Seit Monaten wirft es einen dunklen Schatten voraus, jetzt ist es aktuell geworden: Das Darwin-Jahr. Wir feiern den 200. Geburtstag des Entdeckers der Evolutionsprinzipien, Charles Darwin (1809-1882).
Aber Vielen ist nicht zum Feiern zumute – zumindest nicht, wenn sie an Darwin denken. Allein die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung vertritt die Geisteshaltung der Kreationisten, nicht der Evolutionisten. Sie gehen davon aus, dass die Erde vor 6000 Jahren entstanden ist und glauben an die Erschaffung jeder einzelnen Art, die aus der Hand Gottes bestens angepasst an ihre Umwelt gemacht wurde, wie es im Schöpfungsbericht der Bibel steht. Bibeltreue Kreationisten sehen in Darwin den Antichristen und rufen zum heiligen Krieg gegen die Evolutionstheorie auf. Immerhin glauben auch 13 % der Deutschen, dass die Welt und der Mensch in sechs Tagen geschaffen wurden.
Das „Discovery Institute in Seattle“ gab vor ein paar Jahren ein geheimes Papier heraus, das behauptete, „Denker wie Charles Darwin, Karl Marx und Sigmund Freud stellten Menschen als Tiere oder Maschinen dar, deren Verhalten nur durch Biologie, Chemie und Umwelt diktiert wird… Wir möchten nichts weniger, als den Materialismus zu stürzen. Er leugnet moralische Standards.“
Kreationisten sind konservative Apologeten der christlichen Schöpfungslehre. Nichts kann ihrem Überleben größeren Schaden zufügen als die darwinistische Lehre von der Entstehung der Arten, gegen die sie mit aller Kraft zu Felde ziehen. Ihnen ist es nicht möglich mit Genealogien zu argumentieren, sie verweisen daher auf Wunder. Mit pseudo-wissenschaftlichen Stichwörtern wie „Irreducible Complexity“ und „Intelligent Design“ (ID) verwirren sie die Vernunft ihrer Anhänger.
Letzteres verstehen sie als wissenschaftlich legitimierten Kreationismus, der abzielt auf die Überzeugung, ein „intelligenter Design“ habe das Leben nach seinem Bauplan erschaffen. Freilich meinen sie mit Designer keinen Geringeren als Gott selbst. ID entzieht sich jeder Prüfung und Verifizierung, auch kann sie nicht widerlegt werden, aber die ID-Bewegung ist finanziell bestens ausgestattet und wird maßgeblich von der amerikanischen Templeton-Foundation, von der zahlreiche Forschungsprogramme an deutschen Universitäten finanziert werden, unterstützt. Die Templeton-Foundation will erklärtermaßen dazu beitragen, dass kreationistische Vorstellungen stärkere Präsenz an deutschen Universitäten erlangen.
Die Angst vor Darwin formulierte bereits 1860 eine viktorianische Dame: „Hoffen wir, meine Liebe, dass es nicht wahr ist“, sagte sie damals über Darwins Thesen seufzend zu ihrer Freundin, „aber wenn es wahr ist, wollen wir beten, dass es nicht allgemein bekannt wird!“
Doch was ist schlimm an einer natürlichen Erklärung für die Entstehung des Lebens und der Arten? Was ist schlimm daran, wenn sich Menschen als Atheisten verstehen? Warum soll eine Lehre bekämpft werden, die das soziale Verhalten der Menschen auf für alle lebenden Menschen nachprüfbare biologische Grundlagen stellt und den Nutzen für das Überleben der Art zum Existenzgrund der Moral erklärt? Und was ist verwerflich daran, Menschen als Tiere oder Maschinen zu erklären, wenn doch eine Großzahl von ihnen ihren Hund, ihre Katze oder ihr Auto mehr lieben als ihre Mitmenschen?
Die kreationistischen Argumente sind vorgeschoben. Nichts von den genannten Vorwürfen ist wahrhaft verwerflich, wenn sie denn überhaupt zutreffen. Die Argumente des Feldzugs gegen die Evolutionslehre dienen der Ablenkung. Sie lenken ab von dem Größenwahn der Menschen. Denn die natürlichen Erklärungen stellen die härteste anthropologische Kränkung des Menschen dar. Der Mensch hat spätestens mit Darwin aufgehört, die Krone der Schöpfung zu sein. Menschen dürfen nicht mehr mit ihrer Gottähnlichkeit rechnen. Vielmehr ist der Mensch dem Tier ähnlich, auch wenn er ihm durch Darwins Lehre nicht gleichgestellt ist.
Auch wenn sich der kleine Mann noch mit Bezichtigungsbegriffen wie „Heuschreckenkapitalismus“ über seine eigene tierische Natur hinweglügen kann, er steckt tiefer in seiner Tierhaut als ihm lieb ist. Nichts ist dem Menschen unerträglicher, als an seine tierisch-biologische Herkunft erinnert zu werden. Nur von Gott will er abstammen. Das ist der Größenwahn des Menschen, an den ihn Darwins Lehre erinnert. Die Ideologen des Kreationismus beruhigen den Menschen und lassen ihn in seinem Größenwahn weiter existieren. Das danken ihnen die Betroffenen durch Anpassung und Rückbildung ihres kritischen Verstandes.
Aber fromme Kreationisten unterschätzen den Erklärungswert der darwinschen Theorie. Denn dass sie so beharrlich auf Illusionen und Wunderglauben insistieren, widerspricht nicht der Theorie der natürlichen Selektion, sondern ist einer ihrer Bestandteile. „Anpassung durch Rückbildung“ nannt Darwin das Phänomen, dass nicht benutzte biologische Funktionen sich auf ein früheres Stadium zurückbilden. Die Evolution ist konservativ. Wer die Begabung zum kritisch-wissenschaftlichen Denken nicht nutzt, bildet sein Denkvermögen auf das Stadium des Wunderglaubens zurück. Dann tritt etwas ein, was Darwin so noch nicht beobachtet hatte. Wir können es „Rückbildung durch Anpassung“ nennen.
Wissenschaftliche Programme der Kreationisten erzwingen Anpassung an die von Institutionen wie der Templeton-Foundation geförderten Denkweisen. Hierbei werden kritische Stimmen unterdrückt und pseudo-wissenschaftliche Denkweisen gefördert. Wie diese Anpassung aussieht, demonstrieren Geisteswissenschaftler alle Nase lang. Der Bonner Theologe und Philosophieprofessor Ludger Honnefelder fürchtet verstärkt Neigungen, mit einer Art Supertheorie die Welt und ihre revolutionäre Entstehung im Ganzen zu erklären. Deshalb müsse die Theologie an den Universitäten präsent bleiben, erklärte er jüngst auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft, einer anderen christlichen Stiftung, in Würzburg. Wissenschaft müsse also durch Religion und Theologie davor bewahrt werden, zur Quasireligion zu verkommen und zugleich an den Grenzen und Defiziten der Vernunft zu verzweifeln und damit schließlich das Projekt der Aufklärung durch Vernunft aufzugeben. Theologie zwinge den Wissenschaftler, „sich vor kritisch fragender Vernunft auszuweisen, und hindert ihn, sich seinerseits als ein alles andere umfassender ‚God’s eye view‘ misszuverstehen.“ Hier wird also der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben.
Aber keiner widerspricht Honnefelder, weil er institutionelle Macht auszuüben versteht. Wer in Deutschland auf einen Lehrstuhl der Philosophie oder der Theologie berufen werden will, darf Ideologen wie Honnefelder nicht widersprechen. Institutionen, wie solche, die allein durch Geisteswissenschaftler beherrscht und kontrolliert werden, erhalten sich dadurch, dass sie einen Anpassungsdruck auf den wissenschaftlichen Nachwuchs ausüben. Ihre Arbeit besteht darin zu verschleiern, dass bestimmte Fortschritte der Wissenschaften frühere Selbstverständlichkeiten ad absurdum geführt haben. Sie verfälschen Intensionen der Forschung, um an überkommenen Dogmen festhalten zu können.
Wir werden im Darwin-Jahr reichlich Gelegenheit finden, die Methoden der Anpassung durch Rückschritte hinter längst erreichte Positionen der Forschung zu studieren. Sie werden uns alle angepriesen werden als Erlösung von dem Bösen.
KJG