Respekt – und andere Quälereien…

Ja –  es war einmal ein Fußballplatz in Peuerbach (einer 3000 Seelen Gemeinde in Oberösterreich) an dem wir Landeier Mitte der 50-ger Jahre jeden Tag mit größtem Respekt vorbeischlichen, wenn wir uns nach Schulschluss, auf den 1-stündigen Fußmarsch in unser Bauernkaff machten, das nur aus 3 Bauernhöfen bestand und in das meine Pflegeeltern mit mir und ihren beiden Töchtern, 1945, geflohen waren; aus Angst vor den Russen!

Doch dieser seltsame Respekt vor dem Peuerbacher Fußballplatz verflog dann sehr schnell, als ich endlich in der 3. und 4. Klasse Hauptschule im Sportunterricht auch dort Fußball spielen durfte: denn ich schaffte es nie in die Mannschaft der ortsansässigen Jungs, sondern landete immer bei den Kuhbauern – die dann ebenso immer –  haushoch verloren! Mein gediegeneres Outfit half mir da auch nicht: denn einmal Landei immer Landei – dieses eherne Gesetz konnte ich nicht durchbrechen! Selbst als Klassenbester nicht!

Und was sonst noch in Peuerbachs Fußball-Betrieb lief, bekamen wir Landeier natürlich schon gar nicht mit! Niemand von uns war jemals bei einem offiziellen Spiel gewesen: der Abstand vom Kuhstall zu so einem Liga-Spiel am Wochenende, war für uns größer, als die Entfernung zum Mond, die ja in den 50-iger Jahren auch noch unendlich schien…

Aber zwei Namen klangen trotzdem immer wieder in unseren Ohren: der eine lautete Ernst Schmidauer, wohl ein schussgewaltiger Flügelflitzer, trinkfest und Kapellmeister der örtlichen Blaskapelle. Und der andere war –  Ernst Knoglinger – der absolute Star im Mittelfeld – und zudem noch Sohn unseres Hauptschuldirektors!

Welch bedeutende Rolle diese beiden ‚Ernst‘, in meinem Leben noch spielen sollten, konnte ich damals nicht ahnen, aber meiner Sehnsucht, Fußballer zu werden, gaben sie einen kräftigen Schub!

Ja, ich hatte damals, nach Abschluss der Hauptschule, sogar das Gefühl, meinem Fußballertraum schneller als gedacht näher zu kommen, als mein Stiefvater mich nach Wien holte – und ohne große Erklärung in die Ingenieurschule, ‚Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie‘, steckte. Und ehrlich gesagt hatte ich auch gar nichts dagegen: denn außer Fußball, hatte ich eh nichts anderes im Kopf…

Da war es weiter auch nicht verwunderlich, dass ich schüchterne Landpomeranze samt meiner verkorksten Religiosität, in der Großstadt Wien sehr zügig den Weg in die Fußballmannschaft der Katholischen Jugend in St. Magareten (5. Bezirk) fand, weil mir wichtig war, dass ich möglichst jede Woche im nahegelegenen Park trainieren konnte und wöchentlich bei einem Spiel mitmachen durfte!

Aber auf eine etwas verschwommene Art war mir schon klar, dass ich mich mit dieser Mannschaft, in Wien, wirklich auf dem aller untersten Niveau bewegte, doch dass es so schlimm kommen würde, hatte ich nicht erwartet…

Denn abgesehen von den endlosen Anfahrten in die diversen Vorstadtbezirke, waren nicht nur die Spielplätze unter aller Sau, sondern auch die gegnerischen Mannschaften meist ein pöbelnder Haufen von Blödmännern, die nur von ihrer weiblichen Anhängerschaft noch getoppt wurden!

Denen kamen wir katholischen Balltreter gerade recht! Sie verfolgten uns nicht nur – ab Anpfiff –  mit abschätziges Gelächter und Pöbeleien, sondern feierten auch jeden gezielten Schuss in unsere Unterleiber mit hysterischem Gekreische! Jeder Volltreffer in die katholischen Eier wurde frenetischer bejubelt, als ein Tor! Das war unfassbar!

Und als ich mich dann auch des Öfteren mit schmerzendem Unterleib am Boden wälzte und die Schreie „noch Amal, noch Amal!“ vernahm, hatte ich von dieser Art Fußballspiel dann doch schneller genug, als ich anfangs dachte –  und von der Katholischen Jugend auch!

Erst als meine Mutter, Pauline, die die Großküche der NÖ – Landesregierung leitete, ihrem sichtlich geknickten ‚Burli‘ einen Kontakt zu dem berühmten österreichischen Nationalspieler Karl Stotz verschaffte, der bei Austria Wien gespielt hatte und nun auch in der NÖ Landesregierung arbeitet, hob sich meine Fußball-Stimmung wieder deutlich an.

Aber nur kurz, denn der werte Herr Stotz empfing mich mit den Worten, dass ich unbedingt lieber lernen sollte, statt Fußball zu spielen; er hätte das leider nicht getan und bereue dies bis heute.

Immerhin verschaffte er mir aber auf meine Bitte hin, wenigstens die Möglichkeit einmal mit der Austria Wien Jugendmannschaft zu trainieren. Aber das war’s dann auch! Denn ich entdeckte bei dieser Fußball-Lehrstunde selbst sehr schnell meine Grenzen, und befolgte von Stund‘ an doch lieber den freundlichen Rat des internationalen Fußballers, nämlich zu lernen, statt erfolglos herumzukicken!

D.h., ich schloss zügig und erfolgreich meine Ausbildung zum Textilingenieur ab, und studierte anschließend –  zur schockierenden Überraschung meines Stiefvaters –  an der Technischen Hochschule in Wien noch Atomphysik, da ich lieber Einstein werden wollte, als ein Stricker und Wirker, wie er.

Und da klar war, dass Pauline mich mit all ihrer Kraft dabei unterstützen wird, war diese Entscheidung schnell getroffen.

Dank Pauline hatte ich es auch geschafft, dass ich als Abgänger von einer Ingenieurschule als ordentlicher Hörer Physik studieren konnte. Sie kannte nämlich Professor Dr. Tomiser, an der Technischen Hochschule in Wien, den sie als Student im und nach dem Krieg in der Großküche durchgefüttert hatte, und dieser reichte mich weiter an den Dekan, der sich mein Anliegen, Physik zu studieren, geduldig anhörte und am Ende zwei Fragen stellte: nämlich wie die Steighöhe beim senkrechten Wurf aufwärts berechnet wird? Und was die Wheatstone’sche Brücke sei? Und – da ich beides unschwer beantworten konnte, unterschrieb er mir sofort alle notwendigen Inskriptionsunterlagen, die ich als ordentlicher Hörer benötigte – tja Glück muss man haben und Leuten muss man geholfen haben, wie Pauline!

Und da ich also ab da dem Fußballspiel entsagte, wendete ich mich, quasi als Ausgleich, einem anderen Spiel zu – nämlich dem Theaterspiel!

Und siehe da, bei einer Laienspielaufführung während der Wiener Festwochen im 16. Bezirk, lernte ich bei dem Stück „Jedermann,“ meine liebe Frau Brigitte kennen, die eine hervorragende Buhlschaft spielte – und ich bescheiden den ‚Gute Gesellen‘! Doch da es bei uns sofort erstaunlich schnell funkte, heirateten wir zwar nicht schon im Stück, aber immerhin noch während meines Studiums.

Außerdem stieß ich in dieser sehr aktiven Zeit in der Tanzschule Wagner im 1. Bezirk, noch auf einen ‚dritten Ernst‘, nämlich den damals angehenden Literaten und späteren Kunstpreisträger der Stadt Wien –  Gustav Ernst!

Mit seiner Freundin Gerlinde schwang dieser Ernst zwar ähnlich unelegant wie ich das Tanzbein, doch gerieten durch ihn dann nicht nur meine weiteren Theaterauftritte in anderes Fahrwasser, sondern seine spätere Freundin Elisabeth verriet mir irgendwann auch, dass sie einen Onkel hätte, der sich in Hanau, bei Frankfurt, mit Plutonium beschäftige und da sogar GF sei: ohne es zu ahnen – legte sie mit dieser Aussage letztlich meinen weiteren Berufsweg fest!

Denn als ich Ende der 60-iger Jahre mein Studium abgeschlossen hatte, schrieb ich tatsächlich diesen Onkel an und wurde sofort zu einem Vorstellungsgespräch bei einer Hanauer Nuklearfirma eingeladen.

Und was war das für eine unfassbare Überraschung! Als ich da zu einem Dr. Ernst Knoglinger, dem viel bewunderten Mittelfeldspieler der Peuerbacher Fußballmannschaft geführt wurde, der nun Geschäftsführer einer neu gegründeten RWE-Tochterfirma war, die sich auf nukleare Dienstleistungen spezialisieren wollte…

Nun –  als ehemaliger Peuerbacher und mit meinen hervorragenden Zeugnissen war natürlich schnell alles klar und ich verbrachte dann tatsächlich mein gesamtes Berufsleben bei dieser Hanauer Nuklearfirma.

Und dies trotz der Tatsache, dass in den 70-ger-80-iger Jahren unser Firmengebäude, im neu ausgewiesenen Hanauer Industriegebiet, zweimal tagsüber mit Gewehren beschossen wurde, und unser viele Millionen D-Mark teures Rechenzentrum auch noch nächtens mit Molotov-Cocktails abgefackelt wurde, weil unsere deutsche Mutterfirma angeblich Länder der Dritten Welt kapitalistisch ausbeutete.

Doch geschäftlich ging es, insbesondere in meinem Bereich, steil nach oben: so erledigten wir – beispielsweise – nicht nur für einen Gutteil der deutschen Kernkraftwerke die jährlich notwendige Uranbrennstoffeinsatzplanung, sondern führten auch die Japaner an die damals sehr fortschrittliche deutsche Plutoniumrückführung in Reaktoren heran, und statteten die kanadischen Kernkraftwerke, gegen starke amerikanische Konkurrenz, mit den ersten computergestützten Ausbildungsprogrammen aus, wofür wir damals sogar den Hessischen Wissenschaftspreis bekamen.

Und mit selbst entwickelter Software zur Luft – und Abwasserüberwachung nach deutschen Richtlinien, auf weit über 1000 Schadstoffrechnern, sorgten wir neben Deutschland auch in etlichen anderen Ländern Europas für eine deutlich bessere Umweltsituation!

Doch Peuerbach in O.Ö –  war während all dieser Zeitläufte natürlich auch immer präsent!

Da ging es ebenfalls munter voran: so hatte meine Pflegeschwester Doris nämlich dort zwischenzeitlich den Direktor der größten OÖ Sonderschule für behinderte Kinder geheiratet und der war, wie könnte es anders sein, der einstige grandiose Flügelstürmer Ernst Schmidauer! So dass ich endlich nicht nur alles über sein erfülltes Fußballerleben und seine musikalischen Leistungen als Kapellmeister und  Chorleiter erfuhr, sondern auch von klein auf, zusammen mit meiner Frau, seine äußerst liebenswerte Tochter ins Herz schließen konnte, die nach erfolgreichem Studium in Wien und anschließender Geschäftsführung der Grünen Fraktion Österreichs, als Gattin des österreichischen Bundespräsidenten, nun schon in seiner zweiten Amtszeit höchst erfolgreich die First Lady Österreichs repräsentiert – und damit immer und immer wieder in mir höchst freudvolle Respektgefühle auslöst, doch diesmal von einer Qualität, die mir stets Tränen in meine alten Augen treibt.

Und diese ’seltsamen Respekt – Tränen‘ zeigen sich auch, wenn es neuerdings um unsere Tochter geht, seit sie letztes Jahr dem Ruf der Technischen Universität Dresden gefolgt ist und dort den Lehrstuhl für ‚Baugeschichte und Architekturtheorie` übernommen hat. Schlimm ist das, bin ich denn auf meine alten Tage etwa noch zum ‚Heuler‘ geworden?

KH

PS: Das Foto zeigt das heutige Eingangstor der TU Wien

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2 Antworten

  1. Das ist eine coole Geschichte.
    Selbst habe ich nie verstanden, wie jemand auf die Idee kommen kann, daß Karriere planbar wäre.
    Und überrascht bin ich vom Dekan: Das waren zwei verdammt gute Fragen. Die Lösung mit dem senkrechten Wurf nach oben müßte ich durch Gleichsetzung von v0 * t und s = 1/2 at^2 erst einmal ausrechnen, beides nach t auflösen und gleichsetzen. Also, ich wäre da durchgefallen. Auch heute noch, denn ich benutze kein gugel.

    Schade nur, daß die Dekane heute nicht mehr so gebildet und klug sind und die Schüler auch nicht.
    Die würden sagen, „Heute hat man Multimeter, wozu brauche ich diese antike Technik ?“.

    Da möchte ich Ihren Bezug auf „Respekt“ aufgreifen:
    Die Beschäftigung mit Charles Wheatstone oder beispielsweise der Quadriga Mach, Planck, Boltzmann und Einstein ist auch eine Art, jemandem Ehre zu erweisen.

    Interessant fand ich auch, daß es Ihnen in jungen Jahren gelungen ist, die eigenen Grenzen zu erkennen (in Bezug auf das Fußballspielen).

    Chapeau !

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