Kapitel 13
Freudentränen
Für die Marktgemeinde Rodenbach war der bestätigte Tod des Grafen von Langenselbold, bei aller geheuchelten Trauer vor der Familie, eine große Erleichterung.
Endlich hatte man Klarheit! Endlich konnten die testamentarisch festgelegten Wünsche dieses ungeliebten Grafen vollzogen werden.
Jetzt konnte auch der Anwalt der Familie des Grafen nicht mehr länger blockieren.
„Im Schloss kann nun endlich die neue Schule und der Kindergarten untergebracht werden“, sagte Papa
„Und der dazugehörige Grundbesitz kann an die umliegenden Bauern verkauft oder zu Bauland erklärt werden!“
„Mir kommen vor Rührung gleich die Tränen“
„Unk’ doch nicht schon wieder, Susanne! Bitte!“
Für die Langenselbolder und Rodenbacher war diese gänzlich unerwartete Veränderung natürlich ein großer Gewinn, und sie wussten auch, dass sie dieses plötzliche Glück ausschließlich, der vormals so ungeliebten Familie Koblewski zu verdanken hatten.
Über Nacht waren wir in Rodenbach Stars geworden. Wo wir auftauchten wurden wir mit Gunstbeweisen geradezu überschüttet; eimerweise ergoss sich die Liebe der Rodenbacher über uns; sie wucherte und griff um sich, wie Papas Fußpilz.
Jörg Schneider beantragte, als Bürgermeister, im Gemeinderat, dass wir zu Ehrenbürgern von Rodenbach ernannt werden und ließ uns zu Ehren ein großes Fest feiern.
Ganz Rodenbach war an diesem Festtag auf den Beinen!
Die Blaskapelle hatte sogar neue Uniformen bekommen; so prächtig hatten sie schon lange nicht mehr gespielt; die Musik hallte uns noch tagelang in den Ohren nach.
Auf meinen Wunsch hin, bekamen auch alle Kinder im Ort kostenlos Coca Cola und Naschzeug.
Papa bestand darauf, dass auch Konrad und Georg in die Ehrungen mit einbezogen wurden
Und so wurde am Abend, auf der Bühne im Festsaal, nicht nur uns, sondern auch diesen beiden, vom Bürgermeister die Ehrennadel der Gemeinde Rodenbach angesteckt.
Der Saal war brechend voll.
Die Leute waren schön angezogen und hatten rote Gesichter.
Der Gesangverein sang mehrere Lieder und der Bürgermeister und der Pfarrer hielten viel zu lange Reden.
Einige Frauen weinten sogar.
Als mir der Herr Bürgermeister als erstes die Ehrennadel ansteckte, musste ich auch weinen. Mir fiel der graue Mann ein, der vor ein paar Tagen feierlich auf unserem Friedhof begraben worden war.
Ich sagte zum Bürgermeister, dass ich das Grab des grauen Mannes bis an mein Lebensende pflegen würde, und weinte wieder!
Mama und Papa gaben Jörg Schneider die Hand, als sie die Ehrennadel angesteckt bekamen und bedankten sich bei ihm für die aufopfernde Unterstützung.
Papa sprach diesen Dank – und auch den an seine Freunde und Helfer, wie Hubert Fleischer, Alfred Brecher und andere, noch in ein Mikrofon!
Die Leute im Saal jubelten.
Und dann sagte Papa noch, dass wir auch ihm danken müssten, dem
„grauen Mann“, dem es letztlich doch noch gelungen ist auf sich aufmerksam zu machen!
Wahrscheinlich hat das im Saal außer uns niemand verstanden….
Aber es war gut, dass er es gesagt hat!
Wenngleich es nicht dazu angetan war, meine Tränen zu stoppen.
Ich heulte immer heftiger. Warum wusste ich auch nicht? Es war halt so. Die Tränen rannen und rannen; Bäche weise lief es mir über das Gesicht.
Auch Mama und Papa versuchten alles, um mich zu beruhigen.
Es half nichts.
Ich weinte und weinte.
Und Mama dann auch.
Und viele andere Frauen auch.
Bald heulte fast der gesamte Festsaal!
Die Blaskapelle spielte immer lauter, um die Leute abzulenken.
Leider vergeblich!
Schließlich hob mich Mama einfach hoch und trug mich wie ein kleines Kind weinend aus dem Saal – das war die einzige Möglichkeit, dieses Fest noch zu retten.
Daheim legte sie mich gleich ins Bett!
Papa war noch auf dem Fest geblieben. Gott sei Dank, wär’ sonst peinlich gewesen!
Mama legte sich zu mir und schmiegte sich an mich.
Ich war froh, dass sie nichts sagte.
Ihre Wärme tat mir gut.
Und der graue Mann war endlich erlöst! Man hatte ihm doch überall verziehen, oder?
„Bestimmt“, sagte ich laut. Und Mama streichelte mich bis ich einschlief.
Und bestimmt lacht der graue Mann das nächstes Mal, wenn ich ihn treffe…
KH
E N D E
PS: Bis auf die drei Ortsnamen und dem Steinbruch bei Rodenbach ist alles an dieser Geschichte frei erfunden!