Philosophen sind Zwangsneurotiker

Von kjg
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Am 20. April 2008 erscheint im Aufbau-Verlag Berlin das Sachbuch Angst – Vom Nutzen eines gefürchteten Gefühls. Leider wünschen Philosophieprofessoren, dass es nie geschrieben worden wäre. Sie werden darin als „Zwangsneurotiker“ entlarvt.

Zwangsneurotiker sind Menschen, die sich Angst vertreiben. Wie machen Sie das? Durch die penetrante Wiederholung der selben Handlungen die im normalen Leben eine wichtige Funktion erfüllen, aber in der Zwangsneurose keinerlei Wirkung auf die Außenwelt erzielen. Schaut euch Lady Macbeth an in Shakespeares herrlichem Drama. Sie reibt sich permanent die Hände aneinander wie beim Händewaschen. Aber erstens hält sie sie dabei nicht unters Wasser und zweitens hört sie nicht auf damit, wenn die Hände sauber sind. Waschzwang heißt diese verbreitete Angstneurose.

Warum sie dies tut, macht ihr Gatte deutlich, der ihr versichert, dass das Wasser des gesamten Ozeans nicht ausreiche, um den Schmutz von ihren Händen zu spülen. Denn sie hat imaginäres Blut an den Händen. Es ist das Blut des Königs, das die Königsmörderin nicht mehr los wird. Zu diesem Blut gehört der Waschzwang, mit dem sie ihr Gewissen reinigen will. Aber ihre Handlung ist nicht geeignet, das Ziel zu erreichen. Trotzdem beherrscht sie der Zwang, immer wieder die Waschbewegungen mit den Händen auszuführen.

Wer von einer Zwangsneurose befallen ist, verfällt dem Zwang der stetigen Wiederholung von Handlungen, die keinerlei Wirkung in der Welt haben, sondern nur dazu dienen, dem Neurotiker eine tief wurzelnde Angst zu vertreiben. Hindern wir den Menschen daran, mit peinlicher Genauigkeit seine Zwangshandlung zu vollziehen, wird er ergriffen von einer Panikattacke.

Der Psychoanalytiker und Schüler Sigmund Freuds, Oskar Pfister, hatte vor knapp hundert Jahren die Entdeckung gemacht, dass die akademische Philosophie eine Zwangsneurose im eigentlichen Sinn des Wortes ist. Zuerst ist hier an die solipsistische Geistesverfassung zu denken, mit der sich diese Spezies Akademiker von der Welt abgrenzt. Die dazu gehörenden logischen und metaphysische Gedankengänge stellen sich dann von selbst ein und schaffen die dem Elfenbeinturm eigentümliche theoretische „Stimmung“, die keiner stören darf. Mit ihrem Glauben an den eigenen Wert geht der Glaube an das objektive Sein verloren und der Rückzug ihrer Gefühle aus der Außenwelt stabilisiert sich. Sobald die Außenwelt abgeschnitten ist, wird im Unbewussten die paranoische Grössenphantasie gebildet, in welcher man sich für den Verlust der Liebe zur Außenwelt entschädigt, indem man sich zum Ausgangspunkt und Endpunkt der eigenen Gedanken macht.

Die am besten an das System angepassten philosophischen Assistenten in Frankfurt am Main versichern mir immer wieder, dass es keine Fragen der Philosophie gäbe, die etwa die Neurowissenschaftler heute aufbrächten, die nicht von den Philosophen ganz alleine gelöst werden könnten. Sie wollen eben in Ruhe gelassen werden von den Naturwissenschaftlern und Naturalisten – von den Empirikern.

Diese Selbstvergottung ist aber nicht der einzige Ausweg, wie Pfister schon bemerkte, den das von der Außenwelt abgesperrte philosophische Denken einschlägt. Ein anderer ist nämlich ein Formalismus, der sich vor allem auf dem Gebiet der analytischen Philosophie seit Habermas auch in Deutschland breit gemacht hat. „Man schwelgt in Abstraktionen, die der Wirklichkeit so fremd als möglich sind, so gekünstelt und unwahrscheinlich die Sache herauskommt, man verliert sich in Haarspaltereien, die für das Leben nichts eintragen und den wirklichkeitsgerechten Denker teils anekeln, teils erheitern.“ Dass unsere Wissenskultur darunter enormen Schaden davontrage, hatte der Hirnforscher Axel Meyer kürzlich hervorgehoben. „Nehmen wir beispielsweise“, schreibt er in seiner Glosse Quantensprung. Crash der Wissenschaftkulturen im Handelsblatt vom 26.2.2009, „Jürgen Habermas und seine … wirren Ideen zum Gehirn im Speziellen und der Evolution im Allgemeinen.“ Warum hatte der Philosoph Jürgen Habermas nicht geschwiegen, als Neurowissenschaftler die Möglichkeit der Grundlagen seiner Theorie des kommunikativen Handelns in Zweifel gezogen hatten? Weil er klar machen wollte, dass nur Philosophieprofessoren Theorien von Philosophieprofessoren widerlegen dürften. Die aber haben Angst vor Habermas.

So artet das Denken mehr und mehr in ein zwangsneurotisches Grübeln aus, das für die Wirklichkeit nichts mehr zu bedeuten hat.

Stets ist es in der Zwangsneurose zu beobachten, dass irgendeine Leistung, die an sich vollkommen wertlos ist, z.B. das viertelstundenlange Händewaschen der Lady Macbeth oder das Aussprechen irgendeines unverständlichen Wortes oder banalen Satzes, der mit ungeheuren Gefühlen besetzt auftritt, weil der Zugang zur Wirklichkeit verschlossen ist. (Denken Sie nur, welche Macht das Wort „Gerechtigkeit“ hat, obwohl kein Mensch weiß, was darunter zu verstehen sei.) Akademische Philosophie erweckt den Eindruck des Tiefsinns, aber der ist nur für die Eingeweihten von ritueller Bedeutung. Es ist der Formalismus des Denkens und die Genauigkeit des Aussprechens, mit dem sich die Verdrängung des Trieblebens nachzeichnet.

Am deutlichsten spricht sich diese Flucht vor der Welt aus durch die durch Ethik, die mit ihren Idealen der Reinheit der Gesinnung auftritt, dem Verzicht auf Nutzen und der Unterwerfung des Willens unter eine mutmaßlich von nichts und durch nichts verursachten Freiheit. Unzweifelhaft ist die Verteidigung der Willensfreiheit bei Philosophieprofessoren seit Immanuel Kant kein Ausdruck empirischer Welterfahrung, sondern nichts anderes als das Resultat stärkster Verdrängung, die sich fortgesetzt steigert. Denn einen freien Willen zu haben, heißt gottähnlich zu sein und aus dem Nichts etwas schaffen zu können. Nirgendwo ist sie stärker ausgedrückt die Angst vor der Unberechenbarkeit der empirischen Tatsachen als in Kants Kritik der reinen Vernunft. Der Autor selbst war sich bewusst, dass „reine Vernunft“ tatsächlich nicht existiert. Aber darauf komme es auch nicht an, wenn es um „reine“ Gesinnung in der Ethik gehe, denn die sei denknotwendig.

Je mehr sich das Denken vom Empirischen entfernt, desto stärker tritt es unter die Herrschaft der Introversion. Einflüsse von der Wirklichkeit werden abgedrängt. Man nennt die Bemühung, Eingebungen des Unbewussten theoretisch zu begründen, Rationalisierungen. Wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass inzwischen keines der Alltagsprobleme auch nur einen Philosophieprofessor zu einer Stellungnahme bewegt, bewahrheitet sich die Vermutung Pfisters, dass der zwangsneurotische Formalismus der Philosophie keine Probleme in der Welt löst, sondern dem Philosophen Erlösung aus schwerer innerer Not verschafft.

Daher enthält die Verballhornung des Lustprinzips bei Philosophen, wie sie der Frankfurter – leider viel zu früh verstorbenen – Dichter Robert Gernhardt hinterlassen hat, so viel Humor:

Theke-Antitheke-Syntheke

🙂 Unbedingt Lesen! Einfach auf den Link klicken und zur Dreifach-*Theke* gehen (und dabei in IF-Blog bleiben).

KJG

2 Antworten

  1. I was very happy to read this article. It expresses my view „modern philosophy begins with Darwin“ (see https://www.if-blog.de/en/cw/ethik-nach-dem-humanismus/#more-215) eloquently from a different point of view. But I suspect that only in Germany have philosophers remained so captive in an earlier age. I liked the drink poem less. Instead I recommend the wonderful Fitzgerald translation of OmarKhayyam. e.g.
    „Drink! for you know not whence you came, nor why;
    Drink! for you know not why you go nor where.“
    also
    „Impotent Pieces of the Game he plays
    Upon this Chequer-board of Nights and Days;
    Hither and thither moves, and checks and slays;
    And one by one back in the Closet lays.“

    Incidentally, my father’s gravestone has lines from this translation.
    You can find more in wikipedia.

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