Warum mich…?(Kapitel 7)

Zur Abwechslung hier einmal ein ‚Thriller‘! Mit etwas Glück kommt jetzt jeden Sonntag ein Kapitel. Vielleicht haben einige die Nerven und halten bis zu  Kapitel 19  durch? 

Das Bild ‚ Ahorn und Seide‘ ist übrigens von Martina Roth.

 

Kapitel 7

2000 –  Der Hass

Oberflächlich betrachtet war Elsbeth mit ihrem neuen Zimmer im umgebauten Klinikum zufrieden! Da der gesamte ehemalige Gutshof ihrer Eltern in den Neunziger Jahren nicht nur renoviert, sondern auch durch etliche neue Gebäudeteile ergänzt worden war, hatte sie aber keinerlei Vorstellung mehr, was in ihrem jetzigen Zimmer mit der Raumnummer  233,  früher war. In dem  Zweibettzimmer im zweiten Stock stand nur ein Krankenbett.

Der L- förmige Grundriss ermöglichte an der durchgehenden Fensterfront eine Nische mit einer Sitzgruppe. Um den Tisch standen zwei Stühle und ein kleines Sofa, das Elsbeth  soweit verrückt hatte, dass sie wenigstens von einer Ecke im Raum das ungeliebte  Krankenbett nicht sehen musste.

Außerdem hatte sie an der Stelle des sonst  üblichen zweiten Bettes ihre Staffelei aufgestellt und eine kleinen Kommode, in der ihre Malutensilien verstaut waren. Dahinter lehnten an der Wand etliche frisch  bespannte Rahmen unterschiedlicher Größe.

Leider zeigte die Fensterfront auf ein anderes mehrstöckiges Klinikgebäude und einen Winkel des Innenhofes; die Sonne sah sie nur im Sommer um die Mittagszeit. Diese Lichtverhältnisse versprachen zwar eine angenehme Kühle im Sommer, unterstützten sie aber in keiner Weise beim Malen.

Die Vorhänge mussten wieder weg. Elsbeth hasste diese Staubfänger, die Wohnlichkeit vortäuschen sollten.

Das kleine Badezimmer mit Toilette wirkte modern und komfortabel; auch der geräumige Schrank neben der Eingangstür mit den moosgrünen Türen passte gut.

Dies alles konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch in dem neuen Zimmer, wie eine Gefangene gehalten wurde und Dr. Hugo L.  sie in jedem Winkel Tag und Nacht belauschte, beäugte und mit Medikamente voll stopfte…

Elsbeth könnte sich frei bewegen, hatte er damals gesagt als er ihr stolz das neue Zimmer gezeigt hatte, doch dass auf den Gängen alle Türen an denen sie rüttelte verschlossen waren und die Fenster verriegelt, hatte er zu erwähnen vergessen.

Nach Tagen der Suche fand sie immerhin einen Weg in den Innenhof.  Ab und an stieß sie da auch auf ausländisches Reinigungspersonal und ein paar Mal im Jahr auf einen jungen russischen Gärtner, der zwar die Anlage und die wenigen Sitzbänke sauber hielt, aber sonst jeden Blickkontakt mit Elsbeth mied und kein Wort sprach.

Elsbeth ließ die Wände in ihrem Zimmer kahl, schmückende Bilder fand sie unpassend und verlogen. Auch ihre eigenen selbst gemalten Bilder durften nicht aufgehängt werden. Wenn eines fertig war, bestand sie darauf, es zu entfernen. Dr. Hugo L. gab diesem Wunsch nach, da er immer noch auf einen Erfolg seiner Maltherapie setzte. Auch das von ihm so sehr geschätzte Bild „Ahorn und Seide“ wollte Elsbeth nicht in ihr neues Zimmer nehmen. Erst viel später als sie es umbenannt hatte, musste es unbedingt über ihrem Bett hängen.

Ab diesem Zeitpunkt legte sie auch wieder Wert auf ihr Äußeres und mied die unsäglichen Trainingsanzüge als Tagesbekleidung.

Morgens und abends erschien Dr. Hugo L. zur  Visite;  wenn er verhindert war, entfiel sie. Elsbeth nahm dann auch keine Medikamente, sondern  warf sie einfach ins Klo.

Die Ärztin Karin S. erschien zwar gelegentlich bei Elsbeth, führte aber nie eine Visite durch. Sie überließ auch nach der Neuordnung der Kompetenzen in Klinik und Hotel die ärztliche Betreuung von Elsbeth vollkommen ihrem Partner Hugo. Unter dem Vorwand notwendiger Untersuchungen versuchte dieser immer wieder Elsbeth näher zu kommen, was sie aber im Gegensatz zu früher zunehmend als ekelhaft und abstoßend empfand. Als sie versuchte durch gezielte Vernachlässigung unappetitlich auf ihn zu wirken, verlangte Dr. Hugo L., dass sie sich vor ihm wusch, was ihr noch unangenehmer war. Wenn Karin nicht im Haus war, wirkte Dr. Hugo L. oft heiter und gelöst. Es kam dann vor, dass er noch spät abends mit einer Flasche Krimsekt und einem Teller Austern bei Elsbeth auftauchte – und sich an ihr verging, wobei er stets darauf bestand, dass sie sich über ihr Krankenbett legte, da er ihr Gesicht nicht sehen wollte…

Diese Blockade, sagte er, ließe sich bei ihm erst abbauen, wenn sie ihr Gesicht von ihm neu gestalten ließe.

„Karins Gesicht auf ihrem Körper, davon träume er noch immer“, pflegte er zu sagen, wenn er die Hose wieder hochzog – und in Elsbeth die Gewissheit zeugte, ihn dafür eines Tages zu töten.

Karin war wie aus dem Ei gepellt und bestens gelaunt, als sie nach endlosen drei Wochen bei Elsbeth endlich wieder einmal auftauchte. Und wenn sie nicht, wie üblich, mit kleinlichen Klagen daherkäme, erzähle sie ihr gerne ein paar höchst spannende Dinge, sagte sie gut gelaunt und lud sie ein mit ihr um 12 Uhr in die Kantine zu kommen. Hugo sei nicht da!

Elsbeth zögerte, ging dann aber mit.

Neben der duftenden Karin fühlte sie sich minderwertig und schmutzig, selbst durch wochenlanges Duschen wär dieser Schmutz nicht wegzuspülen gewesen. In der großen, hellen Kantine, die auch neu war, wie Karin sagte, saß überwiegend weibliches Personal. Viele Russinnen wie es schien und etliche Frauen aus Kasachstan. Karin grüßte nach vielen Seiten. Sie dirigierte Elsbeth zu einem Tisch an der breiten Fensterfront. Elsbeth schaute erstmals bewundernd auf eine sehr gepflegte Gartenanlage mit weitläufigem Rasen; leider war es noch zu kühl um draußen zu sitzen.

Auf einen Wink von Karin kam ein weiß gekleidetes Mädchen mit abgedeckten Haaren und servierte Schweinebraten mit Sauerkraut und Klöße. Elsbeth tat erfreut, obwohl sie wusste, dass sie spätestens in einer Stunde auf das Sauerkraut Durchfall bekäme. Karin platze beinahe: wie früher konnte sie es kaum erwarten, bei Elsbeth ihre Neuigkeiten abzuladen.

Drei volle Wochen war sie auf Elba bei ihrem Cousin Erwin gewesen! Wahrscheinlich könne sich Elsbeth an Erwin überhaupt nicht mehr erinnern. Ihren Cousin, der mit Johannes seinerzeit in den Westen abgehauen ist.

Ein Künstlertyp, der in Italien unbedingt ein großer Maler werden wollte, was natürlich voll in die Hosen gegangen war, weil er viel zu blauäugig und untalentiert war. Egal wie, jedenfalls sei er nach ziemlich beschissenen Jahren in Florenz und später in  Rom und Pisa irgendwie auf Elba gelandet. Vielleicht wegen der tausend möglichen Verstecke , die es dort in den unzähligen aufgelassenen Erzstollen gab, wie er sagte. Komisch, wie?

Aber immerhin war er zum Unterschied von Napoleon freiwillig dahin, weil er dort, wie er ihr gestanden hatte, mit einer Gruppe von ähnlich gescheiterten Künstlern „Alte Meister“ kopieren konnte und  ziemlich erfolgreich an diverse Finstermänner verhökerte. Bei diesen Geschäften, bei denen er sich sehr bald mehr auf die Organisation des Verkaufs als auf die Malerei konzentrierte,  hatte er recht einflussreiche Leutchen kennen gelernt, die alles regeln konnten, was normalerweise nicht zu regeln war, wenn Elsbeth verstehe, was sie meine…

Und da Elsbeth verstand, was ihre liebe Freundin meinte, nickte sie oft und ausgiebig, was Karin ungebremst weitererplappern ließ. Über sie, sagte Karin, möchte der Erwin jetzt größer ins Ostgeschäft reinkommen, da seiner Meinung nach schon  jeder Japaner und Ami einen echten Guido Reni und Francesco Guardi von ihm hätte, wie er feixend zu sagen pflegte. Und sie, Karin, wollte schauen, wie sie über ihr Netzwerk ihm vielleicht helfen konnte; natürlich nur wenn sich das für sie auch lohnte, denn beim Geld höre die Freundschaft schnell auf…

Arm wär der Erwin jedenfalls nicht, fuhr Karin fort. Hätte aber auch jede Menge Verantwortung um die Ohren. Diesen Standard, den er pflegte, so rund um die Uhr und tagtäglich aufrechtzuerhalten, wär’ kein Leichtes, das könne sie ihr glauben.  Und dann sagte sie mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln, dass ihr Cousin immer schon in sie verknallt gewesen war. Von klein auf wär das so gewesen, sagte sie und fingerte ungeniert nach einzelnen Sauerkrautfäden zwischen ihren herrlich weißen Zähnen.

Irgendwie wär der immer echt süß gewesen. Aber da er ihr Cousin war musste sie ihn immer etwas einbremsen. Gut Aussehen würde er allerdings heute noch. Ein toller Typ, absolut!

Jedenfalls hätten sie himmlische Tage in Procchio auf seinem Gut, mit einer mordsmäßigen Wellnessanlage zwischen Pinien und Steineichen verbracht. Und niemand hätte sich um ‚Cousin und  Cousine’ geschert! Wirklich herrlich!

In seiner Villa in Portoferaio wäre sie beinahe ausgerastet, so grandios sei da alles! Unvorstellbar! Und da er so  jung sei – und gerade ohne Partnerin war, hätte alles optimal gepasst, obwohl er ihr Cousin sei, sagte Karin kichernd und nippte seltsam verlegen an ihrem Apfelsaft …

Vermutlich war es Zufall als ihr Handy klingelte, während sie gerade von Hugo sprach, der in Südfrankreich angeblich wegen einer neuen Klinik mit einflussreichen Russen verhandelte, die er in Bälde übernehmen sollte.

Doch Hugo rief aus Elba an, was Karin nicht nur verblüffte, sondern völlig aus dem Konzept brachte und schlagartig ihre gute Laune wegblies. Und dass er sie außerdem ohne einleitende Begrüßung gleich wegen Elsbeth anblaffte, setzte dem ganzen die Krone auf. Elsbeth hatte den Eindruck, dass sich ihre liebe Karin arg beherrschen musste, um nicht vollends die Fassung zu verlieren, denn irgendwer im Speisesaal musste ihm gemeldet  haben, dass sie  mit Elsbeth hier zu Mittag aß.

„Sei vorsichtig Karin“, rief er ihr so laut durchs Handy zu, dass auch Elsbeth es hören konnte, „die ist gefährlicher als du denkst und immer bereit abzuhauen, das können wir jetzt wirklich nicht brauchen…

„Bla – Bla – Bla.. blaffte  Karin ins Telefon und stellte ihr Handy verärgert ab. „Irgendein Schwein hier hat uns verpfiffen“, sagte sie mit einem bitterbösen Lächeln und zornigem Funkeln in den Augen. Wer das wohl war?

Da Elsbeth spürte, dass ihr Tête-à-tête damit beendet war, hätte sie doch noch eine winzige Bitte, warf sie zaghaft ein: sie möchte unbedingt ihr Bild wieder haben; dieses „Ahorn und Seide-Bild“, sagte sie hastig, das hoffentlich noch niemand gekauft hätte in der Berliner Galerie.

Und als Karin das bestätigte und sie einen Glückspilz nannte, da ihr Bruder noch nicht wieder aufgetaucht war, umarmte sie sie spontan, wie früher und Karin versicherte ihr konspirativ, dass sie das sofort zur Chefsache, besser Chefinnensache machen würde.

Zwei Wochen später kam sie tatsächlich mit dem von Elsbeth gewünschten Bild daher: stöhnend meinte sie, wenn Elsbeth wüsste, was sie für dieses Bild  durchstehen hatte müssen, würde sie sie auf der Stelle dankbar küssen.  Was Elsbeth auch liebend gerne getan hätte; sie hätte ihr sogar mit großem Genuss wie früher die Zunge in den Hals gesteckt, aber jetzt  traute sie sich das natürlich nicht mehr. Karin hatte das ja auch bloß so hingesagt…  Leider!

Als Dr. Hugo L.  nach seiner außergewöhnlich langen Abwesenheit endlich wieder die erste Visite bei Elsbeth absolvierte, musste er nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass der Kantinenbesuch mit Karin ohne größere Katastrophe abgelaufen war, sondern auch völlig überrascht feststellen, dass sein hochgeschätztes Bild „Ahorn und Seide“ plötzlich über Elsbeths Bett hing. Das fände er aber wirklich tres, tres bon, sagte er sichtlich begeistert, und wollte Elsbeth einen anerkennenden Klaps auf die Schulter geben.

Aber die wich aus und sagte, das Bild heiße nicht mehr „Ahorn und Seide“. Sie hätte es umbenannt, und sie sei gespannt, ob er errate wie es jetzt heiße! Doch da er sie nur dümmlich anlächelte, half sie nach und sagte, dass sie vor allem die Stoffreste heute anders interpretiere: nämlich nicht mehr als die Reste eines Fallschirms – sondern eher als die Überreste eines zerfetzten Arztkittels, trophäenhaft aufgespießt auf besudelten Dornen …

„Warum das?“ fragte Dr. Hugo L. mit einem leichten Entsetzen in der Stimme und wandte sich nach einem Blick zu Elsbeth irritiert wieder dem Bild zu.

Ja, sie sehe jetzt nur mehr weiße Kittelfetzen, aus denen Rabenvögel feinsäuberlich alle Kadaverreste herausgepickt hätten, wie früher auf den Galgen, an denen die Hingerichteten in der Sonne verdorrten und ausbleichten…

Drum nenne sie, sagte sie, mit einem kaum hörbaren Vibrieren in der Stimme, dieses Bild neuerdings

Die Hinrichtung!

Und als Dr. Hugo L. sich mit einem eigenartigen  Flackern in den Augen ein weiteres Mal steif und ungelenk nach ihr umschaute, da sie verstummt war, rammte sie ihm zum ersten Mal ein Messer zwischen die Rippen…

Das Messer hatte sie, unbemerkt von allen, aus der Kantine mitgehen lassen…

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