Beyond (Projekt) Management

Marcus Raitner lädt aktuell auf seinem Blog „führung-erfahren“ zu einer Blogparade zum Thema „Beyond Project Management“ ein.

Das Orga-Team des Dornbirner PM-Camps hat „Beyond Project Management“ als Motto für das PM-Camp Dornbirn in 2014 ausgewählt. Das Orgateam des PM-Camp Dornbirns besteht im übrigen fast aus den selben Menschen, die als „PM-Camp-Kernteam“ die PM-Camp-Bewegung gestartet haben. Wir im Team fanden es gut, quasi als Vorbereitung fürs PM-Camp, eine solche Blog-Parade zu veranstalten und der Marcus hat dankenswerter Weise die Arbeit übernommen.

Vorweg möchte ich betonen, dass unser Motto nicht reißerisch gedacht ist und so nicht werbewirksam sein soll. Eine Graswurzelbewegung wie PM-Camp hat das nicht nötig, denn sie wird ja von den Menschen getragen, die freiwillig kommen und sich aktiv beteiligen.

🙂 Und die typischen „PM-Camp-Teilhaber“ sind autonome Menschen, die sich von buzzwords und Marketing-Versprechen nicht so leicht beeinflussen lassen.

So bitten wir alle „Teilhaber“ die drei Worte „Beyond Projekt Management“ sehr nüchtern und sachlich zu betrachten. Sie sollen erinnern, dass wir über den eigenen Horizont hinaus denken sollten und uns auffordern, uns auch mal in „andere Gehirne hinein zu begeben“. Das finde ich allgemein mehr als wünschenswert und könnte helfen, ein wenig mehr Toleranz zu entwickeln und so der gelebten Intoleranz unserer Gesellschaft und wie ich meine zwangsläufig aller sozialen Systeme aufgrund ihrer kollektiver Konstrukte entgegen zu treten.

🙂 {Vor meinem eigentlichen Beitrag zur Blogparade hier eine erste Abschweifung}

Mir hat dieses Motto sehr gefallen, hat es mich doch an eine ganz große Veranstaltung des ganz großen amerikanischen ACM (Association for Computing Machinery) im März 1997 erinnert. Damals hat dieser seinen 50. Geburtstag gefeiert, was so nebenbei bedeutet, dass der ACM 1947 gegründet wurde.

Dieser Geburtstag wurde mit einer gigantischen Veranstaltung gefeiert, das Motto hieß

Beyond Calculation:
The Next Fifty Years Of Computing

Hier als Ergänzung ein Text zum gleichnamigen Buch, das die Vorträge der Konferenz enthält:

In March 1997, the Association for Computing Machinery celebrated the fiftieth anniversary of the electronic computer. To understand what an extraordinary fifty years the computer has had, you need only look around you–probably no farther than your desk. Computers are everywhere: in our cars, our homes, our supermarkets, at the phone company office, and at your local hospital. But as the contributors to this volume make clear, the scientific, social and economic impact of computers is only beginning to be felt. These sixteen invited essays on the future of computing take on a dazzling variety of topics, with opinions from such experts as Gordon Bell, Sherry Turkle, Edsger W. Dijkstra, Paul Abraham, Donald Norman, Franz Alt, and David Gelernter. This brilliantly eclectic collection, commissioned to celebrate a major milestone in an ongoing technological revolution, and now in its second printing, will fascinate anybody with an interest in computers and where they’re taking us.

Bemerkenswert:
Zu dieser Veranstaltung des ACM waren als Redner die „herausragendsten und bekanntesten noch lebenden Informatiker“ eingeladen. Aber nicht nur Informatiker – sondern auch berühmte Autoren aus dem Genre der Science Fiction waren eingeladen!

Gedanklich würde ich also das Motto von #pmcampdor dem ACM folgend erweitern auf:

Beyond Project Managing:
The Next Fifty Years Of Managing

🙂 {Ende der ersten Abschweifung und Beginn der zweiten Abschweifung, diesmal die Begrifflichkeit betreffend}

Bevor ich über „Beyond Projekt Management“ nach denke, schau ich mir mal die Begriffe an. Zu meinen Schwierigkeiten mit den Worten Projekt und Management habe ich in IF-Blog unter anderem in meinem Unternehmertagebuch schon öfters berichtet.

So bleibt das Wort „beyond“. Ich füge dazu eine flache Kopie aus „dict.cc“ ein:

 
beyond
 {adv} {prep}
2626

jenseits [+Gen.]

beyond {prep} [outside]
933

außerhalb [+Gen.]

beyond {adv}
529

drüben

beyond {adv}
436

weiterhin

beyond {prep} [above]
223

oberhalb [+Gen.]

beyond {adv} darüber hinaus
beyond {adv} in Übersee
beyond {adv} auf der anderen Seite
beyond {prep} [in addition to] zusätzlich zu
beyond sth. über etw. hinaus

Man merkt, dass Worte aus dem Englischen ins Deutsche übertragen doch oft eine große Breite an möglichen Bedeutungen und Assoziationen besitzen.

🙂 {Ende der zweiten Abschweifung und Start des eigentlichen Beitrages zur Blogparade. Aber jetzt geht es los!}

Beyond Project Managing:
The Next Fifty Years Of Managing

Ich wähle die Begrifflichkeit von „beyond“ im Sinne von „jenseits des heute“. Mein Artikel soll also ein Beitrag zur Diskussion sein, wie die Zukunft sein könnte – sprich zum Beispiel in 50 Jahren. Und wenn ich mir unseren gepeinigten und gesteinigten Planeten anschaue, dann sind 50 Jahre eine lange Zeit. Da wird und muss noch viel passieren, denn in 50 Jahren könnte es auf dem Planeten und auch bei uns in Mitteleuropa übel ausschauen.

Hier meine Meinung zur kollektiven Nutzen von Projekten und wie Menschen das in der Zukunft individuell vielleicht bewerten könnten.

Zukunft der Gesellschaft (kollektiv)!

Zuerst:
Ich glaube nicht mehr an Projekte, die den „alten“ Regeln des industriellen Zeitalters folgen. Man nenne mir doch nur ein nicht triviales Projekt, dass in den letzten Jahren irgendwo auf der Welt in Zeit und Kosten zielgenau abgeschlossen wurde. Ganz gleich ob es im technologischen und/oder sozialen Bereich war.

Selbst wenn ich in diesem Sinne „erfolgreiche“ Projekte finde, stelle ich fest, dass diese nur aufgrund großer Zufälle und/oder einer nicht zu erwartenden Entwicklung mehr oder weniger überraschend geklappt haben. Man hat einfach Glück gehabt. Nur kann man das Glück im Projekt nicht organisieren (und auch nicht einplanen).

Mit den gescheiterten Projekten meine ich nicht nur die so oft erwähnten großen wie den Flughafen Berlin, das Europäische Galileo oder S21. Nein, ich sehe viele kleinere, bei denen es nicht besser aussieht.

Und gehe davon aus, dass die althergebrachte Denke und die Methoden unserer Väter (und Großväter) nicht mehr funktionieren. Sie versagen im Kleinen wie besonders im Großen.
Die Herausforderungen, die der Planet uns stellt, werden jedoch immer größer.

Wie wollen wir denn den Anstieg der Produktion von Kohlendioxid mindern können?
Wie sollen wir den Plastikmüll reduzieren oder vielleicht gar aus den Ozeanen schaffen?
Oder wie wollen wir mit dem radioaktiven Müll fertig werden?
Wie soll auf dieser Welt Frieden geschaffen werden?

Das sind alles Beispiele für wesentliche Herausforderungen, die durch einen Projektansatz – also mit Projekt Management – kaum gelöst werden können!

Wie soll ein System und daraus geborenes „Team“ wie zum Beispiel das der EU-Kommissare die „Richtigen Projektziele“ auch nur annäherungsweise finden? Dürfen wir da ein kluges „Management“ der Fragestellung erwarten?

Nicht einmal das dürfen wir erwarten. In der alten Welt der Projekte sind es ja auch immer nur wenige (oft nur einer mit einem „Stab“), die die Projekte festlegen und beauftragen. Und es ist zu befürchten, dass genau diese in ihrem Elfenbeinturm die Realität nicht mehr erleben.

Unternehmen sind soziale Systeme, die den wirtschaftlichen Zweck haben, nämlich Güter zu produzieren oder Dienstleistungen bereitzustellen. Dort wie in unseren sozialen Systemen werden uns von „oben“ vorgegebene und dann von beauftragten Projekt-Technokraten gesteuerte Projekte in den nächsten Jahren nicht weiterhelfen. Wir brauchen für die Zukunft also andere Lösungsstrategien – jenseits der Welt der Projekte.

Und natürlich wäre es unredlich, wenn ich hier die Lösung hinschreiben würde. Denn ich kann sie ja gar nicht wissen. Es wäre anmassend, heute erklären zu wollen, wie es gehen könnte und wie es sein wird.

Ich meine nur zu sehen, wie es nicht gehen wird und wage folgende Vorhersage:

Die klassische Projektdenke wird in Zukunft kein Erfolg versprechendes Muster zum Meistern wichtiger und notwendiger Unternehmungen sein. Relevante und konstruktive Veränderung wird in Zukunft (und wahrscheinlich schon heute) nur durch Evolution basierend auf der „vernetzten Weisheit von vielen“ gelingen. Und da werden andere Qualitäten gefragt sein als im alten Projektdenken:

Wie kann zum Beispiel in großen Gruppen der Konsens darüber erreicht werden, wo man gemeinsam hin will und muss?
Wie kann im großen Rahmen gemeinsam definiert werden, was man erreichen will?
Wie gelingt gelebte und gewollte Einigkeit?
Wie kann man es schaffen, dass alle „Teilhaber“ dann auch bereit sind, für das „Gemeinsame Ziel“ konzentriert zu arbeiten und/oder auf als bis dahin wesentlich wahr genommenes zu verzichten?

🙂 Vielleicht finden wir ja auf dem PM-Camp in Dornbirn da schon mal erste Antworten und „denken ein wenig um“?

Das klassische Projekt Management im großen wie im kleinen wird sich in Zukunft immer mehr darauf beschränken Gesetze zu erlassen, Vorschriften zu verkünden, Sanktionen fest zu legen und vielleicht auch noch Ressourcen umzuverteilen. Mehr dürfen wir nicht erwarten.

„Passiv“ ist aber die Veränderung von Lebensgewohnheiten und „aktiv“ das gemeinsame Handeln in der Kollaboration mit vielen notwendig. Von dem in der Zeit der industriellen Revolution entstandenen, im letzten Jahrhundert sich verfestigenden und in der post-moderne nicht mehr zu begründenden Glauben, dass Zukunft vorhersehbar ist und gar noch von Menschen determiniert gesteuert werden kann, müssen wir uns schnellst möglich verabschieden. Und damit auch von Projekten im klassischen Sinn.

Die Alternative, die eintreten wird, wenn der gemeinsame „Turnaround“ nicht gelingt, könnte eine Art (Welt-)Regierung sein, die uns alle in ihre großen Projekte steckt (NSA und Schlimmeres lässt grüßen), mit dem Vorwand, uns retten zu wollen. Solche Systeme neigen aber dazu, sich selbst zu verselbstständigen und faschistische Tendenzen zu entwickeln. Da hilft es dann nicht, wenn dessen System-Agenten dies mit „edlen“ Motiven wie Rettung der Umwelt oder wie Überleben der Menschheit oder was auch immer rechtfertigen.

Und solch eine Diktatur gefällt mir gar. So müssen wir die Probleme der Zukunft auf neue Art und Weise lösen – und Projektstrukturen dürften da so ziemlich das Ungeeigneteste sein.

Im Übrigen sind wir doch schon gar nicht mehr in der Lage, die notwendigen „Projekte“ zu definieren. Wie wollen wir uns auf die anstehenden soziale Projekte einigen? Wie als Voraussetzung eines gesellschaftlichen Konsenz schaffen? Wie soll man mit einem klassischen Projekt dann diesen Konsenz umsetzen?

Auch die Strukturen und Koordinatiensysteme, die Voraussetzung für eine Projekt-Denke sind, verschwinden immer mehr. Und dies nicht nur in der großen Welt sondern auch in Unternehmen und sozialen Systemen jeder Größe. Und das macht die Anwendung von Projekt-Denke noch schwieriger (unmöglich?).

So müssen wir etwas Neues finden. Und das im kleinen wie im Großen ausprobieren. Und immer wieder verbessern, durch üben und erlernen. Rückschläge überwinden. Und müssen zum Start über den eigenen „Hutrand“ der kollektiven Konstrukte unserer Systeme hinaus denken!

Zukunft des Menschen (individuell)!

Nehmen wir an, dass wir und unsere Nachfolger weiter in einer entwickelten Gesellschaft leben dürfen, wie das für uns heute selbstverständlich ist (obwohl es das nicht ist). Dies ist in Mitteleuropa ja (noch) der Fall.

Gehen wir davon aus, dass auch unsere Nachfahren und wir weiter frei von Bedrohungen wie Hunger, Durst, Armut verschont bleiben und vor allem weiter im Frieden leben dürfen.

Nehmen wir weiter an, dass wir es schaffen das Gelingen des Lebens unserer Kinder und Kindeskinder auch in Zukunft durch eine aufgeklärte, gewaltlose und verständnisvolle Ausbildung, „Erziehung“, Betreuung … zu unterstützen.

Dann könnte und sollte es sein, dass die Menschen der nächsten Generationen willens und fähig sein werden, ihr Leben als autonome Menschen und so eigenverantwortlich und in sittlicher Verantwortung für ihre Mitmenschen und ihre sozialen Systeme zu führen. So wie es uns ja vielleicht auch täglich immer ein wenig besser gelingt.

Diese Menschen werden keinen Bock haben, in einer tayloristisch geprägten, determiniert gesteuerten und hierarchisch organisierten Welt zu leben und zu arbeiten. Sie werden es auch ablehnen, für andere Entscheidungen zu fällen und dann dafür die Verantwortung (!) übernehmen zu müssen.

Sie werden auch keine Lust haben, in einem hierarchischen Team von „Projektleitern“ (Projektfunktionären ?) zu arbeiten, sondern großen Wert darauf legen, dass die wichtigen Entscheidungen aus der schon erwähnten „Weisheit der Vielen“ heraus entstehen und von allen Beteiligten dann auch verantwortet, gelebt und unterstützt werden.

Gerade bei jungen Menschen erlebe ich das immer häufiger. Diesen sind Respekt, Ehre, Anerkennung Vertrauen, Symmetrie und Augenhöhe schon jetzt ganz, ganz wichtig. Sie haben keine Lust mehr ihre wertvolle Zeit (die Währung der Zukunft in entwickelten Gesellschaften) ausserhalb solcher Welten auszugeben. Und werden so nicht bereit sein, sich in die klassische Welt eines Projektes hinein zu begeben. Weil sie es vorziehen werden selbstbestimmt und auf Augenhöhe mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten – für ein gemeinsam als wichtig und richtig erkanntes Ziel.

Man sieht, die „Zukunft von Projekten“ hängt davon ab, welches Menschenbild wir für zukünftige Generationen zu Grunde legen. Mein Menschenbild ist, dass unsere Nachfahren „frei“ im Sinne von Eigenverantwortlichkeit sein wollen.

Projekte haben nur Zukunft, wenn die Menschen der Zukunft diese Art der Freiheit ablehnen. Und das empfände ich persönlich als fatal.

RMD

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Vielleicht sollte man nur über Sachen urteilen und schreiben, die man selber kennt.

culture engineering. Begriff. Methoden. Werkzeuge.

War auch so eine tolle Session auf dem 6. PMCamp in Berlin 2018.
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