Nach „Hilfe! Wer erlöst mich…“ kommt jetzt ein weiterer Krimi über einen neuen seltsamen Vorfall in Rodenbach! Und zwar wie bisher am Donnerstag und Sonntag im Blog sowie im Facebook in meiner Story –  dieses Mal sind es 18 Kapitel!  

Kapitel 3

Untergetaucht

Für die Rodenbacher Bevölkerung war Udos verschwinden natürlich eine willkommene Sensation, über die man gar nicht lange und ausführlich genug reden konnte. Geradezu liebevoll wurden die alten Geschichten über Udo und seine Familie von Mund zu Mund gereicht und mit zärtlich böser Zunge alles weggeleckt, was Udo menschlich erscheinen ließ.

Kein Wunder, dass es in Rodenbach bald niemand mehr gab, der dieses böse Ende nicht kommen gesehen hat. Nur die Seidlers wollten nie wahrhaben, wie es um ihren Udo eigentlich stand. Immer wieder hatte man sie beschworen den Udo doch im Haus zu halten. Auch bei der Gemeinde hatte man sich unzählige Male über den unappetitlichen Trottel vor der Post beschwert; aber alles umsonst. Nie wurde etwas unternommen. Bis es zu spät war und das Unglück passiert war.

Aber so war das ja immer!

Der dicke Wurzer, ein pensionierter Polizist, aus den Tagen als Rodenbach noch die Polizeistation hatte, sagte zu Karl Korn, der ewig einen in der Krone hatte, „wenn ich noch etwas zu sagen hätte, dann wär’ der Udo schon vor Jahren hinter Schloss und Riegel gekommen!“

„Der war damals schon eine Zumutung für alle und ist es heute noch immer“!

„So etwas kann man einfach nicht frei herumlaufen lassen, so etwas gehört weggesperrt“!

„Der lungert doch bei jedem Wetter, Tag und Nacht, Sommer und Winter da auf der Hauptstraße vor der Post herum, wo alle vorbeifahren müssen! Und abgesehen davon wie der ausschaut, wusste man doch bei dem echt nie wie man dran war. Wenn der so herumgegrunzt hat, war das oft wirklich peinlich und unheimlich, echt unheimlich!“

Karl Korn suchte einen Moment lang Halt und stützte sich unauffällig auf die Verkaufstheke. Er sagte, “früher hat es das nicht gegeben. Vor dem Krieg sind solche Missgeburten einfach verschwunden. Das ging ratzfatz! Ein gesunder Volkskörper muss die Kraft haben sich von solchem Unrat zu trennen! Das erfordere der Wille zur Sauberkeit“.

Im Zeitungsladen war plötzlich betroffenes Schweigen. Diesen Ton kannte man von früher; davon hatten alle genug; egal wie widerlich der Udo auch war, das wollte man nicht wieder hören!

Der dicke Wurzer war auch verlegen geworden. Er klopfte Karl Korn freundschaftlich auf die Schulter, „der Karl ist immer noch der alte Kämpfer von früher, gelt“, sagte er, nahm schnell seine Zeitung und verschwand. Die anderen Leute im Geschäft sagten auch nichts mehr. Sie versuchten an Karl Korn vorbeizuschauen und bezahlten schweigend ihre Zeitung oder den Lottoschein.

Karl Korn schien das alles nicht zu merken; er fing immer wieder vom Volkskörper an, der alles Krankhafte abstoßen müsse; einfach abstoßen! Als er endlich rülpste waren alle froh: das war wie immer das Zeichen zum Aufbruch! Vorsichtig wankte er aus dem Geschäft.

Da Udo nicht auftauchte, leitete die Polizei die Fahndung nach ihm ein. Ein paar Mal fuhren auch Lautsprecherwagen der Polizei durch Rodenbach, Bruchköbel und andere Nachbarorte, gaben eine genaue Beschreibung von Udo Seidler durch und forderten die Bevölkerung auf, bei der Suche nach Udo mitzuhelfen. Aber diese Aufforderung war gar nicht notwendig: die meisten Leute in Rodenbach waren auch so hinter Udo her. Viele durchsuchten systematisch ihre Keller, Gärten und Wochenendhäuser, ja man bildete sogar kleine Suchtrupps, die in den umliegenden Wäldern hinter jeden Strauch und in alle Mauselöcher schauten. Manche Eltern verboten ihren Kindern, bei Einbruch der Dunkelheit alleine auf die Straße zu gehen, und es gab sogar Erwachsene, die Angst vor dem blöden Udo hatten. Dabei hatte der Udo noch nie irgendjemand etwas getan; abgesehen von dem Faustschlag auf Ungers Nase.

Aber so sehr man auch suchte, forschte und herumspionierte, man fand weder eine Spur, noch irgendeinen Anhaltspunkt. Udo wurde weder daheim gesehen, noch irgendwo im Ort oder in den umliegenden Wäldern. Niemand hatte auch nur die leiseste Ahnung, wo der Udo stecken konnte. Dabei waren die Nächte oft schon sehr kalt. Und besonders ausgerüstet war er ja nicht gewesen, als er weggelaufen ist. Nach Aussage von Berta Seidler hatte er eine alte graue Flanellhose von seinem Vater an, dazu ein blaurot kariertes Hemd, einen alten schwarzen Pullover, und darüber trug er eine viel zu enge grüne Cordjacke, dass er vor einem Jahr von Manfred übernommen hatte und deswegen heiß liebte. Udo musste immer die alten Sachen auftragen. „Was Neues ist viel zu schade für ihn“, sagte Berta Seidler, „der Udo passt ja auf die Sachen eh nicht auf und da er bei jedem Wetter draußen ist, ist ja alles gleich kaputt“!

Seidlers hatten natürlich auch alle ihre Verwandten und Bekannten in den Nachbarorten verständigt, und bei Ingeborg, ihrer Schwester in H., rief Frau Seidler fast täglich an. Aber Udo tauchte auch da nirgendwo auf.

Vielleicht war er ja gar nicht mehr in dieser Gegend? In zwei Wochen konnte man selbst schon zu Fuß ziemlich weit kommen. Was Anderes kam für Udo auch nicht in Frage. Es sei denn er hätte größere Mengen Geld dabeigehabt. Wenn er nur einen Bruchteil dessen zu Geld machen hatte können, was gestohlen worden war, brauchte man sich um seine Existenz keine Sorgen zu machen. Um dieses Geld konnte sich selbst ein Trottel die Hilfe und Verschwiegenheit anderer erkaufen. Solange das Geld reichte, gab es da sicher keine Probleme.

Als Udo auch nach drei Wochen noch nirgends gesehen worden war, wurde sowohl im Radio als auch im Fernsehen eine Fahndungsmeldung durchgegeben, und in den regionalen Zeitungen wurde der Bevölkerung des Öfteren die Gefährlichkeit von Udo vor Augen geführt. Manche befürchteten, dass er sich in der Zwischenzeit sogar bewaffnet hatte. Und da er im Kopf nicht richtig war, traute man ihm auch jede Scheußlichkeit zu, das war wie früher, da hatte sich wenig geändert.

Und dann wurde wieder im Wasa-Markt eingebrochen!

Die Rodenbacher packte die blanke Wut: da suchte man mit weiß Gott wie viel Polizisten in ganz Deutschland nach Udo Seidler und dabei saß der gemütlich irgendwo in der Nähe in einem Schlupfloch und raubte von da den Wasa-Mart aus. Gerade wie es ihm passte! Und das trotz Videoüberwachung! Und trotz verstärkter Wachmannschaft! Das war schon ein Ding! Und genau wie beim letzten Mal war wieder die Eingangstür einfach eingerammt worden, diesmal allerdings mit einem Vorschlaghammer. Und gestohlen wurden wieder jede Menge Stereoanlagen, Fernsehapparate, Tonträger, Autoradios, aber auch Schnäpse, Wein, Sekt und Whisky. Und erstmals auch Kleider und Lebensmittel, vor allem warme Winterbekleidung, Konserven und abgepacktes Brot. Es war gerade, als hätte sich jemand für einen längeren Winterschlaf eingedeckt. Und wer dieser „Jemand“ war, war für die Rodenbacher auch klar. Erstaunlich war nur, wie er das Zeug alles wegschaffen hatte können. Auf einen Handwagen passte das jedenfalls nicht drauf. Es war auch schwer vorstellbar, wie ein Mann allein das hätte bewerkstelligen können. Da mussten schon mehrere zugange gewesen sein. Und ein Auto mussten die auch gehabt haben; anders war das gar nicht zu schaffen gewesen!

Nach Meinung der Leute in Rodenbach und auch der Polizei war das ein klarer Beweis, dass Udo Komplizen hatte. Wahrscheinlich hielten die ihn auch versteckt. Nur deshalb konnte er auch so spurlos verschwinden, alleine hätte er das nie geschafft.

Georg Seidler ging sogar so weit zu behaupten, dass irgendeine skrupellosen Bande sich des Udos bemächtigt habe und ihn zu den Einbrüchen zwang! Vielleicht erpressten die ihn sogar mit irgendetwas!

Aber der dicke Wurzer und Karl Korn wollten davon nichts wissen; sie sagten „der Udo ist schlecht genug, um das alles selbst auszuhecken. Wer weiß schon, mit welchem Lumpenpack der schon die ganze Zeit zusammengesteckt ist“.

„Und zum Einbrechen war noch nie jemand zu blöd“, sagte der dicke Wurzer, „schließlich war ich lange genug Polizist, um das sagen zu können“.

„Und das Schlimmste an der ganzen Sache ist“, sagte er, „dass wieder alles haargenau wie beim letzten Mal abgelaufen ist. Und natürlich hat wieder einmal niemand etwas gehört und gesehen! Nicht einmal die neue Wachmannschaft! Das ist schon mehr als komisch“.

Und genau wie beim letzten Mal hatten sich die Einbrecher wieder eine stürmische Regennacht ausgesucht, in der das Getöse der berstenden Scheiben im Sturmgeheul unterging und wo mit Sicherheit um drei Uhr morgens kein Schweinchen unterwegs war.

Und Nachbarhäuser, in denen man etwas hören hätte können, gab es da draußen nicht. Der Wasa – Markt war ja gleich neben dem Schwimmbad mitten auf die grüne Wiese gestellt worden. Zu Fuß war das ein ganz schönes Stück Weg, ältere Leute ohne Auto oder Fahrrad konnten da gar nicht mehr einkaufen. Was weiter nicht schlimm war, solange es noch die kleineren Läden im Ort gab. Aber im Laufe der Jahre wurden die immer weniger. Der Wasa – Markt machte sie alle fertig; so billig wie der konnten die kleinen Läden das Wenige, das sie noch verkauften nicht abgeben. Ja und so verschwand einer nach dem anderen von diesen Läden und fast niemandem fiel das weiter auf

Nur die Alten und Fußkranken merkten, dass sie nirgends mehr einkaufen konnten. Wer niemand hatte, der die Sachen vom Wasa – Markt mitbrachte, der schaute ganz schön dumm aus der Wäsche. Und so arg billig war er dann auch nicht mehr! Aber was half’ das schon, da konnten die Leute schimpfen so viel sie wollten; zu ändern war das jetzt nicht mehr.

KH

 

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