Tabu-Bruch als Stilmittel
Autoren sind Produzenten von Content aller Art. Autoren wollen viele Leser, heute sind das Klicks. Beim Kampf um die Klicks wird alles eingesetzt, was Erfolg verspricht. Auch der Bruch des Tabus.
Vom Leser geliebt und gehasst
Als Leser falle auch ich ab und zu drauf rein. Der Autor bricht ein Tabu, und weckt so mein Adresse. Gerade in der medialen Kommunikation (einer sendet an viele) scheint der Tabu-Bruch höchst effektiv zu sein. Er zieht die Leser und Zuhörer magisch an. Ab und zu wenden sie sich dann entsetzt ab und verurteilen den Tabu-Brecher, nicht aber ohne sich vorher am Bruch des Tabus ergötzt zu haben.
Der Leser wird zum Gaffer am Unfallort. Das Entsetzen am Tabu-Bruch wird zum Kitzel. Und wenn es dumm läuft, zur Sucht.
Politiker nutzen den Tabu-Bruch
Politiker nutzen gerne diese Strategie. Sie sprechen mit dem Bruch von Tabus die geheimen Wünsche, Sehnsüchte und Vorurteile der Bürger an. Und hoffen so auf seine Stimme. Wir nennen diese dann Populisten.
In der Interaktion ist die Offenheit das erfolgreiche Mittel. Tabu-Brüche im Dialog zwischen Menschen machen Angst. Sie sind hier nicht so erfolgreich wie in der Massenaussendung. Im Dialog ist das Erfolgsrezept des Kommunizieren die „offene Brust“.
Das geht so: Man öffnet sich selber, in dem man etwas Vertrauliches von sich selber Preis gibt. So geht der eine in Vorleistung, der andere öffnet sich auch. Dieses wird wie beim ping-pong schrittweise verstärkt, so wird Vertrauen gebildet.
Dialog braucht Offenheit
Ich bevorzuge Offenheit und lehne den vorsätzlichen Tabu-Bruch ab. Aber auch der Tritt ins Fettnäpfchen kann zum Tabu-Bruch werden. Man kann die Verletzung von Tabus nie ganz vermeiden.
So will ich gewaltfrei und rücksichtsvoll kommunizieren. Nur, ganz ohne Konflikte und Missverständnisse wird es nicht gehen. Es lässt sich nie ganz vermeiden, dass man jemanden gegen das Schienbein tritt.
Was ist ein Tabu?
In meiner Kindheit war mein Leben umzingelt von Tabus. Da durfte vieles nicht angesprochen worden. Zum Beispiel das Leben meiner Eltern im dritten Reich. Die Wäsche der Nachbarn auf der Leine. Das Verhalten der halbwüchsigen Nachbarstochter. Der Penner, der im Stadtpark an den Baum bieselt wie der Bettler in der Bahnhofsstrasse. Die religiösen Zeremonien, der Sinn täglicher Rituale.
Tabu und Vorurteile
Diese Dinge anzusprechen oder gar in Frage zu stellen war tabu. Und wir lernten schnell, die Tabus zu vermeiden. Um den häuslichen Frieden zu vermeiden. So wie wir auch lernten, die Vorurteile der Erwachsenen in Frage zu stellen. Ich glaube immer noch, dass es Fälle gab, in denen das schlechte Gewissen verdrängt wurde.
Auf Suche nach dem Substantiv Tabu
Ich habe gelernt, dass es mir hilft, wenn ich mit einem Begriff nicht klar komme, nach Synonymen zu suchen. Das mache ich auch mit Tabu. Bei woxikon finde ich 171 Synonyme, in 16 Gruppen angeordnet. Ein paar Beispiele:
Todsünde No-Go Verbot Befehl Nein Tabu Vorschrift Veto Einspruch Sperre Prohibition Interdikt Untersagung Machtwort Machtspruch Sperrzeit Unantastbarkeit Unverletzlichkeit
Tabus entwickeln sich besonders gut in Welten, die für uns elementar aber nur schwer erfassbar sind. Typische Beispiele sind Sexualität und Glauben. Nationales Denken und Gefühle. Oder der Tod.
Immer spielen Moral, Schuld und Sühne eine Rolle. Das macht es nicht nicht einfachbarer.
Das Wesen des Tabus
In meinem beruflichen Leben habe ich versucht, mich nicht nur fachlich weiterzubilden. Themen wie Kommunikation und Führung fanden früh mein Interesse. So kam ich wieder zur Philosophie, die mich schon als Heranwachsender sehr beeindruckt hatte.
In der Jugend war ich noch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. In meinem Berufsleben, ging es mir mehr um pragmatische Dinge. Ich wollte mehr über Kommunikation lernen und besser verstehen, wie Menschen und Gesellschaft „funktionieren“.
Können Tabus einen gesellschaftlichen Nutzen haben?
In meinem ersten philosophischen Workshop zum Thema Tabu, habe ich gelernt, dass Tabus auch wertvolle Schutzmechanismen sein können. Tabus können einen wichtige Aufgabe haben. Zum Beispiel in der Evolution.
Nach meiner Überzeugung ist Sex zwischen Vater und Tochter eine Form der Unzucht, die der Gesellschaft schadet. Weil so die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Erbkrankheiten wesentlich erhöht wird. Deshalb ist Inzest nicht nur verboten, er ist aus dem Denken verbannt worden. Etwas, das überhaupt nicht geht, also ein typisches Tabu, .
Verbote haben oft eine geringe Wirksamkeit. Inzest darf aber nicht sein. Ein Tabu ist viel effektiver als ein Verbot. Wenn der Sex mit der Tochter ein mächtiges Tabu ist, kommt der Vater erst gar nicht auf dumme Gedanken. Das Tabu bewirkt – ich nehme an durch Mechanismen im Unterbewusstsein – dass beim Vater die sexuelle Appetenz (von lateinisch appetentia ‚Begehren‘) beim Betrachten der Tochter ausbleibt, die sich bei Betrachten fremder Frauen oft einstellt.
Das klingt danach, dass das Tabu in diesem Fall eine gute Lösung ist.
Gute und schlechte Tabus
Gerade im religiösen Umfeldern finden wir viele Tabus. Oft korrelieren sie mit Dogmen. Und verlängern diese in das Leben. Die Gläubigen halten sich nicht nur daran, sondern internalisieren diese Regeln als heilige Elemente.
Die Menschen außerhalb solcher Gemeinschaften sind nicht so konditioniert. Und verstoßen dann gegen die Regeln. So begehen sie einen Tabu-Bruch. Das kann für die Gläubigen eine schreckliche Wahrnehmung sein, die Entsetzten und Angst produziert. Man nennt das die „Verletzung religiöser Gefühle“, die Leid bewirken können. Oder wenn es um Volk und Staat geht „nationaler Gefühle“. Wenn man z.B. ein Stück Stoff nicht gebührend ehrt.
Das Problem mit dem Tabu
So gibt es (verständlicherweise) Forderungen von den Agenten solcher Systeme, das „Verletzen religiöser Gefühle“ unter irdische Strafe zu stellen. Zwar verletzt die Botschaft nicht an sich , sondern die Empfindungen, die sie beim Empfänger auslöst. Und für die ja eigentlich er selber verantwortlich ist. Aber sie kann Leid erzeugen.
Ein wie ich finde schwieriges Thema, das man ein Dilemma nennen könnte.
(Dilemma: eine Situation, in der man gezwungen ist, sich zwischen zwei gleichermaßen [unangenehmen] Dingen zu entscheiden)
Das Privileg von Religion und Staat.
Unser Grundgesetz sichert die Religionsfreiheit in Art. 4 Absatz 1, 2:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Die religiösen Gemeinschaften führen Regeln (TABUS) ein, die für ihre Mitglieder gelten. Wenn sie diese Regeln auch den Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaften überstülpen wollen, kann es kritisch werden. Weil sie sich durch den „fremden“ Bruch der Tabus in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen. Auch wenn sie direkt davon gar nicht betroffen sind.
So können kritische Spannungsfelder entstehen. Ein Auftrag der Aufklärung ist, dass wir uns vor diesen hüten müssen. Um Unfreiheit zu vermeiden.
Insofern bräuchte es vielleicht auch im Grundgesetz einen Schutz der Menschen, die sich nicht einem Glauben ausliefern wollen, der die alleinige Wahrheit für sich beansprucht. Und beliebig Tabus produziert.
Aussagen, die treffen, machen betroffen
Andersherum heißt das, dass eine Aussage dann Betroffenheit erzeugt, wenn der „Betroffene“ ein Problem hat. Dieses Problem ist meistens verdeckt und wird geleugnet. Der Tabu-Bruch muss also auf vorbereitetem Boden fallen, um zu wirken. Das entschuldigt den Tabu-Brecher aber nicht, denn es ist nicht die feine Art, Sand in Wunden zu streuen. Auch nicht, wenn die Wunden nicht gezeigt und gestritten werden.
Tabus in meinem Leben
In meinem Erleben haben Tabus meinen Lebensweg erschwert und die Entwicklung unserer Gesellschaft negativ beeinflusst. Deshalb habe ich diesen Artikel geschrieben.
RMD