Die schönste Zeit bei Siemens habe ich am Standort Hofmannstraße in einem ausgelagerten Labor verbracht. Siemens platzte damals aus allen Nähten, deshalb wurden im Umfeld der Hofmannstraße zahlreiche Büroräume angemietet (und dabei wahrscheinlich auch aus Wohnungen Büros gemacht). Dort startete ich nach Abschluss meines Mathematik-Studiums in fester Anstellung als SW-Entwickler bei der Siemens AG im Bereich Datenverarbeitung im Werk für Systeme in der Datenfernverarbeitung. In Kurzform hieß meine Abteilung UB D WS DF 131. Über mir gab es inklusive des Vorstandes 9 Führungsebenen (heute meine ich, dass das gar nicht so schlecht war – von den tollen flachen Führungsstrukturen bin ich gar nicht mehr so überzeugt. Aber das ist ein anderes Thema). Drei meiner Chefs kannte ich persönlich, das waren Herr Henning, Herr Jilek und Herr Obst, die auch alle drei in der Ortenburgstraße ihr Büro hatten. Das Wachstum von Siemens war zu dieser Zeit unheimlich stark. Laufend strömten junge Kollegen aus ganz Deutschland zu uns, so dass ich schon nach einem Jahr zu den alten und erfahrenen Kollegen gehörte.
Wir hatten Glück, unser Softwar-Labor war in der Ortenburg-Straße. Von außen sah das Gebäude aus wie ein Wohngebäude, innen war es richtig gemütlich. Es gab zwar keine Parkplätze – und die Mega-Parkplätze der Siemens AG waren ziemlich weit weg – aber das machte mir nichts, weil ich damals gerade wieder in die Fraktion der Radfahrer gewechselt war (Die Staus auf der Fürstenrieder Strasse waren sehr unerfreulich). Drei Kollegen habe ich damit angesteckt, die sind dann auch nicht mehr mit dem Auto ins Büro gefahren. Einer davon hat sich ein besonders schweres Holland-Rad gekauft und gemeint, dass würde ihn mehr anstrengen und wäre deshalb gesünder.
Obwohl Programmierer hatten wir zu Beginn noch fast keine Computer im Büro, aber Kaffeemaschine und Kühlschrank. Das erstere war möglich, weil wir damals nur auf speziellen Assembler-Formularen programmierten. Ein Programm wurde gründlich durchdacht, dann ordentlich in spaltenorientierte Formulare eingetragen. Nach gründlichem Code-Reading wurde es vom Botendienst abgeholt und von einem speziellen Lochkartendienst (der war damals schon „outgesourced“) gestanzt. Getestet wurde im Feurich-Bau (das war das Gebäude einer ehemaligen Keks-Fabrik mit echtem „Loft-Charakter“ im nördlichen Teil des Geländes an der Hofmannstraße), da war unser Versuchsfeld und da standen die ganz neuen DUETs und BS2-Systeme. Und wenn wir einen Fehler hatten, den wir nicht auf Anhieb lokalisieren konnten, dann produzierten wir einen Dump (so ein PDN-Dump hatte schon eine Höhe von deutlich mehr als 20 cm und das Schnelldrucker-Papier war ganz schön schwer). Die Dumps wurden im Rechenzentrum ausgedruckt und dann in die Ortenburgstraße gefahren. Es sah schon lustig aus, wenn wir zu dritt – alle im Anzug mit Krawatte, das hat sich auch erst später gelegt – im Zimmer in den Dumps wühlten.
An Kühlschrank und Kaffeemaschine erinnere ich mich gut, weil es durchaus eines kleinen Aufstandes bedurfte, um so etwas mit ins Büro bringen zu dürfen. Ich glaube, dass unsere damaligen Chefs da doch ein paar Augen zu drückten. Kühlschrank und Kaffeemaschine waren potentielle Brandherde und so ein enormes Sicherheitsrisiko. Aber es waren Symbole einer neuen Freiheit auch im Arbeitsleben.
Die geniale Ergänzung war der Bäcker im Erdgeschoss unseres Gebäudes. Da duftete es immer so gut, dass wir immer öfters auf den Gang in die Kantine verzichteten. In dieser Zeit kam ich auch das erste Mal mit einer Betriebsversammlung in Kontakt. Ich als Neuling fragte meine Kollegen, was das wäre. Die lapidare Antwort war, dass man darauf gut verzichten könnte. So habe ich das dann auch gemacht. Später war ich einmal dabei, meine Kollegen hatten zweifelsfrei recht.
Dafür gab es bei Siemens tolle Vorträge, fachlich und gesellschaftlich, da lohnte es sich hinzugehen. Ein Kollege war Mitglied der Siemens-Laien-Bühne, den haben wir dann bei seinen Auftritten im Siemens-Casino besucht. Mit unserem Chef sind wir ab und zu im Siemens-Sport-Gelände gejoggt – er wollte seine Mitarbeiter immer fit halten. Irgendwie war das schon so etwas wie die Siemens-Familie.
Fachlich war auch einiges zu tun. Am Anfang gab es keine Manualredaktion und keine eigene Qualitätsabteilung. Im kleinen Team (ich meine auch ziemlich scrum-mäßig) pflegten wir die letzte Version, entwickelten eine aktuelle Version und planten die Funktionalität und Realisierung der nächsten. „Nebenbei“ schrieben wir Manuale und berieten unsere Kunden, sprich Kollegen die mit unserer Software (Transdata und PDN inklusive KOGS und APS und manches mehr) aufregende Großprojekte wie ITS, START, DISPOL und viele weitere realisierten. Wir waren damals unheimlich produktiv – und oft wurde es abends auch ziemlich spät. Obwohl wir immer pünktlich um 7:30 da waren (das war unsere Schicht, es gab zwei weitere, die um 7:10 und 7:50 begannen, dies diente der Entflechtung des Anfahr- und Abfahrverkehrs), ging kaum einer von uns um 16:15 heim. Stechuhren oder ähnliches gab es auch nicht, wir arbeiteten eigenverantwortlich und schauten, dass wir unsere Arbeit im Team schafften und gingen heim, wenn wir meinten es würde passen.
Mir fällt da nur das Lied (Vorsicht Musik!) „Those were the days my friends!“ von Mary Hopkin (1968) ein …
RMD