Hilfe! Wer erlöst mich…? (Kapitel 9)

  Also jetzt kommt nach dem Thriller ein Roman! Und zwar eine Story für jung gebliebene Jugendliche und  jung  gebliebene ältere Herrschaften: immer am Sonntag und Donnerstag kommt ein Kapitel – insgesamt sind es 13 Kapitel. Mal sehen wieviel dieses mal durchhalten auf Facebook in meiner Story…

 

Kapitel 9

Rodenbach in Aufruhr!

Mama brachte bald jeden Tag neue Sensationsmeldungen vom Einkaufen heim. Die Gerüchte über die seltsamen Vorgänge im alten Steinbruch wurden von Woche zu Woche wilder…

Anfangs war noch von irgendwelchen Sammlern die Rede, die nach seltenen Gesteinen suchen, aber ehe man sich versah waren aus den seltenen Steinen Edelsteine geworden. Und es dauerte keine drei Wochen bis aus den vermuteten Edelsteinen ein gigantischer Schatz wurde, der während des Krieges im Steinbruch versteckt worden war.

Jeder Rodenbacher hatte natürlich seine eigene Theorie, wie dieser Schatz dort hingelangt ist. Für einige war’s der verschollene Graf gewesen, der in einer Höhle den Familienschmuck des gräflichen Geschlechts versteckt hatte, für andere war’s ein Nazibonze gewesen, der nach dem Krieg, all den Schmuck und das Gold, das er Juden weggenommen hat, im Steinbruch vergraben hat. Andere wieder setzten auf den amerikanischen Geheimdienst CIA, der gleich nach dem Krieg verborgene Stollen angelegt hat, um in ihnen geheime Dokumente und Gemälde verstecken zu können. Und wieder andere vermuteten einen Schatz aus der Römerzeit, da unweit vom Steinbruch einmal die Römerstrasse vorbeigegangen sein soll.

Nur auf den alten Hausierer kam niemand. Das wunderte mich am meisten. Entweder traute dem niemand einen Schatz zu, oder man hatte ihn so gründlich vergessen.

Mama war immer komplett geschafft, wenn sie heimkam.

„Normal einkaufen wie früher, das geht überhaupt nicht mehr“, sagte sie. „Wo ich geh und steh werde ich mit Fragen bombardiert. Das ist wie ein Alptraum; wie die Fliegen fallen die Leute über mich her. Und immer die gleichen Fragen: Ob das stimmt mit dem Schatz?

Von wo mein Mann, also du, von dem Schatz weißt?

Steckt wirklich der CIA dahinter?

Hat ihr Mann etwa Kontakt zum CIA?

Wem gehört eigentlich dieser Schatz?

Warum diese Geheimnistuerei?

Welche Rolle spielt denn überhaupt der Bürgermeister?

Wann weiß man endlich etwas Genaueres?

Jetzt werden sie ja bald reich sein, Frau Koblewski?

Hoffentlich denken sie dann auch an uns?“

An manchen Tagen kam Mama heim ließ sich in den Stuhl fallen und heulte einfach los.

„Ich komm mir vor, wie so ein Doofi. Jeder quatscht mich an, jeder glaubt mich ausfragen und belehren zu müssen, jeder rechnet mir vor wie viel ihm zusteht, wenn der Schatz gehoben wir und ins Eigentum der Gemeinde übergeht. Und von Tag zu Tag werden diese Leute dreister und frecher. Unmöglich! Fast nicht mehr zu ertragen“!

Aber Mama war nicht die Einzige, die litt. Mir ging es um keinen Deut besser. Meine Klassenkameraden wollten natürlich auch von mir wissen, was im Steinbruch los ist; und wonach Papa und seine Mannschaft suchen. Ich war richtig in der Zwickmühle! Einerseits wollte ich nicht lügen, andererseits konnte und durfte ich die Wahrheit nicht sagen! Das war echt blöd! Ich kam mir selbst wahnsinnig dumm vor: die anderen mussten ja glauben, dass ich mich wichtigmachen wolle. Mich wunderte es auch gar nicht, dass einige bald zu schimpfen anfingen. Vor allem die, aus den höheren Klassen.

„Stell dich nicht so blöd an, du dumme Kuh, wer glaubst du denn, dass du bist. Wenn du nicht bald das Maul aufmachst, könnte das ungesund für dich werden, du blöde Pute, verarschen könne wir uns selber, so einen Hosenscheißer wie dich, bringen wir immer noch zum Singen, das geht schneller als du Scheiße sagen kannst!“

An machen Tagen hatte ich richtig Angst vor diesen Idioten. Jeder Schultag war plötzlich eine Plage. So etwas kannte ich bisher nicht. Ich bin immer gern in die Schule gegangen. Daheim wollte ich aber nichts sagen. Mama war eh schon mit den Nerven am Boden.

Und Papa machten die ständigen Telefonanrufe zu schaffen. Abends klingelte oft bis zu zwanzig Mal das Telefon. Auch in der Nacht riefen Leute, vorwiegend Männer, an und beschimpften und verfluchten uns. Einer rief um drei Uhr nachts an und droht in einer halben Stunde unser Haus anzuzünden, wenn Papa nicht sofort sage, wo der Schatz versteckt sei!

Die Stimmung zuhause, war jedenfalls miserabel und wurde von Tag zu Tag immer noch schlechter; für mich war das alles nur schwer zu ertragen, das muss ich schon sagen: Mama heulte fast jeden zweiten Tag und schimpfte auf Papa und die bescheuerten Rodenbacher, die wohl Fußnägel statt Gehirnzellen in ihren Köpfen hätten.

Papa brauste bei jeder Kleinigkeit auf wie ein HB-Männchen und wurde nicht müde zu beteuern, dass er sich nie und nimmer auf diese Sache eingelassen hätte, wenn er nur im Entferntesten geahnt hätte in welches Wespennest er da steche.

Und ich rannte natürlich ständig mit einem schlechten Gewissen herum und versuchte mich nach allen Seiten zu verteidigen; schließlich war ja ich an allem schuld.

Manchmal fragte ich mich, ob der alte, graue Mann überhaupt wusste, was er uns antat. Ich wollte ich wäre ihm wieder einmal begegnet, um ihm diesen ganzen Mist erzählen zu können, das hätte mir bestimmt geholfen; aber vielleicht hätte er dann noch mehr geweint.

Aber er kam nicht mehr in letzter Zeit. Selbst an Tagen, an denen ich stundenlang vor dem Blumentopf saß und hunderte Male die Inschrift las, kam er nicht! Früher brauchte ich nur einen Blick drauf zu werfen und schon saß er in der Nacht bei mir herum! Aber jetzt, wo wir alle an ihm zu leiden hatten, kam er nicht. Das war wieder typisch und verwirrte mich! Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Der graue Mann hätte doch auch versuchen können mich zu trösten. Ich tat es ja auch, als er geweint hatte. Vielleicht hatte seine damalige Trauer schon uns gegolten; das konnte gut sein, denn der graue Mann wusste bestimmt sehr gut, wie schlimm die Menschen sein konnten. Ihn hatten sie sicher auch nicht geschont. Und an manchen Tagen verstand ich sogar warum er darüber nichts sagen wollte. Was denn schon, man konnte doch wirklich nur heulen….

Zu allem Unglück kam dann noch die Schlägerei.

Als ich Freitagabend mit Vera vom Turnen heimging wurden wir im Neubaugebiet, an der großen Baustelle, plötzlich von ein paar Typen auf Fahrrädern eingekreist. Der Älteste von ihnen war bestimmt schon dreizehn Jahre alt. Ich kannte ihn; ich wusste zwar nicht wie er hieß, aber ich hatte ihn früher schon öfters auf der Rollschuhbahn gesehen. Und mit der Polizei hatte der auch schon zu tun gehabt – war so ein kleiner Automatenknacker. Aber die Polizei war damals schneller gewesen, wie ich gehört hatte. Jetzt war leider keine Polizei zur Stelle. Wahrscheinlich grinsten sie deswegen so blöd. Noch bevor irgendeiner ein Wort gesagt hatte, bekam Vera schon eine geknallt, dass sie heulte. Und da sie noch nicht gleich abhaute, scheuerten sie ihr noch eine. Das reichte dann. Jetzt stand ich mit den fünf Affen alleine da und spürte ein fürchterliches Ziehen in der Magengegend, die Knie wurden auch so komisch weich.

Ganz langsam kam der Automatenknacki auf mich zu; die anderen Vier schlichen wie seine Hunde hinter ihm her.

„Du weißt ja worum’ s geht“, presste er undeutlich hervor und haute mir auch eine herunter. Kein Wunder, dass die Vera geheult hatte. Ich hätte am liebsten auch gleich los geplärrt. Aber dann wär’ ich sofort verloren gewesen, so blieb mir vielleicht eine winzige Chance. Um Zeit zu gewinnen rieb ich mir ganz langsam die Wange und schrie ihn wie von Sinnen an, dass er mich in Ruhe lassen soll. Der Typ grinste nur:

„Maul halten! Das einzige worüber hier geredet wird ist der Steinbruch. Und zwar ein bisschen flott! Ich hab’ nämlich weder Zeit noch Lust mit dir blöden Kuh lang rum zu quatschen“.

Aber ich blieb stumm und glotzte ihn immer nur an. Irgendwie war meine Angst plötzlich weg. Ich spürte in mir nur eine fürchterliche Wut auf die Bande, die grinsend um mich herumstand. Von mir erfuhren diese Arschlöcher nichts. Und ich wollte mich wehren. Ich hatte ja nicht umsonst schon seit Jahren mit Papa Kenjukate geübt. Er sagte ein Mädchen müsste sich genau so wehren, wie ein Junge; manchmal tat es richtig weh, wenn wir trainierten. Und das bekam der kleine Automatenknacki zu spüren. Als er mir eine zweite Ohrfeige geben wollte machte ich mit dem rechten Arm einen Hochblock und knallte ihm gleichzeitig eine gegen sein Schienbein, dass er aufheulte; damit hatte der Penner nicht gerechnet. Wütend rieb er sich das Schienbein, was aber ziemlich dumm war: denn bei dieser Gelegenheit riss ich ihn an seinen langen Haaren auf den Gehsteig und legte ihm mit aller Kraft die Krallenhand an die Gurgel, genau wie Papa mir’ s gezeigt hatte.

„Haut ab, sonst mach ich ihn alle“ schrie ich wieder so laut ich konnte. Und als er die Augen verdrehte und zu röcheln anfing schwangen die sich tatsächlich auf ihre Fahrräder und hauten ab! Schweigend stand der Automatenknacki auf, als ich ihn losließ – hustend und spuckend rieb er sich den Hals; ich sah ihm an, dass er am liebsten losgeheult hätte. Als Bandenboss hatte er wohl eine Weile ausgespielt, das war klar wie Schnaps!

Ich rannte auch heim: ich lachte und weinte gleichzeitig und fühlte mich stark und groß! Die Leute sollten nur glotzen – die hatten ja keine Ahnung von den Taten, die ich gerade vollbracht hatte – ich der Riese und sie die Zwerge.

“Aufgepasst – sonst renn ich euch alle um;“ schrie ich immer und immer wieder – in mich hinein und hüpfte und sprang wie ein übermütiges Zicklein.

Leider waren Mama und Papa gar nicht angetan von meiner Heldentat! Aus mir sprudelte es nur so heraus, ich konnte gar nicht genug kriegen und fing immer wieder davon an, wie ich diesen üblen Knaben umgelegt hatte, aber ich konnte sie mit meiner Begeisterung nicht mitreißen. Ja, Mama begann sogar zu weinen und das sicher nicht aus Begeisterung. Papa schüttelte immer wieder seinen Kopf. Ich hatte schon Angst, dass er schwindlig werden würde. Aber plötzlich stand er ganz sicher auf und sagte vielleicht eine Spur zu theatralisch:

„Das Maß ist voll! Wenn die Sache soweit geht, dass meine Tochter schon auf der Strasse angefallen wird, dann ist das nicht mehr tragbar! Jetzt muss schnell und massiv gehandelt werden, sonst geht alles den Bach runter und wir mit!“

KH

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