Es wird seit der Rede des Papstes in der Regensburger Universität vermehrt über die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens gesprochen. Es war schon ein Thema der katholischen Gelehrten in der Scholastik, sich der Vernünftigkeit des Glaubens zu versichern. Zwischen uns und der scholastischen Vernunft liegt aber die Epoche der Aufklärung mit ihrem kritischen Vernunftbegriff, die wir nicht einfach ungeschehen machen können. Es mag nicht nur Theologen wie Joseph Ratzinger und Robert Spaemann missfallen, dass Kant der Vernunft Grenzen gesetzt hat. Aber wir müssen uns fragen, ob wir uns von diesem Missbehagen leichtfertig leiten lassen und die Trennung zwischen Vernunft und Glaube wieder aufheben dürfen.
Vernunft beschreibt den Rahmen des im Hier und Jetzt Erkennbaren. Glaube dagegen bezieht sich auf Jenseitiges, Übernatürliches und auf solche Dinge, die nicht in der selben Weise erkannt werden wie die schlichten Gegenstände der natürlichen Welt. Die leichtfertige Rede, dass die Inhalte des Glaubens und die Hoffnung auf eine paradiesische Erlösung – wenn es nur der rechte Glaube ist – mit Sicherheit wiedergeben, was die Wahrheit des Gottes und seines Reiches sind, dient nicht allein der Sinnstiftung des Menschen, sondern sie kann ebenso – fundamentalistisch gewendet – zum gefährlichen Sprengstoff werden. Die Herausforderungen der Globalisierung haben einmal mehr die Gefährlichkeit fundamentalistischer Religionen zutage gefördert. Größte Gefahr für den Weltfrieden stellt derzeit das Vermischen von politischen sowie vernünftigen Interessen mit religiösen Erwartungen dar.
Einzige Therapie für diese tödliche Geisteshaltung ist der Geist der Aufklärung, der unser religiöses Bedürfnis von einer vermeintlichen oder wirklichen Erkenntnis Gottes ablenkt und auf die Funktion von Religion für das menschliche seelische Empfinden konzentriert. Religion erwächst auch aus dem Bedürfnis des Menschen, die Schwächen seines irdischen Daseins zu transzendieren. Daher hat Religion zunächst einmal eine natürliche Seite. Und allein diese natürliche Basis der Religion ist für uns Menschen wichtig. Aufklärung ist der Anspruch, die natürliche Basis der Religion zu verstehen, nicht ihre übernatürlichen Ziele. In dem Bedürfnis nach Religion, nach Transzendenz, sind sich alle religiösen Kulte einig. Aber in der erhofften Erfüllung des Transzendenten können sie in erbitterten Streit miteinander geraten.
Eine vernünftige Erklärung der Religion leitet das Humane, das Menschliche, nicht aus einer abstrakten Theorie ab, sondern aus der empirischen Tatsache des Menschen. Gefühle, Emotionen und Rationalität stehen nicht in einem Widerspruch, sondern in einer Wechselbeziehung. Vernunft gibt eine andere Antwort als der Glaube auf die Frage: Woher stammt das Religiöse? Die Antwort der Vernunft lautet: „vom Menschen und seiner Bedürftigkeit“. Nicht Ausführungen über das Dasein Gottes, sondern Suche nach Erkenntnis der Bedürfnisse des Menschen im Hier und Jetzt sind die Aufgaben, denen wir uns heute zu stellen haben. In dieser diesseitig gewendeten Religion gründet jedoch auch der Konflikt zwischen Aufklärung und Religion.
Während radikale Aufklärung den Grund der Religion stets in die Natur verlegt, leiten Religionen ihren Ursprung aus dem Übernatürlichen ab. Es ist nicht Aufgabe der Vernunft im Ergründen des Übernatürlichen besser sein zu wollen als Religionen. Wir widerlegen nicht und beweisen nicht ein Übernatürliches, sondern die Daseinsweise des natürlichen Menschen ist unsere Aufgabe. Wenn uns Ratzinger und Spaemann – beide sind Träger der Ehrendoktorwürde der Opus-Dei-Universität im spanischen Pamplona und schon deswegen einer ultra-rechten Auslegung des christlichen Glaubens verpflichtet – einhellig bekunden, dass wir statt einer „reinen Vernunft“ der kantianischen Aufklärung eine „gereinigte Vernunft“ benötigten, dann sollten sie uns mitteilen, mit welchem klareren Mittel sie die irdische Vernunft reinigen wollen. Aufgeklärte Vernunft warnt allerdings davor, mit trüber Hoffnung auf religiöse Heilsgewissheit dasjenige zu bekommen, was die fehlbare irdische Vernunft uns verweigert.
Wir betrachten es als eine Errungenschaft der kritischen Vernunft des Immanuel Kant, erkannt zu haben, dass aus der Notwendigkeit, in moralischer Hinsicht an einen Gott glauben zu müssen, nichts darüber ausgesagt wird, ob dieser Gott auch existiere. Denn der Einsicht, dass wir so tun müssen, als ob ein Gott unsere Moralgebote in die Welt gesetzt habe, fügt die Auskunft: „Und dieser Gott existiert auch“, nicht das Mindeste hinzu. Es sollte demnach kein Verlust sein, sich um die Existenz Gottes nicht zu kümmern. Diese Erkenntnis Immanuel Kants ist bitter für den auf einen existierenden Gott gerichteten Glauben. Es versteht sich von selbst, dass man diese Auskunft gerne rückgängig machen möchte.
Kants moralischer Gottesbeweis sagt nichts aus über die Existenz eines möglichen Gottes. Er macht lediglich eine Aussage über seine Denknotwendigkeit. Darin steckt die folgende Überlegung: Wenn es uns Menschen gelingen sollte, unsere moralischen Gesetze so zu formulieren, als hätte ein Gott sie gemacht, dann erübrigt es sich auch, dass ein wirklicher Gott einschreite. Die Bewältigung der irdischen Aufgaben liegt allein in der Hand des Menschen und seiner irdischen Verantwortung. Mit diesem Raum irdischer Vernunft umspannt Kant selbst noch die Religionen. Die Menschen verrichten dann das Werk Gottes, ganz in der Weise, wie Goethe es – den Schöpfungsprozeß nachahmend – in dem Gedicht Wiederfinden zum Ausdruck gebracht hat: „Allah braucht nicht mehr zu schaffen / Wir erschaffen seine Welt.“
Eine Antwort
Far too much attention is paid to these dinosaurs.
Richard Dawkins has explained well enough why it is rather silly to believe in God. Kant’s „proof“ may have been OK in its day, (although showing contempt of human nature). Modern research keeps showing evidence (if we need it) that most people have natural morality without God. The Pope is particularly dangerous, encouraging unconfined reproduction in a clearly overpopulated world. Should we be glad that his propaganda also encourages AIDS?
The writer of this piece continues to put humans in the centre of the stage. A philosophical piece should recognise how limited this situation is in time and space. The renaissance and Kant were OK, but since Darwin things have looked different. Was the Pope using „Vernunft“ to mean believing what is true, or to mean believing and doing what makes us happy in the long term?