Gerade erfahrene Ratgeber empfehlen uns, im Netz keine privaten Spuren zu hinterlassen. Weil einem das sehr übel bekommen kann. Dazu habe ich mir Gedanken gemacht.
Öffentlichkeit
Menschen sind Herdenwesen. Sie brauchen die „Du’s der Anderen“. Sie bilden Paare und Gemeinschaften wie Teams, soziale Systeme für diverse Zwecke, Gesellschaften und Kulturen.
Sprache und Schrift
Die zentrale Rolle dabei spielt die Kommunikation. Die funktionierte über Sprache und Gestik. Später wurde Sprache verschriftet, vor allem um Aussagen und Vereinbarungen zu speichern. Erfunden und genutzt wurde die Schrift wohl aus kaufmännischen Gründen und zur Fixierung und Weitergabe von Geschichten.
Technik
Dann kam die Technik. Man konnte Sprache direkt auf mechanische Datenträger (Tonträger wie Platten) speichern. Mit dem Rundfunk wurde es möglich, Informationen drahtlos zu übertragen und sie blitzschnell an sehr viele Menschen zu verteilen.
Der Rundfunk wurde zum „Fernsehen“ erweitert. Dann kam – über frühe Zwischenschritte wie bei uns der „Bildschirmtext“ – das Internet. Das Internet ist zur „totalen Öffentlichkeit“ geworden. Also die Obermenge, die alle traditionelle Öffentlichkeit umfasst.
Menschliche Sorge
Immer gab es Warner. Die warnten natürlich auch vor dem Internet. Zu leicht könnte es missbraucht werden. Zum Beispiel von Diktatoren, ausländischen Mächten, die die Destabilisierung unserer Systeme als Ziel hätten. Und natürlich von Menschen, die andere denunzieren oder einfach auch nur Verschwörungstheorien verbreiten.
Und warnen davor, wie gefährlich es wäre, zum gläsernen Menschen zu werden. Und anschließend kam dann mit großer Macht die Forderung des Schutzes der persönlichen Daten. Und die Gesetze zum Datenschutz entstanden, die Verstöße mit hohen Strafen sanktionieren. Man vergleiche nur die Sanktionen des Betriebsverfassungsgesetzes mit denen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die liegen dort in einer ganz anderen Größenordnung als beim Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Und je größer die gesellschaftliche Veränderung desto lauter die Warnung und massiver die Ängste.
Mobilität
Ähnlich war es bei der Mobilität. Auf Basis der Erfindung des Rads und von Tieren unterstützt (Pferde-Kutschen und Reittiere wie Elefanten, Esel, Pferde, Kamele …) schufen die Menschen Mobilität. Parallel gab es das Kanu und die Schifffahrt. Die Technik machte alles immer schneller. Es folgten Fahrräder, die Eisenbahn und Autos wie Flugzeuge.
Die Menschen stürzten sich begeistert auf die neuen Möglichkeiten, Es fing an mit der neuen Mobilität durchs Fahrrad. Die brachte viele Vorteile, sie verursachte aber auch die Zersiedelung der Landschaft. Parallel konnte man mit der Eisenbahn schwere Lasten und viele Menschen in stark verkürzten Zeiten über weite Strecken befördern. Das Auto schuf große Freiheit dank einer völlig neuen Art von individueller Mobilität, die die beliebige Bewegung im großen Radius in bescherte. Und das ganze inklusive eines privaten Raumes, den man mit sich mitführte!
Die Angstmacher warnten bei der Eisenbahn vor psychischen und physischen Schäden – verursacht von der Geschwindigkeit. Vor dem Auto wurde auch gewarnt, das wollte (leider) keiner hören.
Warnende Propheten
Auch in der Kommunikation gab es die Angstmacher. So haben viele Rundfunk und später das Fernsehen als Techniken gesehen, die das menschliche Zusammenleben und das kulturelle Leben zerstören würden.
Rundfunk hat Jubiläum
Das kann gerade heute gut nachlesen (bzw. gehört) werden, denn wir haben zur Zeit ein Jubiläum, nämlich 100 Jahre Rundfunk.
Und natürlich konnte der tolle Hitler erst mit der Kombination Rundfunk und Flugzeug seine Omipotenz so richtig zeigen. Ein Führer, der dreimal am Tag im Volksempfänger – morgens aus München, mittags aus Nürnberg und am Abend aus der Reichshauptstadt – seine Thesen plärren konnte, das war damals schon etwas besonderes. Und das hat Menschen wie meine Mutter schon sehr beeindruckt.
Das Web
Für mich ist ja das Internet die Krone aller Kommunikations- und Mobilitäts-Techniken. Schon heute kann man damit Mobilität ersetzen und vielleicht können wir uns morgen durch die Welt und das All „beamen“ 🙂 .
Aber vor allem:
Im Internet da können wir alle aktiv mitmachen und werden vom Empfänger zu Sender, vom Teilnehmer zum Teilgeber!
Das ist etwas Besonderes. So werden wir
alle zum aktiven Medienarbeiter!
Das WEB 2.0 brachte die Wende! Ab da konnte jeder von uns seine Meinung ins Web stellen. Jeder war so etwas sie sein eigener Verlag. Wir alle konnten aktiv auf Sendung gehen! Sei es mit unserer Stimme, schriftlich und bebildert oder mit einem Video und sogar drei-dimensional können wir unsere Botschaften ins Netz stellen.
Und wieder kamen die Propheten der Angst
und prophezeiten den Untergang der Zivilisation. Ihr strenger Ratschlag war:
„Hinterlass im Netz auf keinen Fall private Spuren! Das wird Dir immer zum Nachteil gereichen!“
Das heisst aber auch, dass das alte Gesetz für den männlichen Menschen wieder aktiviert wird, auf keinen Fall in der Öffentlichkeit zu weinen und die vielen Tabus in verschiedenen Lebensbereichen wieder fröhlich Urstand feiern.
Der personale Mensch wird so aus dem Leben verbannt, man darf sich dort nur noch als funktionierender Zombie ihm Rahmen der allgemeinen Selbstverständlichkeiten zeigen. Man muss immer aufpassen, was man sagt und muss die vorgegebenen Meinung akzeptieren. Und unterdrückt seine Ideale besser. Weil es sonst einem schnell sehr schlecht gehen kann.
Das ist doch kein Leben und tut weh. Aber auch dafür hat die Gesellschaft eine Lösung parat.
Fasching und Karneval
Natürlich müssen Menschen sich aber auch öffentlich mal öffnen dürfen. Auch dafür ist gesorgt. Im Karneval und Fasching dürfen die Ventile geöffnet und der Druck abgebaut werden. Und wie! Aber nicht im Internet …
Mit dem rheinischen Frohgeist, den es in vielen Regionen und Ländern zu geben scheint, kann ich nichts anfangen. Wenn ich dann doch mal sozial gezwungen werde, auf einen Faschingsball zu gehen, dann stehe ich zwischen verrückt gewordenen Frauen und Männern. Und muss aufpassen, das mich keine Polonaise einfängt. Obwohl ich mich nicht verkleidet habe, schauen mich alle an wie ein Mondkalb. Das ist mir glücklicher Weise aber nur alle zehn Jahre passiert!
Und wer den Fasching nicht mag, der kann ja zur Beichte gehen und dort den Druck abbauen. Das habe ich als Kind (gezwungener Weise) ausprobiert und hat mir auch nicht gefallen 🙁 .
Also gebe ich doch lieber in meinem Blog-Tagebücher meine Gefühle preis. Und bleibe auch dort der, der ich bin!
RMD
Wer Lust auf mehr von solchen Ideen hat, kann das im posthum von Wolfgang Brandes heraus gegebenen Buches von Rupert Lay nachlesen:
Im Kerker des Selbstverständlichen
Ein Befreiungsversuch
Das Buch von Rupert kann kostenfrei als PDF heruntergeladen werden. Der Autor dieses Artikels freut sich über eine kleine Spende für ein Kinderhospiz, die aber nicht zwingend ist. Und demnächst (im ersten Quartal 2024) soll es als gut verständliches Hörbuch – zugänglich und verständlich – erscheinen.