Warum mich…? (Kapitel 18)

Zur Abwechslung hier einmal ein ‚Thriller‘! Mit etwas Glück kommt jetzt jeden Sonntag ein Kapitel. Vielleicht haben einige die Nerven und halten bis zu  Kapitel 19  durch? 

Das Bild ist übrigens auch von Martina Roth.

Kapitel 18

2003 – Die Libelle

Boris und Celine!

Wladimir wusste, dass sie ein Paar waren und auch für andere Dienste arbeiteten! ‚W.S.’ war einverstanden, wurde berichtet; er wollte, dass jeder jeden überwachte und auf diese Weise erpressbar blieb; und zwar ausnahmslos! Nur auf dieser Basis und der ständigen Liquidierung von Wichtigtuern und Querköpfen, konnte sein unmöglicher Haufen von Vollidioten und Nullen, wie er angeblich zu sagen pflegte, geführt werden!

Alles andere wär’ Hühnerscheiße, soll er gesagt haben, stinkende Hühnerscheiße, wie er sie als kleiner Junge, auf dem verwahrlosten Bauernhof seiner Mutter zu seinem Leidwesen dauernd zwischen den Zehen hatte, wenn er barfuß durch die taunasse Wiese gestreift war.

Aus Ekel und zur Strafe versenkte er jedes Mal, sehr zum Leidwesen seiner verhärmten Mutter, eines der scheißenden Hühner, flatternd und gackernd, in der Jauchegrube; die Auswahl des fälligen Huhns bereitete ihm die meiste Freude, soll er gesagt haben. Er hatte sich dafür einen ausgeklügelten Plan zurechtgelegt, um die tumben Hühner möglichst lange im Ungewissen zu lassen; meist waren es dann Winzigkeiten, die über Tod oder Leben eines Huhns entschieden; ein aufgeregtes Gackern, ein unkontrolliertes Scharren, oder nur ein aufreizendes Neigen des blöden Hühnerschädels…

Und da ‚W.S.’ diesen Fälligkeitsplan gerüchteweise eins zu eins auf die Mannschaft seines Geheimdienstes übertrug, konnte er genau sagen, wann welches Verbandsmitglied sich am ‚Rand der Jauchegrube’ befand!

Hugo war offensichtlich noch ein Stück davon entfernt, oder lag es daran, dass er auch zur ‚Organisation’ gehörte und ‚W.S.’ ihn brauchte?

Jedenfalls konnte er immer noch seine Spielchen spielen und bekam immer noch alle Infos, die er brauchte: sei es als Gegenleistung für andere Informationen, sei es in Form von Geld oder Sex, oder über Erpressungen; überall hatte er Leute sitzen, die ihm Informationen zuspielten. Und jede Schandtat geschah natürlich im Dienst der Sache, deren Ziele ‚W.S.’ monatlich definierte und per Funk seinen Wasserträgern verschlüsselt vorgab! ‚W.S.’ war angeblich noch nie von jemand gesehen worden. Klagen über seine Anonymität waren ziemlich gefährlich und laut geäußerte Zweifel an seiner Existenz im wahrsten Sinn des Wortes tödlich.

Er galt als der ‚Unaussprechliche’ wie seinerzeit Jahwe…

Aber ‚W.S.’ schätzte offenbar Hugos effektive Arbeitsweise!

Dieser pfiffige Bursche wäre Gold wert, soll er einmal mit seiner milden synthetischen Stimme gesagt haben, als er über die entsprechenden Informationskanäle dessen Skrupellosigkeit lobte…

Wladimir hatte viel getan, um Hugo in die Nähe der ‚Jauchegrube’ zu bringen; leider bisher ohne Erfolg; ja beinahe wäre er selber hineingestolpert…

Bei Boris wagte Wladimir keine Prognose mehr, was seine Überlebenschancen betraf; der besprang zu viele Hühner gleichzeitig! Der sagte viel zu unverfroren wie grandios er fände, dass Hühner sich nach dem Erguss ihrer aufgeregten Hähne einfach nur abschüttelten und weiterpickten. Celine konnte das prima und Karin sogar perfekt! Und viele andere auf denen er herumgeturnt war auch, wie er gerne in Bierlaune erzählte – ‚W.S.’ schätzte diese Vergleiche aber angeblich nicht: Hühner waren sein Privileg und für andere tabu! Dabei hatte Wladimir gehofft, dass Boris durch den weiteren Ausbau der Restaurantkette ‚Wladimir’ ausgelastet sein würde; war aber nicht so. Und Celine hatte die Vase auf ihrem Kopf auch nicht richtig verstanden! Schade, war als Orientierungshilfe gedacht gewesen…

Tröstlich war nur, dass wenigstens Elsbeth die gleichen Vasengelüste gehabt hatte wie er: ihre spontanen Ausbrüche von Aggression waren seinen sehr ähnlich! Auch ihre Gnadenlosigkeit. Er mochte sie, an ihrer Seite kam er sich nicht so schäbig vor, da sie genau so tickte wie er; aus welchen Gründen auch immer. Wenn nicht dieser verdammte Aljoscha und die unselige Karin von Anfang an zwischen ihnen gestanden wären, hätten sie bestimmt schon viel früher ein unschlagbares Duo abgegeben.

Aber Vorsicht – ‚W.S.’ schätzte solche Teams oder Duos, wie man hörte gar nicht; sie mussten beide höllisch aufpassen! Soweit er wusste war ‚W.S.’ viel zu misstrauisch und empfindlich! Vielleicht auch ängstlich. Niemand wusste das und niemand wagte darüber ernsthaft nachzudenken, geschweige denn darüber zu reden, denn irgendwann verplapperte man sich ja doch.

„Jeder gegen jeden“, das war eine der fundamentalen Verhaltensregeln, die ‚’W.S. aufgestellt hatte. Jeder musste jeden bespitzeln, denunzieren und regelmäßig über sein Umfeld schriftlich berichten, alles andere war unakzeptabel! Wer sich daran hielt, hatte ausgesorgt, wer dagegen verstieß kam unter die Räder. Es gab zwar gelegentlich so etwas wie eine zweite Chance, was auch geschätzt wurde, aber danach war jeder Abweichler erledigt; ein milder schneller Tod war noch das Beste was ihm widerfahren konnte…

Bestimmt hatte sich Paul M. auch einen alles entscheidenden Ausrutscher geleistet – und war prompt versenkt worden. Manchmal reichte für das tödliche Finale eine Bagatelle! Ein ungenehmigtes Bild mit ‚W.S’. – Initialen konnte schon reichen! Selbst wenn das Bild ein Geschenk war; Paul M. wusste einfach zu viel, wohl auch über ‚W.S.’ Ein Glück, dass ein ergebener Gefolgsmann nie wusste, wann ihn das Schicksal ereilte. Ja er gewöhnte sich sogar an diese permanente Ungewissheit. Es war grad so, als wäer zwischen Himmel und Erde provisorisch ein ‚Zwischenhimmel’ eingezogen worden, von dem aus ‚W.S’. gottgleich agierte; mehr war das nicht. Letztlich nur eine minimal veränderte Schicksalsvariante…

Auf Johannes musste Wladimir aber achtgeben: Brüder waren immer gefährlich! Wenn die, plötzlich Beschützerinstinkt, entwickelten, wusste man nie wie das endete. Und mit ‚Carlos’ im Hintergrund tickte da auf jeden Fall eine Zeitbombe! Wladimir wusste, dass W.S. ausgerechnet bei ‚Carlos’ nicht den vollen Durchgriff hatte; leider mischten da noch ein paar Andere mit. Karin, dieses Luder hatte sich ja auch oft damit gebrüstet! Hoffentlich stieß der bald etwas zu…

Leider wurde Wladimir in letzter Zeit selbst oft von schlimmen Unruhephantasien geplagt! War das ganz normale Angst? Oder eine Alterserscheinung? Oder was war das? Immer häufiger schreckte er neuerdings nachts hoch – sah sich Schweiß gebadet als jämmerlichen Wurm auf einem Grillspieß zappeln, der panisch einem großen Rabenvogel zu entkommen versuchte, dessen Schnabel in einem festen Zeittakt knarrend auf und zuschnappte – auf und zu – emotionslos, gnadenlos… Nur durch sein unentwegtes Gezappel und permanente Ruhelosigkeit hatte der Wurm sich bisher vor diesem Schnabel retten können. Aber er merkte von Mal zu Mal, dass seine Kräfte nachließen…

Beunruhigt steckte sich Wladimir eine Zigarillo an, nahm sein Wodkaglas und setzte sich leer und ausgelaugt auf seinen Balkon. Trotz des gestrigen Regens war die Nacht ekelhaft heiß und klebrig.

Er hatte die gleiche Aussicht wie Elsbeth, die zwei Stockwerke tiefer vielleicht auch auf ihrem Balkon in die Nacht starrte.

Vor der Endlosigkeit des Meers und den tausenden weißen Schaumkronen marginalisierten sich seine Alpträume Gott sei Dank jedes Mal. Und die aufgehende Sonne vertrieb erst recht die Gespenster! Das Böse schien im Licht keine Chance zu haben. Das war auch gut so, denn nur in der Sonne blieb ihm die Hoffnung, dass er immer noch bei W.S. einen Stein im Brett hatte. Vielleicht aber auch nur noch, bis die russische Enklave in Chaumée fertig gebaut war? Er war ja von Anfang an dabei gewesen und wusste viel! Das machte ihn wertvoll. Aber hoffentlich nicht zu wertvoll! Man durfte nie aus der Schar herausragen. Warum hatte er keine innere Ampel, die bei Gefahr genügend schnell von Grün auf Gelb und Rot schaltete, oder sonst irgendeinen Gefahrensensor? Er verstand die panikartige Reaktion von Professor Anatoli T. nur allzu gut; weder er noch der Professor würden es jemals ertragen, wenn Aljoscha bei Dr. Hugo L. oder Dr. Karin S. landen würde! Und mit ihm die üppigen jährlichen Versorgungsgelder, die sein Leben versüßen sollten! Nein, das durfte unter keinen Umständen passieren. Zusammen mit Katja musste er schnellstens diese gottverdammte Jugendlichkeit bei Elsbeth herbeizitieren, da gab es kein vertun mehr, das musste einfach gelingen. Professor Anatoli T. hatte gesagt, dass er nur ein einziges Treffen zwischen Aljoscha und Elsbeth noch abwarten wollte. Das war die allerletzte Chance!

Wenn das auch nicht klappen sollte, dann musste er sich etwas Neues einfallen lassen und eventuell doch mit Dr. Hugo L. zusammenarbeiten oder mit einem seiner Kollegen. Rein von der Gesichtschirurgie aus betrachtet, hatten die Mitarbeiter dieses Instituts wohl doch allerhand drauf, ob einem das nun passte oder nicht! Aber es gab sicher auch andere gute Plastische Chirurgen, und manchmal hatte Professor Anatoli T. ohnehin schon gedacht, dass er den Aufbau einer derartigen Abteilung beschleunigt vorziehen sollte, um Hugo besser Paroli bieten zu können. Die notwendigen Gerätschaften waren ja längst bestellt…

Die zwei Tage mit Katja und Elsbeth waren für Wladimir auch anstrengend gewesen; entsprechend erschöpft und lustlos durchstreifte er daher nach der kurzen Entspannungsphase auf dem Balkon, von seiner ‚geheimen Zentrale’ aus, die in keinem Gebäudeplan eingezeichnet war, routinemäßig noch schnell alle Räume, die von ihm überwacht werden mussten.

Leider gehörte Aljoschas Raum nicht dazu; das machte vielleicht der Professor selbst. Wobei niemand wusste, ob Aljoscha überhaupt in der Enklave war. Der konnte gut auch in Moskau oder sonst wo sein; niemand kannte seinen jeweiligen Aufenthalt.

Und dann leider auch immer wieder die quälende Frage: wie jugendlich wirkt Elsbeth denn auf Fremde und Bekannte wirklich? War es den überhaupt realistisch, das von ihr zu verlangen? Oder nur ein Hirngespinst von ihm, dass das möglich sein würde?

Nicht zuletzt wegen dieser Fragen, gab sich Wladimir ohne zu zögern jeden Tag aufs Neue die Erlaubnis Elsbeth doch heimlich zu beobachten, obwohl er ihr geschworen hatte, das nie ohne ihr Wissen zu tun. Na ja, manchmal liefen eben die Dinge anders als man das wollte.

Aber jetzt war Celine bei ihr!

Gestern hatte er Celine erwischt, wie sie mit Boris gevögelt hatte, beziehungsweise er mit ihr –  wie Hahn und Henne – hatte er sie abgefertigt.

„Beim nächsten Treffen werde ich Aljoscha direkt angehen“, sagte Elsbeth seltsam aufgekratzt zu Celine. Sie saßen beide gemütlich auf Elsbeths grüner Sitzgarnitur, tranken irgendetwas aus hohen schlanken Gläsern und rauchten.

„Wladimir und der Professor müssen mir das zugestehen.

Schließlich hab’ ich ja in den vergangenen Jahren recht erfolgreich gelernt wie man dieses angeblich so starke Geschlecht erfolgreich in die Knie zwingt.“

„Hast du das?“

„Ja – schon…“

„Du bist mir vielleicht eine?“

„Na- na, komm mir nicht so! Ich sage nur Boris…“

„Wieso Boris?“

„Du weißt schon…“

„Sag bloß, dass du von Hugo doch etwas gelernt hast; das habe ich ja noch nie von dir gehört?“

„Freiwillig sicher nicht, aber wie du ja weißt, gab es in den allermeisten Fällen kein Entkommen bei Hugo…“

„Du willst doch hoffentlich nicht damit andeuten, dass ich auch etwas mit ihm…“

„Ich deute gar nichts an, ich sage nur, dass es interessant wäre zu wissen, wie Aljoscha mit seinem Handikap reagiert, wenn man ihn bei seinem besten Stück packe?“

„Ferkel!“

„Ich meins doch wissenschaftlich“, kicherte Elsbeth und prostete Celine zu.

„Immerhin ist es ja interessant“, sagte Celine süffisant, „dass du erstmals direkt zugibst von Hugo in Sachen Liebe oder Sex, was immer es sein mag, einiges gelernt zu haben?“

„Er aber auch von mir.“

„Das kam ja schnell!“

„Ist doch wahr, schließlich kam ich ja nicht aus der Klosterschule“.

„Was ich auch nie vermutet hatte“.

„Und von Liebe wollen wir schon gar nicht sprechen. Darum ist es bei Hugo Gott sei Dank nie gegangen“.

„Sondern…?“

„Warum glaubst du denn, dass dieser Typ Hugo nicht von mir lassen kann? Sicher nicht weil ich so anmutig am Weinglas nippe…“

„Und warum dann?“

„Weißt du, du neugieriges Näschen, ich will dir einmal etwas sagen. Wenn man so wie ich monatelang bis zur Halskrause in der Scheiße sitzt, da beginnen schon einige Zellchen unter der Schädeldecke zu arbeiten und zu fragen, ob das immer so weitergehen muss, oder ob es vielleicht einen Ausweg geben könnte, sozusagen einen Ausgang aus der Scheiße!“

„Mit Ausgang meinst du vermutlich Eingang?“

„Richtig, ich mein den Eingang durch den Hosenstall, den Notzugang zum Mann, der immer ankommt…“

„Du abgebrühtes Luder, dabei tust du immer so brav und so leidend ..“

„Ach Celine tu doch nicht so, du und Boris, was ist denn das?“

„Was du immer mit Boris hast, da ist nichts, das musst du mir glauben.“

„Ich glaub dir alles, was du willst, liebe Celine, ich weiß doch, dass das unter ungünstigen Umständen ganz schön gefährlich für mich sein könnte, wenn ich dir nicht glauben würde“.

„Was soll denn das nun wieder, Elsbeth?“

„Ach lass nur, wir wollen nicht streiten, du weißt ja, dass ich schon auf mich aufpassen kann und ganz schön wehrhaft bin, wenn ich Gefahr wittere…“

„Das ist ausreichend bekannt und auch, dass du dann auf niemand Rücksicht nimmst, nicht einmal auf dich selbst…“

„Wenn es um Medikamente geht, dann achte ich schon auf mich und das war auch der Grund, dass ich mich auf Hugo eingelassen hatte, denn immer, wenn ich seine Wünsche erfüllte musste ich weniger schlucken. Medikamente meine ich! Oft konnte ich ganze Testprogramme auslassen. Aber vielleicht habe ich ihn ja sogar auch einmal eine kurze Zeit irgendwie mögen…“

„Also doch…“

„Aber sag warum erzähl ich dir das alles?“

„Weiß ich nicht? Vielleicht spürst du, dass du in Kürze vor einer großen Bewährungsprobe stehen wirst, um die ich dich in keiner Weise beneide…“

„Ich mich auch nicht…“

„Hoffentlich packst du’s! Ich wünsch’ dir das so sehr, Elsbeth“.

„Weißt du ich versuche das gelassen an mich herankommen zu lassen, denn ich habe außer meiner gelegentlichen Aggressionslust noch etwas an mir entdeckt, etwas das sich als ganz starke Waffe erwiesen hat, gegen die fast alle machtlos sind…

„Waffe?“

„Ja Waffe! Diese Waffe heißt ‚Gefügigkeit’… – wer auf richtige Weise gefügig ist, ist nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen schwach, sondern im Gegenteil stark! Und zwar bärenstark! Man muss nur wirklich alles aushalten können. Und zwar wirklich alles…“

„Und das geht?“

„Ja, nur manchmal muss man brutal Dampf ablassen – und stechen…“

„Oh – Gott“

Wladimir drehte verwirrt die Überwachungsanlage ab. Dass Celine auch erschrocken war über dieses Geständnis hatte er nicht mehr mitbekommen.

Aufgewühlt stierte er mehre Minuten lang vor sich hin; er langte ganz bewusst nicht gleich zur Wodkaflasche; das wär jetzt verheerend gewesen. Zum tausendsten Mal verfluchte er seine verdammte Schnüfflerobsession …

Warum musste er immer wieder seine Nase in diesen aufgewühlten Dreck stecken, wo er doch in Elsbeth so gern nur das arme Opfer sah; ein Opfer mit schweren posttraumatischen Störungen, dem man helfen musste; trotz aller Gewalttätigkeit, die manchmal aus ihr herausbrach. Aber dieses aggressive Verhalten spiegelte doch nur ihre Unsicherheit wider und ihre Angst, gegen die sie naiv wie ein Kind vergeblich ankämpfte; diesem Kind zu helfen war bisher sein ganzes Glück gewesen! Es war ein Glück, das so zart und zerbrechlich war und keiner Gegenleistung bedurfte.

Und dann immer wieder solche ekelhaften Bekenntnisse, bei denen nur ganz wenig Schwäche zu sehen war. Wie passte denn das eben Gehörte mit seinem gottverdammten kleinen Glück zusammen, das er für Elsbeth so intensiv spürte? Wladimir schrie die Frage laut aus sich heraus und schleuderte dann doch eine leere Wodkaflasche in hohem Bogen gegen eine der drohenden finsteren Palmen.

 

Ja und er war dann komischer Weise auch nicht mehr sonderlich erstaunt als Elsbeth in den nächsten Tagen wie eine Berserkerin arbeitete. Er ahnte, dass sie die Entscheidung suchte, egal wie sie aussehen mochte! Ihre Energie schien plötzlich unerschöpflich. Unter sechs Stunden „Elsbeth ist jung“ ging es nicht mehr! Sie übte täglich bis zur vollkommenen Erschöpfung ihrer Partner. Katja war diese Verbissenheit unheimlich! Sie spürte bangen Herzens neues Unheil aufsteigen. Nur der Professor strahlte, endlich schienen ihm die Probleme doch lösbar? Und W.S. würde ihn loben und reichlich entlohnen…

Mit geheimnisvoller Miene vertraute er Wladimir und Elsbeth an, dass Aljoscha schon seit Tagen in der Enklave war; in einem Apartment des Wohnblocks 3, der mit einem zusätzlichen elektrischen Schutzzaun umgeben war. Elsbeth bekam immer Gänsehaut, wenn sie daran vorbeiging; für sie war das ein unsägliches DDR – Überbleibsel!

Und ausgerechnet dort sollte Elsbeth ihn treffen!

Aber erst, wenn sie sich bereit fühle, sagte der Professor, da käme es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an. Aljoscha sei auch soweit vorbereitet!  Was natürlich bei ihm nicht ganz so einfach wäre wie bei ihr: ihm könne man nicht sagen, dass er in wenigen Tagen eine für ihn wichtige Persönlichkeit treffen würde, auf die er sich schon lange freue! Denn zehn Minuten später wäre so oder so, alles aus seinem Hirn gewischt. Ja und selbst wenn man ihn auf das Ausführlichste mit der Tatsache konfrontiert hätte, dass Elsbeth käme – endlich seine über alles geliebte Elsbeth –  und er spontan übergeschäumt wäre vor Freude, wäre nach wenigen Minuten alles weg gewesen…

Aber am 30. September um 20 Uhr Abend war es soweit!

Elsbeth stand wirklich vor Aljoschas Apartment und versuchte sich noch ein letztes Mal zu konzentrieren…

Sie wusste, dass sie von Wladimir und Professor Anatoli T. über eine Videokamera beobachtet wurde und hatte ganz offiziell ihre Einwilligung gegeben. Und vielleicht, wenn die beiden jetzt sahen, wie sie am ganzen Körper vor Aufregung zitterte erinnerte sich ja Wladimir auch jetzt in diesem Moment an die kleine frisch geschlüpfte Libelle, die sie einmal zusammen gesehen hatten, die nach einer kurzen Ruhepause in der sie total schutzlos war mit ihren noch weichen aufgeblasenen Flügeln so zu zittern anfing, dass sie beide schon Angst hatten sie würde jetzt sterben, aber sich stattdessen plötzlich abhob und zielstrebig fort flog …

Elsbeth klopfte zaghaft an Aljoschas Apartmenttür!

Es dauerte eine ganze Weile bis die Tür aufging und Elsbeth auch für die Kamera verschwand. Wladimir und der Professor schauten sich erleichtert an, lächelten und hoben sichtlich zufrieden ihre rechten Daumen.

Wenn sie allerdings gewusst hätten, dass Elsbeth auf der Innenseite ihres linken Oberschenkels, kunstvoll befestigt, ein Messer mit sich trug, wäre ihr Lächeln vermutlich weniger befreit ausgefallen…

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