte.
„Dauernd saß irgendwo im Schlafzimmer ein weinender alter Mann herum. Total grau, grauer geht’s gar nicht mehr, höchstens grauenhafter…! Und geguckt hat der, so was von traurig, unfassbar. Am liebsten hätte ich die ganze Nacht mitgeheult, wirklich schlimm“!
„Was du immer für ein Zeug zusammen träumst“, spöttelte Papa.
Ich spürte richtig, wie mir die Gänsehaut über den Rücken hinunterlief. Aber ich sagte nichts, sondern aß mein Müsli so konzentriert wie noch nie in meinem kurzen Leben und erinnerte mich plötzlich, dass ich heute etwas früher in der Schule sein musste.
Abends sagte ich dann doch zu Papa,
„Das Beste wäre, wenn wir den Blumentopf überhaupt auf die Stellage im Keller stellen würden. Da kann ihn jeder bequem anschauen so oft er will und sicher aufgehoben ist er auch. Den Marmeladegläsern passiert ja dort auch nichts“.
„Wie du meinst, ich bin da vollkommen leidenschaftslos. Ich will nur, dass er blöde Topf endlich irgendwo stehen bleibt“
„Ich auch“, sagte ich und gab ihm beim Aufstehen für alle überraschend einen schnellen Kuss auf die Wange.
„Was ist denn los, habe ich irgendetwas nicht mitgekriegt?“
„Freu dich doch einfach“, sagte Mama stand auf und gab ihm auch einen.
KH
2 Antworten
Habe heute mit größerer Besorgnis meine Blumentöpfen betrachtet, als die dahinwelkenden Blumen.
Das ist gut, liebe Brigitte, denn wie Du siehst, kann man nicht nur von den Blumen lernen sondern auch von den Blumentöpfen!!